Gedichte verstehen – ohne Angst und Zwang: Beispiel Rilke, „Die Städte aber wollen nur das Ihre“ (Mat545-hgs)

Gedichte verstehen – ohne Angst und Zwan

Dieses Material richtet sich an Lehrkräfte im Fach Deutsch, die ihren Schülerinnen und Schülern einen einfachen, motivierenden Zugang zu lyrischen Texten ermöglichen wollen – jenseits von Fachjargon und „sprachlichen Mitteln“. Es versteht sich als ein Einstieg in die Welt der Gedichte, der auf Verstehen statt Zergliedern setzt. Die folgenden Gedanken beziehen sich auf Rainer Maria Rilkes Gedicht „Die Städte aber…“ und zeigen exemplarisch, wie ein erster Zugang gelingen kann – ganz ohne Deutungsstress.

Gefunden haben wir das Gedicht z.B. hier.

1. Was versteht man beim ersten Lesen? (Strophenweise Inhaltsbeschreibung)

*Strophe 1:* Die Städte wirken wie übermächtige Kräfte, die alles Leben – Tiere wie Menschen – in sich aufsaugen und zerstören. Sie erscheinen rücksichtslos, getrieben nur von eigenen Interessen.

*Strophe 2:* Die Menschen verlieren sich selbst in der Stadt. Sie passen sich der hektischen Kultur an, verlieren Maß und Natürlichkeit. Der sogenannte „Fortschritt“ wirkt unecht und oberflächlich – laut, grell, fast prostituiert.

*Strophe 3:* Es ist, als ob die Menschen einem täglichen Trugbild folgen. Das Geld beherrscht ihr Leben, sie selbst werden immer kleiner. Wein, Gift und Geschäft ersetzen echtes Leben – eine erschöpfte Gesellschaft.

2. Hypothetische Gesamtaussage des Gedichts

Das Gedicht zeigt eine tief negative Sicht auf das Leben in Städten. Es kritisiert, wie Menschen sich selbst und ihre Natürlichkeit verlieren – im Lärm, im Geld, in der Geschäftigkeit. Das „eigentliche Leben“ scheint unterzugehen.

3. Was kann man mit dem Gedicht anfangen? – Impulse für eigene Gedanken

– Wie nehme ich Städte selbst wahr? Erlebe ich dort auch Hektik, Lärm, Entfremdung?
– Was könnte mit „natürlichem Leben“ gemeint sein – und wo finde ich das?
– Welche Rolle spielt Geld heute für uns – und was verdrängt es?
– Gibt es in meinem Umfeld Menschen, die sich durch Stress oder Anpassungsdruck verlieren?
– Was hilft mir persönlich, um „bei mir zu bleiben“?

Didaktische Idee

Gedichte wie dieses von Rilke sind keine „Rätseltexte“, sondern oft schon beim ersten Lesen zugänglich – wenn man sich traut, eigene Gedanken zuzulassen. Die vorgeschlagene Dreiteilung (Inhaltsbeschreibung – Hypothese – Eigenbezug) kann dabei helfen, Schüler*innen den Druck zu nehmen und gleichzeitig zu echten Begegnungen mit Literatur zu ermutigen. Alles Weitere – Sprache, Struktur, Stil – darf folgen. Aber nicht gleich zu Beginn.

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