Wie könnte man die „Botschaft“ eines Gedichtes formulieren – Beispiel Matthias Claudius, „Abendlied“ (Mat6193-Botschaft)

Worum es hier geht.

Auf der Seite
https://schnell-durchblicken.de/gedichte-verraten-sich-beispiel-matthias-claudius-abendlied
haben wir uns schon mal mit den „Aussagen“ des Gedichtes „Abendlied“ von Matthias Claudius beschäftigt.

Hier nun wollen wir ausgehend von einer etwas ungewöhnlichen und scheinbar methodisch unpräzisen Aufgabe einer Lehrkraft mal nach der „Botschaft“ eines Gedichtes fragen. Denn alles, was nicht von vornherein klar eingerahmt ist, eröffnet ja auch Sehweisen und kann neue Einsichten bringen.

Kurz zum Begriff des „Rezipienten“: Gemeint sind damit alle Leser und Leserinnen und auch sonst alle, die das Gedicht zur Kenntnis nehmen und mit denen es dann etwas „machen“ kann.

Zwei Stufen des Begriffs „Botschaft:

Unter der „Botschaft“ des Gedichtes kann man zweierlei verstehen:

  • Zum einen, was man methodisch als „Intentionalität“ bezeichnet, also das, worauf das Gedicht bzw. sein Text abzielt.
  • Zum anderen kann man darunter das verstehen, was beim Rezipienten ankommt und ihn mit dem Gedicht etwas anfangen lässt. Es muss allerdings im Horizont dessen bleiben, woraus das Gedicht abzielt.
Spielräume des Erkennens von Aussagen des Gedichtes

Fangen wir mit der Intentionalität des Gedichtes an. Es zeigt

  • Zunächst einmal das Nebeneinander von hellem Himmel und dunkler Erde, was aber über den Nebel tendenziell nach oben verbunden wird.
  • Dann wird deutlich, wie diese ganze oder auch die irdische Welt einem einen Ort der Ruhe und auch des Vergessens all dessen ermöglicht, was sich am Tag als Belastung aufgebaut hat.
  • Das Wichtigste ist die bei der Betrachtung des Mondes sich ergebende Einsicht, dass das, was wir sehen, nicht immer dem entspricht, was wir als größere oder andere Wirklichkeit kennen.
  • Nur noch religiös verstehen kann man die negative Sicht auf den Menschen und die Annahme einer Erlösung, die als Ziel auch verfehlt werden kann.
  • Als Gegenmittel wird eine entsprechende Gebetsbitte an Gott gesehen, die einem zu einer besseren, im Prinzip kindlich-einfältigen Glaubenseinstellung verhilft.
  • Das Gedicht zielt am Ende zum einen auf die oben angesprochene Zielorientierung, nämlich das Heimkommen zu Gott – bzw. die ihm zu verdankende Aufnahme am Ende des Lebens in den Himmel.
  • Zum anderen macht das Gedicht aber auch deutlich, dass es ein Leben vor dieser Schluss-Seligkeit gibt, das auch „kalt“ sein kann. Hier geht es nur darum, von Gottes gewissermaßen zusätzlichen „Strafen“ verschont zu werden. Das ermöglicht dann ein ruhiges Schlafen, wie es vorher schon angedeutet worden ist.
  • Am Ende dann etwas überraschend und wohl doch sehr ernst gemeint durch die betonte Schluss-Stellung, der Hinweis auf den sozialen Anspruch, der mit einer Annäherung an Gott auch verbunden sein sollte. Das läuft dann letztlich darauf hinaus, zumindest den Menschen in der eigenen Umgebung, die krank sind, auch diesen guten Schlaf zu wünschen. Mehr wird hier aber nicht angesprochen – das eigene Glück steht im Vordergrund.
Was könnte als Botschaft beim Rezipienten ankommen / entstehen?

Was die Botschaft angeht, die vom Gedicht ausgeht und dann beim Rezipienten etwas auslöst, könnte einem Folgendes in den Sinn kommen. Die Botschaft könnte also lauten:

  • Nimm dir die Zeit, mal wieder die Natur zu betrachten und schau, was sie für dich an Entspannung und auch positivem Vergessen bereithält.
  • Denk häufiger darüber nach, dass das, was dich unmittelbar umgibt und direkt wahrnehmbar ist, nicht die ganze Wahrheit ist. Mach dich auf die Suche nach solchen Erkenntnissen, die durch zu viel akute Realität verdrängt worden sein können.
  • Was die Selbsteinschätzung angeht, muss man sich nicht als Sünder fühlen, der durch eine Art Erbsünde auf jeden Fall erst mal von Gott getrennt ist. Es reicht, etwas bescheidener zu werden, auch dankbarer und höhere Ziele ins Auge zu fassen als nur Karriere, Reichtum, Macht.
  • Dazu kann auch durchaus gehören, dass man nicht kindisch wird, wohl aber kindlich – in einer Richtung, die jeder kennt, der direkten Umgang mit vor allem kleinen Kindern hat und ihre Unbefangenheit erlebt und vielleicht auch für sich zumindest teilweise oder kurzzeitig erstrebt.
  • Auf jeden Fall kann dieses Gedicht einen dazu bringen, das eigene Leben in einem größeren Zusammenhang zu sehen und zumindest wieder mehr Ehrfurcht zu entwickeln vor dem Wunder der Existenz und besonders auch des Lebens, wie Albert Schweitzer es besonders hervorgehoben hat.
  • Und daraus kann dann auch wieder mehr ein anderer Umgang entstehen mit denen, die aktuell schwächer sind als man selbst und die man dann wieder stärker als Mitmenschen ansieht denn als Konkurrenten oder gar Opfer. Was sich daraus ergibt, kann durchaus den Horizont der letzten Verszeile übersteigen und das Wohlergehen des Nachbarn nicht Gott überlassen, sondern zur eigenen Sache machen.

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