Charakterisierung der Figur der Mutter in Frischs „Andorra“
- Die Mutter ist insofern interessant, weil sie
- zum einen es wirklich gut meint mit Andri,
- zum anderen aber auch ungewollt die falsche Richtung der Identitätsentwicklung unterstützt (Gespräch mit dem Pater)
- und am Ende nichts mehr für Andri tun kann.
- Wenn wir das richtig sehen, tritt die Mutter erstaunlicherweise erstmals im 4. Bild auf, als Andri vom Doktor untersucht wird und sich dabei einiges an antisemitischen Vorurteilen anhören muss.
- Man hat wirklich den Eindruck, dass die Mutter nur „daneben“ steht und sich darauf beschränkt, den gewünschen längeren Löffel für die Untersuchung zu besorgen.
- Dann erkundigt sie sich mehrfach, ob es „schlimm“ um Andri stehe.
- Als Andri dann ein Problem hat, mit dem, was der Doktor über die Juden sagt, kritisiert sie das zumindest kurz und erklärt es dann, dass er ein Jude und nur ihr Pflegesohn sei. Später wird man dann erfahren, dass sie diese Lüge ihres Mannes geglaubt hat, der zu feige war, offen über sein Verhältnis mit der Sonora und Andri als ihr gemeinsames Kind zu sprechen.
- Als der Lehrer dann den Doktor mehr oder weniger aus dem Haus wirft, kritisiert sie das: „Du verkrachst dich mit aller Welt, das macht es dem Andri nicht leichter.“ (42)
- Dann kommt es in der Szene zum Eklat: Andri bittet um die Hand von Barblin – und der Lehrer muss das natürlich verweigern, weil er weiß, dass sie zumindest Halbgeschwister sind und ihn als gemeinsamen Vater haben.
- In einem ersten längeren Statement (46/47) fragt sie immer wieder nach dem Grund, den ihr Mann verständlicherweise immer noch nicht offenbaren will.
- Als der Lehrer nur allgemein über antisemitische Bemerkungen klagt, meint sie: „Du übertreibst“ (47), was zumindest insofern richtig ist, weil das ja nicht der wirkliche Grund für die Weigerung ist.
- Insgesamt hat man in dieser Szene den Eindruck, dass die Mutter sich stark zurückhält, sich nur ansatzweise für die Kinder einsetzt. Das ändert sich erst bei der für sie unverständlichen Weigerung, in die Ehe zwischen Andri und Barblin einzuwilligen.
- Außerdem erfahren wir aus der langen Rede Andris, dass die Mutter vor dem Beginn des Stückes ihm und Barblin überhaupt erst mal Mut gemacht hat, sie für einander zu interessieren, weil sie angesichts der Lügengeschichte des Lehrers nicht verwandt seien, was sich jetzt zumindest ansatzweise als tragischer Irrtum herausstellt.
Ausblick auf weitere Textstellen, die wir noch untersuchen werden:
- 7. Bild
Das siebte Bild ist insofern von Bedeutung, als der Pater deutlich macht, dass es die Mutter gewesen ist, die für dieses Treffen gesorgt hat. Aufgrund ihrer falschen Einschätzung der Lage (sie glaubt ja noch an die Lüge ihres Mannes) möchte sie, dass der Pater André hilft, seine angebliche jüdische Identität anzunehmen. Dies gelingt auch, was ihm letztlich den Tod durch die Schwarzen bringt, da er am Ende seine inzwischen angenommene Identität nicht mehr aufgeben will. - 9. Bild
- Im neunten Bild hat der Lehrer angesichts des Besuchs der Senora offensichtlich im Hintergrund endlich der Mutter die Wahrheit gesagt.
- Diese ist sich jetzt auch über die Beziehungslage ganz klar:
„Ich versteh mehr, als du meinst, Can. Du hast sie geliebt, aber mich hast du geheiratet, weil ich eine Andorranerein bin. Du hast uns alle verraten, aber den André vor allem. Fluch nicht auf die Andorraner, du selbst bist einer.“ (Seite 81) - Sie ahnt jetzt, dass es schwer sein wird, André zu einem erneuten Identitätswechsel zu bringen, deshalb sagt sie zum Pater:
„Gott stehe Ihnen bei, Pater Benedikt.“ (Seite 81) - 12. Bild
- Im letzten Bild erscheint die Mutter zusammen mit dem Lehrer und steht dann mit ihm allein auf dem Platz, auf dem die Judenschau vorgenommen wird. (Seite 110)
- Sie müssen auch beide ein schwarzes Tuch nehmen (Seite 112)
- Erst als André in Gefahr gerät, als einziger Jude abgeführt zu werden, tritt die Mutter auf Seite 121 vor, nimmt ihr Tuch ab und will die Wahrheit sagen.
- Sie kann zumindest loswerden, dass André der Sohn ihres Mannes ist, außerdem bezeugt sie, dass Andri den Stein auf die Senora gar nicht geworfen haben kann, was der Wirt versucht, ihm in die Schuhe zu schieben.
- Die letzte Aufforderung an die Soldaten, Andri loszulassen, wird nicht befolgt, weil genau in dem Moment Geld aus der Tasche des jungen Mannes fällt, was dem allgemeinen Vorurteil gegenüber Juden entspricht und es damit zu bestärken scheint.
- Insgesamt
- bleibt der Eindruck einer relativ schwachen Figur, die zwar deutlich menschliche Züge zeigt, letztlich aber immer nur reagiert und am Ende das Schicksal Andris nicht mehr abwenden kann.
- Bezeichnend ist, dass sie in keinem der Vordergrund-Szenen auftritt, denn sie muss sich für nichts entschuldigen, sie hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles richtig gemacht.
- Letztlich verliert sie am Ende nicht nur ihren Pflegesohn, sondern auch ihre Tochter und ihren Mann, der sich aus Verzweiflung erhängt.
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- „Andorra“ (Drama von Max Frisch)
https://textaussage.de/frisch-andorra-themenseite
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos