Friedrich Hebbel, „Sommerbild“ – Interpretationsansätze auf dem Weg fortlaufender Annäherung (Mat2355 )

Friedrich Hebbel

Sommerbild

  • Grundsätzliches
  • Wenn man die Zeit dazu hat (also nicht gerade in einer Klausur) und auch wirklich herausbekommen will, wie ein solches Gedicht beim  Leser wirkt, dann kann es sinnvoll sein, nicht erst gleich das Gedicht zu lesen, sondern im Hinblick auf die Überschrift zu überlegen, worauf dieses Gedicht hinaus laufen könnte.
  • Denn die Dinge werden klarer, wenn man sie nicht einfach nur so hinnimmt, wie sie sind, sondern sie gleich in einen Verständnis-Zusammenhang stellt. Der muss natürlich im Laufe des Lesens präzisiert, erweitert oder auch korrigiert werden.
  • Für die, die sich für diese Vorgehensweise interessieren: Es handelt sich um ein hermeneutisches Verfahren, bei dem man zunächst ein Vorverständnis entwickelt und das dann im fortlaufenden Kontakt mit dem Text immer weiter präzisiert bzw. auch korrigiert.
    Vgl.
    https://textaussage.de/5-survival-tipps-zur-sicheren-interpretation-bsd-von-gedichten

  • Die Überschrift dieses Gedichtes
  • Die Überschrift besteht aus zwei Wortelementen: es geht in erster Linie um ein Bild und dieses Bild hat irgendetwas mit dem Sommer zu tun.
  • Die erste Hypothese ist sicherlich, dass es sich hier zum Beispiel um eine Landschaft geht, die man sieht oder die vom Maler festgehalten worden ist.
  • Diese Landschaft könnte dann etwas sein, was auf typische Art und Weise zum Sommer gehört..
  • Das mit dem typischen muss natürlich nicht sein, es kann sich auch um eine spezielle Variante handeln, auf jeden Fall muss es etwas mit dem Sommer zu tun zu haben.
  • Im ungünstigsten Falle wäre sogar ein kleiner Wintereinbruch im Sommer ein – dann allerdings sehr spezielles – Sommerbild.

 

Die erste Strophe

Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,

Sie war, als ob sie bluten könne, rot;

Da sprach ich schauernd im Vorübergehn:

 So weit im Leben, ist zu nah am Tod!

 

  • Wenn man die Vorab-Überlegungen zum Titel angestellt hat, fällt es einem leichter, gleich die ersten beiden Zeilen besser zu verstehen. Es geht nämlich ganz offensichtlich um den Abschluss des Sommers. Das ist für viele Menschen eher etwas Trauriges ist, weil anschließend die schöne Zeit vorbei ist und der Herbst die ersten Unannehmlichkeiten, besonders im im Wetterbereich mit sich bringt.
  • Dann geht es um eine „letzte Rose“, das verstärkt den Eindruck des Traurigen, deutet fast schon etwas in Richtung Vergänglichkeit an.
  • Die letzten beiden Zahlen der ersten Strophe verstärken beziehungsweise bestätigen diese Annahme dann auch noch:
  • Es geht hier um das Problem der Zeit, das für alle lebenden Wesen auch Vergänglichkeit bedeutet.
  • Und am Ende des Sommers ist das aus dem genannten Grund besonders bitter.
  • Die wie eine Lebensweisheit klingende Feststellung in der letzten Verszeile betont dann ja besonders den Aspekt, dass je mehr Leben ein Lebewesen hinter sich hat, desto näher ist es eben auch seinem Lebensende.

 

Die zweite Strophe

Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,

Nur leise strich ein weißer Schmetterling;

Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag

Bewegte, sie empfand es und verging.

  • Die zweite Strophe geht dann auf ein besonderes Ereignis ein, das fast ohne Bedeutung zu sein scheint, denn es handelt sich ja nur um einen Schmetterling und die wenigsten Menschen werden wohl gleich daran denken, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings irgendwo auf der Welt ganz woanders große Ereignisse hervorrufen kann.
  • Wie man dann sieht, geht es darum auch gar nicht, denn die letzten beiden Zeilen setzen die Beschreibung des Vorgangs an Ort und Stelle fort. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass er tatsächlich selbst gewissermaßen minimal ist, aber das reicht bereits, um die Rose zum Verblühen zu bringen.
  • Dabei wird die Rose vermenschlicht, als ob sie innerlich auf etwas Äußerliches reagiert. In Wirklichkeit legt das lyrische Ich hier natürlich etwas in die Rose hinein, was es selbst empfindet.

 

Zur Aussage beziehungsweise zur Intentionalität des Gedichtes:

Es zeigt:

  1. Einen ganz speziellen Moment am Ende des Sommers,
  2. und dann, was der Anblick einer letzten Rose beim Betrachter auslösen kann.
  3. Zunächst nämlich einen besonderen Aspekt der Endlichkeit des Lebens, dass, je mehr man gelebt hat, desto weniger Leben übrig bleibt.
  4. In einem zweiten Schritt wird die Vergänglichkeit dann ganz konkret am Beispiel der Rose gezeigt
  5. und interessanterweise mit einem minimalen Auslösefaktor verbunden.
  6. Das verstärkt natürlich insgesamt den literarischen Ausdruck von Vergänglichkeit, einmal in seinem allgemeinen und dann in einem sehr speziellen Charakter.

 

Rückkehr zu den Ausgangsüberlegungen:

Kehren wir zum Schluss noch einmal zu der Anfangsüberlegung zurück: Was ist aus unserem ersten Verständnis des Begriffs „Sommerbild“ geworden.

Es hat sich gezeigt, dass es um einen besonderen Moment geht und ein besonderes Ereignis, das diesen Moment so aussagekräftig macht.

Am Ende hat man als Leser durchaus das Gefühl, dass es Hebbel hier gelungen ist, ein dichterisches Bild zu schaffen für den Sommer, genauer: das Ende des Sommers, das diesen selbst erst so ungeheuer wertvoll macht.

Das kann man auf das Leben insgesamt übertragen – und uns fällt dazu der Satz von Max Frisch ein: „erst aus dem Nichtsein, das wir ahnen, begreifen wir für Augenblicke, daß wir leben“
(zitiert nach: Frauke Maria Hoß, „Philosophische Elemente im Werk von Max Frisch. Grundphänomene menschlicher Existenz in den Romanen “Stiller”, “Homo faber” und “Mein Name sei Gantenbein”, Verlag Traugott Bautz GmbH 99734 Nordhausen 2004ISBN 978-3-88309-212-6
https://content.bautz.de/neuerscheinungen-2004/pdf/9783883092126.pdf

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