Friedrich Schiller, „Der Pilgrim“ – das Ende aller Hoffnungen?(Mat1715)

Worum es hier geht:

Vorgestellt wird ein Gedicht Schillers, in dem keine Hoffnung zu geben scheint – für all die Erwartungen, mit denen man losgezogen ist.

Das Gedicht könnte interessant sein für alle Menschen, die eines Tages feststellen, dass das Stürmische und Hoffnungsvolle der Jugend nicht der Realität standgehalten hat.

Vielleicht ist es gar nicht verkehrt, so etwas mit denen zu besprechen, die sich eher noch in der „Sturm und Drang“-Phase ihres Lebens befinden.

Vielleicht ermuntert sie dieses Gedicht sogar, sich erst mal auf den Weg zu machen und am Ende vielleicht Schiller sogar widerlegen zu können.

Es soll ja auch glückliche Menschen geben, die das Gefühl haben, wichtige Ziele erreicht zu haben – und mit Schrecken daran denken, dass sie sich vielleicht nicht auf den Weg gemacht hätten.

Der Pilgrim

  • Die Überschrift ist recht allgemein gehalten, lässt den Leser aber schon an einen christlichen und wohl auch kirchlichen Kontext denken, in dem jemand auf dem Weg zu Gott bzw. zum Himmelreich ist.
[Strophe 1]
Noch in meines Lebens Lenze

War ich, und ich wandert aus,
Und der Jugend frohe Tänze

Ließ ich in des Vaters Haus.
  • Rückblick auf die Jugend und das Verlassen dessen, was in der Heimat „frohe Tänze“ darstellt, also schön ist und Spaß macht.
  • Ganz bewusst ist von Auswanderung die Rede, also einem völligen Verlassen der Heimat.
  • Unklar bleibt zunächst, inwieweit damit auch schon ein Ziel verbunden ist.

[Strophe 2]

All mein Erbteil, meine Habe

Warf ich fröhlich glaubend hin,
Und am leichten Pilgerstabe
Zog ich fort mit Kindersinn.

  • Die zweite Strophe betont dann noch einmal, dass alles verlassen worden ist,
  • dass dies in einem fröhlichen Glauben geschehen ist, wobei offen bleibt, was mit diesem Glauben genau gemeint ist
  • Dazu kommt am Ende noch der Hinweis auf den „Kindersinn“, also eine innere Einstellung, die noch kindlich geprägt ist, noch nicht erwachsen ist.
    Damit könnte auch nachträgliche Selbstkritik verbunden sein.
    .

[Strophe 3]
Denn mich trieb ein mächtig Hoffen
Und ein dunkles Glaubenswort,
„Wandle“, riefs, „der Weg ist offen,

Immer nach dem Aufgang fort.
  • In dieser Strophe wird etwas näher erklärt, was es mit diesem Glauben auf sich gehabt hat.
  • Es geht um eine relativ ungerichtete Hoffnung, die ein „dunkles Glaubenswort“ hervorgerufen hat und die lediglich sagt, dass man sich auf den Weg machen soll und der irgendwie nach oben führen werde.
  • Das Problem ist hier wirklich die Unklarheit über das Ziel.

[Strophe 4]
Bis zu einer goldnen Pforten
Du gelangst, da gehst du ein,
Denn das Irdische wird dorten
Himmlisch unvergänglich sein.«

  • Auch die nächste Strophe bleibt relativ unbestimmt, weil nur von einer goldenen Pforte die Rede ist.
  • Interessant ist dann aber die Vorstellung von dem, was hinter dieser Pforte sein wird, nämlich letztlich das Irdische, nur eben unvergänglich.
  • Alles hängt jetzt davon ab, wie man „himmlisch“ erklärt.
    • Das kann sich zum einen nur auf das Unvergänglich beziehen, dass man als himmlisch empfindet.
    • Ebenso ist aber auch möglich, dass es auf himmlische Weise unvergänglich sein wird, also möglicherweise in der Substanz dann doch verändert erscheint.
    • Denn wenn man näher nachdenkt, ist das keine schöne Perspektive zum Beispiel für einen chronisch kranken und schmerzgeplagten Menschen , wenn dem versprochen wird, dass dieser Zustand für ihn im Himmel in alle Ewigkeit festgeschrieben wird.
  • Ganz gleich, wie es vielleicht gemeint ist, es bleibt sehr unbestimmt und damit problematisch.

[Strophe 5]
Abend wards und wurde Morgen,
Nimmer, nimmer stand ich still,
Aber immer bliebs verborgen,
Was ich suche, was ich will.

  • Ab hier setzt jetzt die Ernüchterung ein.
  • Zunächst einmal wird auf die Länge dieser Pilgerfahrt eingegangen, dann auch auf die eigene Betriebsamkeit, wenn nicht sogar Anstrengung.
  • Die zweite Hälfte der Strophe macht dann deutlich, dass nichts erscheint, was man positiv erwartet hat.
  • Interessant ist dabei die letzte Zeile, weil sie sich gar nicht mehr direkt auf ein mögliches Versprechen bezieht, sondern auf die eigene Suche und den eigenen Willen:
  • Das heißt: Das lyrische Ich hat die Unklarheit auch in sich selbst.
    .

[Strophe 6]
Berge lagen mir im Wege,
Ströme hemmten meinen Fuß,
Über Schlünde baut ich Stege,
Brücken durch den wilden Fluß.

  • Diese Strophe präsentiert zum einen vielfältige Hindernisse,
  • zum anderen aber auch die Anstrengung, die zu ihrer Überwindung aufgewendet wird

[Strophe 7]
Und zu eines Stroms Gestaden
Kam ich, der nach Morgen floß,
Froh vertrauend seinem Faden,
Werf ich mich in seinen Schoß.

  • Schließlich nähert sich das lyrische Ich einem entscheidenden Moment.
  • Es kommt zu einem Fluss, der nach morgen, also nach Osten fließt, woher ja nach alter Tradition das Licht und damit auch die Klarheit kommen soll („ex opriente Lux“).
  • In diesem Zusammenhang nimmt das lyrische Ich noch mal seinen ganzen Glauben auf und geht das maximale Risiko ein, indem es sich diesem Fluss anvertraut, wie es sich früher vielleicht in den Mutterschoß hineingerettet hat.

[Strophe 8]
Hin zu einem großen Meere
Trieb mich seiner Wellen Spiel,
Vor mir liegts in weiter Leere,
Näher bin ich nicht dem Ziel.

  • Diese Strophe macht deutlich, dass dieses Vertrauen letztlich enttäuscht wird.
  • Was sich verändert, ist nur die Größe des Scheins desFortschritts.

[Strophe 9]
Ach, kein Steg will dahin führen,
Ach, der Himmel über mir
Will die Erde nie berühren,

Und das Dort ist niemals Hier.
  • Dementsprechend besteht das Ende nur aus einer wiederholten Klage, dass es keine Verbindung zum Himmel gibt und was man sich dort verspricht, niemals im Irdischen erreicht werden kann.
  • Letzlich bleibt offen, ob es den Himmel gar nicht gibt oder er nur nicht im Diesseits erreicht werden kann.
  • Für diejenigen, die sich im Religionsunterricht mit der Entwicklung des frühen Christentums beschäftigt haben:
    Schon die ersten Christen haben diese Enttäuschung erlebt, dass ihr Jesus Christus, an dessen Wiederkunft in naher Zukunft sie geglaubt haben, diesen Glauben eben nicht erfüllt hat.
    Sie mussten sich dann umstellen
    und hier könnte man gut den Religionslehrer fragen, wie sie das gemacht und inwieweit sie das geschafft haben.

Anregungen

  • Die Botschaft dieses Gedichtes muss sich ja nicht nur auf den religiösen Bereich beziehen.
  • Jeder Mensch stellt mal fest, dass Erwartungen und Hoffnungen sich anscheinend nicht erfüllen.
  • Die Frage ist dann, wie man damit umgeht.
  • Interessant könnte es auch sein, eine positive 10. Strophe zu schreiben.
Vergleichsmöglichkeit:

Wilhelm Müller, „Der Wegweiser“
https://textaussage.de/wilhelm-mueller-wegweiser

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