Franz Kafka, „Ein Brudermord“ – eine Geschichte, die nicht zum Autor zu passen scheint

Worum es hier geht:

Kafkas Erzählung „Ein Brudermord“ ist interessant, weil

  • sie trotz des fehlenden Mordmotivs eine fesselnde Kriminalgeschichte präsentiert, die tiefere Fragen zur menschlichen Natur aufwirft
  • sie durch ihre offenen Bedeutungsräume und vielschichtige Symbolik zu vielfältigen Interpretationen anregt
  • weil sie in knapper, präziser Sprache ein dramatisches Geschehen schildert und dabei die Komplexität menschlicher Beziehungen und Emotionen einfängt
  • weil sie einen einzigartigen Erzählstil verwendet, der oft mit filmischen Techniken verglichen wird. Die Erzählweise wechselt zwischen verschiedenen Perspektiven und Standorten, was eine dynamische und spannende Leseerfahrung schafft. Diese Technik ermöglicht es dem Leser, die Handlung aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und ein umfassenderes Verständnis der Ereignisse zu entwickeln.
Video und Dokumentation.

Inzwischen gibt es auch ein Video zu diesem Thema, das hier abgerufen werden kann:

https://youtu.be/vLq_xtDLBjs

Die Dokumentation kann hier abgerufen werden:

Mat2640 Kafka Ein Stummfilm Drehbuch

Schaubild 1: Wie wir Kafka normalerweise verstehen

Schaubild 2: Ein besonderer Fall

Schaubild 3: Ein besonderer Fall – Teil 2

Schaubild 3: Ein besonderer Fall – Teil 2

Schaubild 4: Ein besonderer Fall – Teil 3
Schaubild 4: Ein besonderer Fall – Teil 3
Übergang zum Sonderfall

Seit wir uns mit Kafka beschäftigt haben, sind wir gut mit unserem Erklärungsmodell gefahren.

Es geht davon aus, dass Kafkas Geschichten Parabeln sind – also Gleichnisgeschichten für die Situation des Menschen in der Welt.

Näheres dazu findet man zum Beispiel auf der folgenden Seite:

Dann schauen wir uns doch mal die folgende Geschichte näher an:

Franz Kafka, Ein Brudermord

Die Überschrift
  • Wie immer nehmen wir erst mal die Überschrift ernst. Hier geht es um den Mord an einem Bruder, also einen der schlimmsten Eingriffe in ein Familienleben, den es geben kann.
  • Es ist „ein“ Brudermord – also ein möglicherweise exemplarischer oder aber nur einfach einer von vielen möglichen oder schon geschehenen Brudermorden.
  • So eine Überschrift behält man einfach im Gedächtnis, während man sich dann der Geschichte selbst zuwendet.
Der Beginn des Textes
  • (1) Es ist erwiesen, dass der Mord auf folgende Weise erfolgte:
    • Der erste Satz klingt ziemlich aus dem Zusammenhang gerissen: Da ist ein Mord passiert – und jetzt geht es um ein Untersuchungsergebnis, das sich vor allem mit dem Hergang der Tat beschäftigt.
  • (2) Schmar, der Mörder, stellte sich gegen neun Uhr abends in der mondklaren Nacht an jener Straßenecke auf, wo Wese, das Opfer, aus der Gasse, in welcher sein Büro lag, in jene Gasse einbiegen musste, in der er wohnte.
    • Für Kafka eher ungewöhnlich, werden hier die beiden Hauptbeteiligten gleich namentlich erwähnt.
    • Es geht um den ersten Schritt zur Tat, nämlich das Auflauern.
    • Das Opfer scheint ziemlich lange zu arbeiten, der Mörder weiß auf jeden Fall Bescheid, wann er wo gewöhnlich ist.
    • Interessant, dass Büro und Zuhause hier anscheinend nahe beieinanderliegen, allerdings mit einer entscheidenden Ecke, an der das Opfer abbiegen muss.
    • Dass alles in einer „mondklaren“ Nacht passiert, lässt darauf schließen, dass jemand die Tat gesehen hat.
  • (3) Kalte, jeden durchschauernde Nachtluft. Aber Schmar hatte nur ein dünnes blaues Kleid angezogen; das Röckchen war überdies aufgeknöpft. Er fühlte keine Kälte; auch war er immerfort in Bewegung. Seine Mordwaffe, halb Bajonett, halb Küchenmesser, hielt er ganz bloßgelegt immer fest im Griff. Betrachtete das Messer gegen das Mondlicht; die Schneide blitzte auf; nicht genug für Schmar; er hieb mit ihr gegen die Backsteine des Pflasters, dass es Funken gab; bereute es vielleicht; und um den Schaden gutzumachen, strich er mit ihr violinbogenartig über seine Stiefelsohle, während er, auf einem Bein stehend, vorgebeugt, gleichzeitig dem Klang des Messers an seinem Stiefel, gleichzeitig in die schicksalsvolle Seitengasse lauschte.
    • Aus der Haltung und dem Tempus des Erzählens geht es hier unvermittelt in eine Darstellungweise, die Spannung erzeugt.
    • Aber das wird nicht durchgehalten, denn anschließend geht es direkt weiter in der normalen Erzählhaltung mit Präterium bzw. Plusquamperfekt für die Vorzeitigkeit.
    • Seltsam erscheinen die Hinweise auf die Bekleidung, sie erscheint unpassend, außerdem eher für Kinder geeignet als für Erwachsene.
    • Es folgt eine recht intensive Beschäftigung mit der Mordwaffe, die am Ende fast liebevoll wirkt.
  • Warum duldete das alles der Private Pallas, der in der Nähe aus seinem Fenster im zweiten Stockwerk alles beobachtete? Ergründe die Menschennatur! Mit hochgeschlagenem Kragen, den Schlafrock um den weiten Leib gegürtet, kopfschüttelnd, blickte er hinab.
    • Hier mischt sich der Erzähler direkt mit einer Frage ein, bei der er einen Zeugen einbezieht, den er auch mit Namen zu kennen scheint.
    • Aus der Irritation darüber, dass dieser Pallas das, was eben an Mordvorbereitungen beschrieben worden ist, duldet, wird der Appell an den Leser (oder auch an sich selbst) abgeleitet, die „Menschennatur“ zu ergründen.
    • Damit gibt es einen ersten wichtigen Hinweis, der über das rein Inhaltliche hinausweist in den Bereich der Aussagen dieser Erzählung und ihrer Bedeutung. Offensichtlich geht es um die Frage, warum Menschen, die in einem Geschehen stecken, sich anders verhalten als der, das das Geschehen von außen betrachtet. Denn: Was heißt hier „duldet“ – das setzt ja voraus, dass dieser Zeuge über die Mittel verfügt, die abzusehende Untat zu verhindern. „Dulden“ ist ein Wort, das naturgemäß mit Stärke bzw. Macht verbunden ist. Bei einem Polizisten auf seinem Kontrollgang wäre es angebracht, hier ist es entweder vom Erzähler und möglicherweise indirekt auch von Kafka nicht gut überlegt (das schließen wir erst mal aus) oder es weist über unser erstes Verständnis hinaus, was später noch mal überprüft werden muss.
    • Zumindest ansatzweise gibt der Erzähler dann Hinweise auf die Umstände des Nicht-Duldens:
    • mit „hochgeschlagenem Kragen“ geht in die Richtung: Ich will mich schützen – normalerweise vor Wind oder Regen, hier vor den Zumutungen dessen, was die Welt so an Schlimmem bereithält.
    • „den Schlafrock um den weiten Leib gegürtet“ – dieser Mann ist also auf Häuslichkeit eingestellt und nicht auf öffentliches Auftreten. Auch wird angedeutet, dass dieser Mann wohl eher wohlbeleibt ist. Auf jeden Fall ist er „gegürtet“, d.h. um den Erhalt seines aktuellen Outfits und wohl auch inneren Zustandes bemüht.
    • Dann blickt er auch noch „kopfschüttelnd“ herab. Das bedeutet, dass er nicht mit dem einverstanden ist, was er sieht, aber es wohl als etwas hinnimmt, was eben auch zum Leben gehört, aber eben nicht zu seinem.
  • Und fünf Häuser weiter, ihm schräg gegenüber, sah Frau Wese, den Fuchspelz über ihrem Nachthemd, nach ihrem Manne aus, der heute ungewöhnlich lange zögerte.
    • Der Erzähler ergänzt die Zeugensituation um einen weiteren Punkt, nämlich die Ehefrau des Opfers, die offensichtlich schon etwas beunruhigt ist, weil ihr Mann nicht zur gewohnten Zeit nach Hause kommt.
    • Auch bei ihr wird das äußere Erscheinungsbild mitgeteilt, sie ist offensichtlich bereits im Nachtgewand und hat nur kurz und provisorisch einen Fuchspelz drübergezogen, um wahrscheinlich der Nachtkühle zu begegnen.
    • Unklar bleibt, ob der erste Zeuge sie auch in das Gesamtpanorama einbezieht oder nur auf den Täter konzentriert ist.
Die Perspektive des Erzählers
  •  Spätestens hier kann sich dem aufmerksamen Leser die Frage nach der Perspektive des Erzählers auftun.
    • Denn wenn man auch nur kurz in Interpretationen zu dieser Geschichte
      https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Brudermord
      oder:
    • Peter-André Alt, „Franz Kafka: Der ewige Sohn. Eine Biographie“, C.H.Beck, 3. durchgesehene Ausgabe, München 2005, Kindle-Ausgabe, ISBN: 978 3 406 68898 0, Position etwa 11090ff
  • geschaut hat, kann man gut nachvollziehen, dass der Erzähler hier wie eine Filmkamera funktioniert.
Wichtige Tipps
  • Spätestens in einer Klausur müsste aber Schülern ein entsprechender Hinweis gegeben werden, wenn sie nicht mit dem Vergleich zwischen Erzählperspektive und Kameraperspektive bereits vertraut gemacht worden sind.
  • Endlich ertönt die Türglocke vor Weses Büro, zu laut für eine Türglocke, über die Stadt hin, zum Himmel auf, und Wese, der fleißige Nachtarbeiter, tritt dort, in dieser Gasse noch unsichtbar, nur durch das Glockenzeichen angekündigt, aus dem Haus; gleich zählt das Pflaster seine ruhigen Schritte.
    • Für einen filmischen Erklärungsansatz der Erzählweise spricht auch, dass doch recht unterschiedlich und räumlich wohl auch auseinander liegende Schauplätze hier eng zusammen gedrängt sind.
    • Das ganze passt weniger zu einer Kamerafahrt von einem erhöhten Platz aus als vielmehr zu einer zu einem Zusammenschnitt verschiedener Kameraeinstellungen, die aber dann beim Zuschauer einen Erzählzusammenhang ergeben.
    • Wir machen noch mal darauf aufmerksam, dass ein Schüler ohne entsprechende Vorbereitung auf diese filmtechnischen Aspekte nicht kommen muss, es wäre aber gut, wenn dann zumindest erkannt und darauf hingewiesen würde, dass der Erzähler hier zwischen verschiedenen Perspektiven bzw. Standorten hin und her springt.
  • Pallas beugt sich weit hervor; er darf nichts versäumen. Frau Wese schließt, beruhigt durch die Glocke, klirrend ihr Fenster. Schmar aber kniet nieder; da er augenblicklich keine anderen Blößen hat, drückt er nur Gesicht und Hände gegen die Steine; wo alles friert, glüht Schmar.
    • In diesem Erzählabschnitt werden jetzt bisher vorgestellten Figuren gewissermaßen zusammengefasst, man kann auch von der Zuspitzung der Situation sprechen. Der Leser weiß ja, dass alles auf einen Mord hinausläuft.
    • Im Falle von Pallas interpretiert der Erzähler dessen Verhaltensweise. Das ist natürlich direkt in einer Filmsequenz nicht möglich, es gibt dort keinen interpretierenden Erzähler, sondern die Kameraführung muss diese Interpretation der Handlung im Zuschauer selbst aufkommen lassen.
    • Das gleiche gilt für die Aktion der Frau Wesel, auch hier präsentiert der Erzähler eine Interpretation, auf die der Zuschauer selbst kommen muss.
    • Am weitestgehenden ist die Präsentation und Interpretation dessen, was der Mörder macht. Über ihn wird zunächst einmal ausgesagt, dass ihm offensichtlich heiß geworden ist. Hinzugefügt wird dann die Interpretation seiner Verhaltensweise, dass er versucht, das Gesicht als einzige freie Hautfläche an einem Stein zu kühlen.
Fragen, die sich ergeben
  • Spätestens an dieser Stelle wird sich der aufmerksame Leser wohl auch fragen, warum er so der Tat entgegenglüht.
  • Schon vorher ist die innere Erregung ja im Zusammenhang mit der Waffe vorbereitet worden.
  • Es fällt auf jeden Fall als Besonderheit dieser Erzählung auf, dass nichts über die Hintergründe und die Motive berichtet wird. Es geht nur, wie im Titel bereits angedeutet, um eine Mordschreibung.
  • In diesem Zusammenhang lohnt es sich aber, den ersten Teil des Kompositums mit einzubeziehen, das im Titel präsentiert wird. Offensichtlich geht es um die Ermordung eines Bruders durch den Bruder, ohne dass man allerdings Näheres über die Hintergründe erfährt.
  • Daraus entsteht die Frage, warum Kafka diesen Titel gewählt hat und welche Bedeutung der Familienaspekt für das Verständnis und die Interpretation der Erzählung hat. Vielleicht soll deutlich werden, dass es wegen der engen Beziehung der Menschen in einer Familie dort eben nicht nur Zusammenhalt gibt, sondern auch ein verhängnisvolles Miteinander gibt, das dann zu einem extremen Gegeneinander führen kann bis hin zu einem Mord.
Anregung
  • Es lohnt sich möglicherweise, mal zu recherchieren, welche spezifischen Konfliktsituationen es zwischen Geschwistern geben kann. Da muss allerdings beachtet werden, dass es sich hier nicht mehr um Kinder handelt, sondern um Erwachsene, bei denen natürlich mehr Verstand und Überlegung vorausgesetzt werden kann und muss.
  • Gerade an der Grenze, welche die Gassen scheidet, bleibt Wese stehen, nur mit dem Stock stützt er sich in die jenseitige Gasse.
    • Zum ersten Mal kommt jetzt das Opfer näher in den Blick. Offensichtlich spielt diese besondere Stelle, die ja schon vorher in der Erzählung hervorgehoben worden ist, eine besondere Rolle.
    • Inwieweit das Opfer hier eine Ahnung hat von seinem bevorstehenden Schicksal oder auch nur irgendeine Art von Unruhe verspürt oder vielleicht auch nur überarbeitet einen Moment der Ruhe braucht, bleibt zunächst offen bzw. entsteht als Frage im Leser. Auch das spricht wieder für eine filmische Interpretation, bei der es natürlich Verhaltensweisen der Figuren gibt, die vielfältige Erklärungen möglich machen.
    • Interessant ist, dass der Erzähler gerade an dieser Stelle darauf verzichtet, während er es ja vorher bei den anderen Personen getan hat.
    • Es wäre zu prüfen, inwieweit das Opfer hier tatsächlich eine Sonderrolle in der Figurenkonstellation spielt und zwar nicht nur als Opfer.
  • Eine Laune. Der Nachthimmel hat ihn angelockt, das Dunkelblaue und das Goldene. Unwissend blickt er es an, unwissend streicht er das Haar unter dem gelüpften Hut; nichts rückt dort oben zusammen, um ihm die allernächste Zukunft anzuzeigen; alles bleibt an seinem unsinnigen, unerforschlichen Platz. An und für sich sehr vernünftig, dass Wese weitergeht, aber er geht ins Messer des Schmar.
    • Eine streng lineare und induktive Interpretation ermöglicht ein vertieftes Verständnis der einzelnen Stationen eines Textes, führt aber immer auch dazu, dass wie in diesem Falle der nächste Abschnitt genau das präsentiert, was man eben noch vermisst hat 😉
    • In diesem Falle stellt der Erzähler verschiedene Überlegungen an, von dem Zufallsphänomen einer Laune hin zu dem nur von einem übergeordneten Standpunkt aus möglichen Blick auf die Ungeheuerlichkeit von nicht wissen und wissen.
    • Hier kann man wieder an unser Grundverständnis der Erzählungen Kafkas anknüpfen, dass es ihm vor allen Dingen darum geht, die Ungeheuerlichkeiten des Lebens besonders scharf sichtbar zu machen.
  • »Wese!« schreit Schmar, auf den Fußspitzen stehend, den Arm aufgereckt, das Messer scharf gesenkt. »Wese! Vergebens wartet Julia!« Und rechts in den Hals und links in den Hals und drittens tief in den Bauch sticht Schmar. Wasserratten, aufgeschlitzt, geben einen ähnlichen Laut von sich wie Wese.
    • Dieser Abschnitt liefert dann endlich das Motiv, auf das der Leser lange gewartet hat. Noch einmal deutlich wird die ungeheure Erregung, die den Mörder durchzieht und antreibt.
    • Außerdem wird deutlich, dass es bei diesem Konflikt zwischen den Brüdern um eine Frau geht, wohl um die Ehefrau des Opfers. Dabei bleibt wiederum offen, warum der Mörder in diesem Moment nicht in erster Linie an das Opfer denkt, sondern an dessen Frau.
    • Eine Möglichkeit wäre, dass Wese dem Täter diese Frau weggenommen hat und es möglicherweise eine Situation gegeben hat, in der das Opfer den alten Schmerz darüber entweder wieder angefacht oder sogar extrem verstärkt hat. Möglich wäre zum Beispiel eine in diesem Falle tödliche Beleidigung.
Anregung:
  • Es wäre natürlich eine schöne kreative Aufgabe zu überlegen, wie man hier entsprechende Zusatz-Informationen erzählerisch einbringen könnte. Allerdings muss dabei im Auge behalten werden, ob man durch diese Präzisierung nicht möglicherweise die Gesamtaussage der Erzählung verfälscht oder einengt.
  • Vielleicht soll die Erzählung ja gerade ausgehend vom Titel ein breites Spektrum möglicher familiärer Konflikte ins Auge fassen und sich eben nicht auf einen einzelnen konzentrieren.
  • »Getan«, sagt Schmar und wirft das Messer, den überflüssigen blutigen Ballast, gegen die nächste Hausfront. »Seligkeit des Mordes! Erleichterung, Beflügelung durch das Fließen des fremden Blutes! Wese, alter Nachtschatten, Freund, Bierbankgenosse, versickerst im dunklen Straßengrund. Warum bist du nicht einfach eine mit Blut gefüllte Blase, dass ich mich auf dich setzte und du verschwändest ganz und gar. Nicht alles wird erfüllt, nicht alle Blütenträume reiften, dein schwerer Rest liegt hier, schon unzugänglich jedem Tritt. Was soll die stumme Frage, die du damit stellst?«
    • Interessant in diesem Abschnitt ist, dass zum ersten Mal ein breiter Einblick in das Denken einer der Figuren durch den Erzähler präsentiert wird. Gedanken übrigens, die kaum etwas aussagen im Hinblick auf das, was den Leser wirklich interessiert. Stattdessen gibt es hier eher Wort-Fantasien, die offensichtlich der Erregungsabfuhr dienen.
    • Was deutlich wird, ist zum einen die Erleichterung, zum anderen aber auch das Bedürfnis, mit diesem Menschen noch mehr zu machen als ihn nur zu ermorden. Man hat den Eindruck, dass es hier um vollständige Vernichtung geht, ergänzt um das Element der Entwürdigung.
  • Pallas, alles Gift durcheinanderwürgend in seinem Leib, steht in seiner zweiflügelig aufspringenden Haustür. »Schmar! Schmar! Alles bemerkt, nichts übersehen.« Pallas und Schmar prüfen einander. Pallas befriedigt’s, Schmar kommt zu keinem Ende.
    • An diesem Abschnitt wird deutlich, dass es nicht nur um den Mörder und das Opfer geht, sondern diese besondere Zeugen-Situation, die nicht weit weg ist von Voyeurismus, auch eine Rolle spielt.
    • Interessant ist die Beschreibung dessen, was sich in Pallas abspielt. Da ist die Rede von „Gift“, da ist die Rede von „würgen“, aber eben auch von „zusammenzusammen“. Man weiß nicht, ob dieses Gift schon von Anfang an in Pallas gewesen ist oder ob es eben durch das, was er gesehen hat, erst entstanden ist.
    • Wichtig ist ihm auf jeden Fall, dass er die Tat gesehen hat, man kann davon ausgehen, dass er seine Wichtigkeit noch dadurch vergrößern wird, dass er jetzt die Polizei informiert.
    • Es kommt so einem seltsamen Kontakt zwischen den beiden Figuren, die der Erzähler als „prüfen“ bezeichnet. Was damit gemeint ist, wird nicht ganz klar. Wohl aber wird das Ergebnis mitgeteilt: Pallas ist offensichtlich zufrieden, was die Hypothese von Befriedigung verstärkt.
    • Bei dem Täter hat man den Eindruck, dass er noch so mit seinen Gefühlen beschäftigt ist, dass er mit ihnen eben nicht zu Ende kommt.
    • Unklar bleibt, ob diese Gefühle sich an dieser Stelle auf den Zeugen beziehen oder auf Opfer und Tat.
  • Frau Wese mit einer Volksmenge zu ihren beiden Seiten eilt mit vor Schrecken ganz gealtertem Gesicht herbei. Der Pelz öffnet sich, sie stürzt über Wese, der nachthemdbekleidete Körper gehört ihm, der über dem Ehepaar sich wie der Rasen eines Grabes schließende Pelz gehört der Menge.
    • Dieser Absatz erweitert den Figurenblick auf eine ganze Volksmenge. Interessant ist die Unterscheidung zwischen den Gefühlen der Frau, die auch hier wieder filmtechnisch präsentiert werden durch eine entsprechende Aktivität. Deutlich wird die enge Verbundenheit zwischen dem Toten und seiner Frau. Man kann das „gehören“ in eine Beziehung setzen zu dem oben diskutierten Mordmotiv. Offensichtlich hat das Opfer diese Frau, diese Julia, zu seinem Eigentum gemacht und sein Bruder, der Mörder hat das als Raub interpretiert und auf seine Art und Weise bestraft.
    • Der Pelz bekommt hier eine doppelte Funktion,
      • er schützt zum einen diese besondere enge Verbundenheit des Ehepaars,
      • zum anderen aber wird eher als der Menge zugehörig bezeichnet. Das ist zunächst einmal optisch zu erklären, möglicherweise steht dieser Pelz aber auch für vielfältige Anregungen zum Nachdenken bei denen, die nur ihn noch sehen.
  • Schmar, mit Mühe die letzte Übelkeit verbeißend, den Mund an die Schulter des Schutzmannes gedrückt, der leichtfüßig ihn davonführt.
    • Der letzte Absatz ist gar nicht mehr als kompletter Satz formuliert und passt von daher auch zu einer stichwortartigen Beschreibung in einem Filmskript. Was in dem Täter vorgeht, wird durch den Erzähler wieder interpretiert.
    • Dass der Täter den Mund an die Schulter des Schutzmannes drückt, kann auf vielfältige Art und Weise interpretiert werden. Zum Beispiel könnte das einfach auch eine Übersprunghandlung sein, um die Gefühle einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen.
    • Die Schlussbemerkung zum Schutzmann kann einfach bedeuten, dass er hier derjenige ist, der jetzt einfach seine Pflicht erfüllt und damit in einer Welt der Normalität lebt, die für die anderen auf unterschiedliche Art und Weise besondere, aufwühlende Erlebnisse bereithält.

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