Friedrich Schlegel, „Betrachtung“ (Mat6310)

Worum es hier geht:

Offensichtlich geht es um die Spannung zwischen wahrscheinlich genial gemeinter Betriebsamkeit und dem, was Ruhe und Stille auch bedeuten können.

Das Gedicht haben wir hier gefunden.

Es handelt sich um ein Sonett.
Näheres dazu ist hier zu finden:
https://textaussage.de/wvm-baustein-sonett

Friedrich Schlegel

Betrachtung

Anmerkungen zu Strophe 1 (Quartett Nr. 1)
  1. Das kleine Haus, es steht noch an der Stelle,
  2. Wo ich es sonst gesehn vor vielen Jahren,
  3. Seit ich so manches Leid und Freud‘ erfahren,
  4. Umhergetragen auf des Lebens Welle;
    • In der ersten Strophe ergibt sich ein  Spannungsverhältnis zwischen
      • der Erinnerung
      • und dem Rückblick auf die Erfahrungen der letzten Zeit.
Anmerkungen zu Strophe 1 (Quartett Nr. 2)
  1. Dieselben Tritt‘ und Weg‘ an selber Stelle,
  2. Die kleinsten Dinge, wie sie ehmals waren;
  3. Bemüht die alte Ordnung zu bewahren,
  4. Sorgt noch der Diener, wie er alles stelle.
    • Hier wird dann deutlich, dass von der Vergangenheit immer noch viel sichtbar ist,.
    • Das verdankt das lyrische Ich allerdings einem Diener.
    • Leserlenkung: Wird hier aus der Perspektive einer höheren Schicht gesprochen?
Anmerkungen zu Strophe 3 (Terzett Nr. 1)
  1. So bleibt Beschränkung gern in tiefem Frieden;
  2. Wie draußen auch die wilden Stürme toben,
  3. Es lockt die stille Welt da zu verweilen.
    • Hier geht es anscheinend um so etwas wie einen Ruhepunkt im Leben.
    • Vielleicht kann man das auch auf Heimat beziehen.
Anmerkungen zu Strophe 4 (Terzett Nr. 2)
  1. Den kühnern Geist hat immer Ruh vermieden;
  2. Will sinnend auch Gefühl die Stille loben,
  3. Er muß auf wildem Flügel weiter eilen.
    • In seltsamer grammatischer Umkehrung wird hier die Ruhe zum Subjekt und der kühne Geist zum Objekt.
    • Eigentlich müsste es doch anders sein: Der kühne Geist vermeidet die Ruhe, weil er sie zum Beispiel nicht aushält.
    • Idee: Hier wird anscheinend die Ruhe als etwas Übergeordnetes angesehen, das selbst entscheidet, ob es einen Menschen findet oder nicht.
    • Offensichtlich gehört die Stille in das gleiche Feld wie die Ruhe.
    • Am Ende dann das genauere Eingehen auf denjenigen, mit „auf wildem Flügel weiter eilen“ muss.
Zusammenfassung / Aussagen
  1. Typisch für ein Sonett beschreiben die ersten beiden Strophen erst mal eine Situation,
  2. über die dann in den Terzetten reflektiert wird.
  3. Dabei bleibt die eigentliche Aussage seltsam undeutlich:
    1. Geschrieben ist das Gedicht aus der Perspektive eines Weitgereisten, der „auf des Lebens Welle“ geschwommen ist und dabei „Leid und Freud'“ erfahren hat.
    2. Das wieder besuchte Zuhause wird wahrgenommen, alles ist noch so, wie es gewesen ist, was wohl nicht nur positiv gemeint ist. Man denke an die Geschichte vom Herrn K., der zu hören bekommt: „Sie haben sich ja gar nicht verändert“ – und daraufhin lässt Brecht ihn erbleiben.
      Die Geschichte haben wir zum Beispiel hier wiedergefunden.
    3. Außerdem ist der Diener nur „bemüht“, alles zu erhalten – auch weit entfernt, von den immer noch vorhandenen Genieträumen der Romantiker.
    4. Die dritte Strophe beschreibt nur die Verlockung, im Gewohnten zu bleiben.
    5. Vor diesem Hintergrund ist die letzte Strophe wohl positiv zu sehen. Immerhin geht es um einen „kühnern Geist“ – und der folgt einem inneren Drang, der nicht negativ gesehen wird.
    6. Man könnte also die These vertreten, dass hier letztlich auch jeder Art von Philistertum eine Absage erteilt wird. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der „Beschränkung“ dann eindeutig negativ.
    7. Das kann man als Arroganz verstehen und dementsprechend Lust auf ein Gegengedicht bekommen.
      In schnell hingeschriebener moderner Fassung könnte es etwa so aussehen:
      Mensch, Schlegel,
      schön, dass du Genie
      dich wieder mal
      in unsre Gegend traust.
      Es reicht jedoch
      bei weitem nicht
      hier nur ein bisschen
      rumzustolpern.
      Es ist nicht alles mehr
      so wie es war.
      Jedoch wer nur
      dem Diener
      bei der Pflege
      deines Heimathauses zusieht,
      bekommt kein bisschen was
      von all dem mit, was uns auch
      hier bewegt hat und verändert.

Quelle:

Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 170-171.

http://www.zeno.org/nid/20005616093

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