Essay zu Lessing, „Nathan der Weise: Viel Predigt und ganz wenig Poesie (Mat6186)

Worum es hier geht:

Es gibt tatsächlich auch unter Lehrkräften welche, die nicht gut guten Unterricht „machen“, sondern hin und wieder auch das tun, was sonst nur Schülis als kreative Aufgabe gestellt wird.

Anders Tivag bezeichnet sich selbst als „Behelfsschriftsteller“. Er „behilft“ sich also immer dann, wenn ein Gedanke oder eine Vorstellung größer ist als das zur Verfügung stehende Material.

Das kann man wunderbar bei den eigenen Schülis austesten – natürlich nur unter dem Tarnmantel eines Pseudonyms. Schließlich möchte man echte und keine berechneten Reaktionen.

Weiter unten nennen wir auch eine Seite, so gewissermaßen die  (allerdings nur von ihm selbst) „gesammelten Werke“ zusammengestellt sind.

Vielleicht macht das eine oder andere dann auch denen Lust, die sich bisher nicht getraut haben.

Anders Tivag,

 Lessings „Nathan der Weise“ – viel Predigt und ganz wenig Poesie

  1. Was macht man, wenn man sauer ist und doch sachlich bleiben will?
  2. Man schreibt einen Essay. Man macht also den Versuch, seine Gefühle einigermaßen unter Kontrolle zu halten und die eigene Meinung möglichst sachlich zu präsentieren.
  3. Das genau war und ist ein Essay:
    Wörtlich heißt das tatsächlich so etwas wie Versuch. Es hat sich dann im Laufe der Zeit herausgestellt, dass man dabei nicht nur sachlich ist. Man kann auch versuchen, mit seiner Darstellung möglichst gut auszusehen.
  4. Deshalb haben wir natürlich in der Überschrift auch gleich tüchtig übertrieben: Natürlich ist Lessings Theaterstück nicht nur eine Predigt, aber es hat viel davon. Und es ist auch nicht ohne Poesie, aber insgesamt ist es in einem Bereich sehr fragwürdig. Lessing zeigt in diesem Theaterstück wenig Verständnis für partnerschaftliche Liebe.
  5. Überhaupt hat Lessing in diesem Stück wohl mehr Gutes gewollt als wirklich präsentiert. Natürlich hat Nathan aus einem schlimmen Schicksal (seine ganze Familie wurde ermordet) etwas Gutes gemacht, nämlich das Kind eines anderen bei sich aufgenommen. Sein Freund hatte seine Frau, die Mutter des Mädchens verloren und musste selbst in den Krieg. Also kümmerte sich Nathan liebevoll um das schutzlose Wesen.
  6. Doch dann war’s vorbei mit seiner Selbstlosigkeit. Statt dieses christlich getaufte Kind in seiner Religion und Kultur zu belassen, immerhin hatte er ja mit Daria eine fürsorgliche Christin im Haus, erzog er sie im jüdischen Glauben.
  7. Vielleicht kann man das noch verstehen, das ist nun mal das Schicksal einer Adoption, dass ein Kind sich in diesem Fall an einen Vater gewöhnen soll, der nicht sein Erzeuger ist .
  8. Aber zum einen denkt Nathan nicht im Traum daran, Recha später über ihre wirkliche Herkunft aufzuklären. Das wäre eine spannende Szene gewesen, um Toleranz und Austausch zwischen Religionen zu demonstrieren. Allerdings wäre das Stück dann schnell zu Ende gewesen.
  9. Es kommt noch schlimmer. Nathans angebliche Tochter Recha ist so gebildet, dass die Schwester des Sultans gerne wissen möchte, woher sie das alles hat. Recha erzählt stolz, dass sie das alles in Gesprächen mit Nathan gelernt hat. Soweit so gut. Nur leider lässt Lessing sie auch noch sagen, dass Nathan ihr sogar das Lesen von Büchern verboten hat. Dies sei im Vergleich zu menschlichem Austausch ganz kalt. Da ist sicherlich was Wahres dran. Aber mit Aufklärung hat das nichts zu tun. Man denke an Kants Definition, dass man selbst denken soll, ohne Anleitung eines anderen, zumindest nicht durch die Bevormundung eines solchen Vaters.
  10. Halten wir als Zwischenfazit fest:
    Nathan ist alles, nur leider nicht das, was die Kennzeichen der Aufklärung verkörpert.
  11. Jetzt kommen wir zu dem, was uns am meisten aufregt. Zwischen Recha und ihrem Retter, dem Tempelherrn, entwickelt sich eine richtige Liebesgeschichte. Statt den jungen Mann nun über die eigenen Sorgen im Hinblick auf seine Herkunft aufzuklären, behält Nathan das lieber alles für sich, stößt sogar sein Gegenüber ziemlich vor den Kopf. Gut für‘s Stück, schlecht für die Menschlichkeit.
  12. Sogar als Nathan mit dem Gebetbuch von Rechas Vater, das der Klosterbruder ihm ganz überraschend gegeben hat, die endgültige Gewissheit hat, dass der Tempelherr sogar der Bruder Rechas ist, verhält Nathan sich regelrecht zynisch.
  13. Dem von seinen Gefühlen gequälten jungen Mann sagt er, er könne nicht so einfach seine Zustimmung zur Heirat mit Recha geben, da müsste noch ein Bruder gefragt werden. Was soll so ein Scherz im Angesicht eines Menschen, der noch nicht weiß, dass er selbst dieser Bruder ist.
  14. Erst In der letzten Szene stellt sich dann diese Wahrheit heraus. Und der „gute“ Nathan lässt sich Zeit ohne Ende, scheint die Szene richtig zu genießen. Welch ein grandioser Witz, jemanden mit sich selbst auf die Folter zu spannen.
  15. Der traurige Höhepunkt dieses Dramas, den allerdings alleine Lessing zu verantworten hat, ist, dass die beiden Geschwister blitzschnell umschalten. Von Liebe auf Familienbeziehung und alle sind glücklich.
  16. Von daher ist Lessings Theaterstück insgesamt, um es mit einem Gegensatzpaar auszudrücken, das zweimal im Stück selbst auftaucht, gut gemeint, aber ganz schlecht gemacht.
  17. Wir wollen das hier allerdings nicht beenden, ohne auf zwei absolute aufklärerische Höhepunkte des Stücks zu verweisen, die man viel mehr ins Zentrum stellen sollte als die nur aus Not, geborene Ringparabel.
  18. Da ist einmal das Verständigungsgespräch zwischen Nathan und dem Tempelherrn. Dort wird deutlich, dass die Religionszugehörigkeit meistens ein ganz einfaches Ergebnis ist von Herkunft und sich daraus ergebenden familiären, sozialen und kulturellen Bindungen.
  19. Der zweite Glanzpunkt des Stückes sind Überlegungen, die wegführen von der Vorstellung eines Gottes als Richter und dafür die Barmherzigkeit in den Vordergrund stellen.
  20. Beides hängt auf wundersame Art und Weise zusammen: Denn kein Mensch kann etwas für seine Herkunft ein Verhalten, das ja nur zu 10 % vom Verstand bestimmt sein soll. Der Rest ergibt sich aus Bereichen, die kein Mensch unter Kontrolle hat. So ist man hier möglicherweise auch auf Verständnis und Gnade der Instanz angewiesen, die einen so auf die Welt hat kommen lassen.
  21. Also dann, zum guten Schluss: Lessings „Nathan der Weise“ bietet eine wunderbare Gelegenheit, das zu tun, was Kant als Inbegriff der Aufklärung empfohlen hat: selbst denken und in diesem Fall lesen und interpretieren. Statt sich auf das zu verlassen, was als scheinbar gesicherte Erkenntnis in die Schulbüchern steht.

Anregung:

Natürlich kann es interessant sein, sich sachlich, aber auch sehr kritisch mit dieser Position Thesen hier auseinanderzusetzen.
Dabei helfen sicher die Infos, Tipps und Materialien auf der Themenseite zu Lessings „Nathan“ – siehe unten.

Man kann ja auch einen Gegenessay schreiben 😉

Weitere Infos, Tipps und Materialien