Georg Herwegh, „Bundeslied für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein“ (Mat4220-wbl)

Worum es hier geht:

  • Mit Georg Herweghs „Bundeslied für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein“ stellen wir ein kraftvolles politisches Gedicht aus dem Vormärz vor, das mit eindringlichen Bildern und klarem Rhythmus die soziale Ungleichheit zwischen Arbeitern und Besitzenden anklagt.
  • Es zeigt in zugespitzter Sprache, wie das Volk alles erschafft – aber nichts besitzt – und ruft zur Selbstermächtigung und zum Widerstand auf.
  • Das Besondere ist die direkte Ansprache, die bildhafte Symbolik (Kette, Räder, Bienen) und der kämpferische Ton, der das Gedicht zu einem zeitlosen Appell für soziale Gerechtigkeit macht.
  • Sein Wert liegt sowohl in der historischen Bedeutung für die Arbeiterbewegung als auch in seiner aktuellen Relevanz.

Zu finden ist das Gedicht u.a. hier.

Weiter unten gibt es Infos zum historischen und biografischen Kontext des Gedichtes

1. Einleitung: Verfasser, Titel, Art des Textes, Thema

Verfasser: Georg Herwegh (1817–1875), deutscher politischer Dichter und Publizist. Er gilt als Vertreter des Vormärz (literarische Epoche vor der Märzrevolution 1848), dessen Lyrik oft revolutionär und kämpferisch ist.

Titel: Bundeslied für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein

Art des Textes: Politisches Gedicht / Arbeiterlied

Thema: Das Gedicht thematisiert die soziale Ungleichheit und Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung durch die Besitzenden. Es ruft zur Erkenntnis der eigenen Macht und zur revolutionären Befreiung auf.


2. Äußere Form, Reim und Rhythmus

Strophenform: 11 Strophen zu je 4 Versen (Quartette), relativ gleichmäßig gebaut.

Reimschema: Paarreim (aabb)

Rhythmus:

  • Bet und arbeit! ruft die Welt,
    X    x     X  x     X     x     X
    vierhebiger Trochäus, betonte-unbetonte Silbe

3. Inhaltliche Analyse: Äußerungen des lyrischen Ichs und Struktur

Das Gedicht hat kein explizites lyrisches Ich, es spricht direkt das Volk bzw. den arbeitenden Menschen an. Es ist ein Appell, eine Anklage und ein Aufruf zur Selbstermächtigung.

Strophe 1–2:
  • Gesellschaft ruft zu Arbeit und Gebet – aber beides wird funktionalisiert: „Bete kurz! denn Zeit ist Geld/Brot“ (Z. 2, 4)

  • Kritik an der ökonomischen Logik, die das Leben bestimmt

Zwischenfazit: Der Ton ist ironisch und kritisch. Die religiöse Praxis wird auf ökonomischen Nutzen reduziert – Entfremdung wird spürbar.

Strophe 3–5:
  • Beschreibung der Mühen des Volkes: ackern, hämmern, schürfen, spinnen – ohne Lohn

  • Kontrast: Das Volk produziert alles, aber profitiert nicht – es fehlen Mahlzeit, Kleidung, Herd, Waffe (Z. 9–16)

Zwischenfazit: Der Leser empfindet Empörung über die Ungerechtigkeit. Der Kontrast zwischen Fleiß und Armut wird emotional aufgeladen.

Strophe 6–7:
  • Die Kette als zentrales Bild: körperlich und geistig fesselnd, sogar für das Kind (Z. 17–24)

  • Alles Erarbeitete nützt anderen, bringt dem Volk Fluch statt Segen

Zwischenfazit: Das Bild der Kette symbolisiert systematische Unterdrückung. Die Empörung steigert sich.

Strophe 8–9:
  • Drohnenbild: Die „Menschenbienen“ (Arbeiter) erzeugen den Honig, andere (Drohnen) profitieren

  • Frage: „Habt ihr keinen Stachel mehr?“ (Z. 32) – Aufruf zum Widerstand

Zwischenfazit: Das Tierbild macht den Ausbeutungsmechanismus anschaulich. Der Leser wird aufgerüttelt, Solidarität wird evoziert.

Strophe 10–11:
  • Direktes Erwachen und Appell: „Mann der Arbeit, aufgewacht!“ (Z. 33)

  • Erkenntnis: Alle Räder stehen still, wenn der Arbeiter streikt (Z. 35)

  • Revolutionärer Ruf zur Befreiung: „Brecht das Doppeljoch entzwei!“ (Z. 41)

Schlussfazit: Der Schlussteil ist ein kraftvoller Aufruf zur Aktion. Die Lösung liegt in der Selbstermächtigung der Arbeiterklasse.


4. Zentrale Aussagen des Textes

Das Gedicht zeigt:

  • dass die arbeitende Bevölkerung den Reichtum erschafft, aber nichts davon hat (Z. 7–12)

  • dass das Volk durch das kapitalistische System sowohl körperlich als auch geistig geknechtet wird (Z. 17–24)

  • dass diese Ausbeutung durch Einsicht in die eigene Macht beendet werden kann (Z. 33–40)

  • dass Freiheit und materielles Wohlergehen untrennbar verbunden sind („Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!“ Z. 44)


5. Sprachliche und rhetorische Mittel

Wiederholung:

  • „Bete kurz! denn Zeit ist …“ → zeigt die Reduktion des Lebens auf Nützlichkeit (Z. 2, 4)

  • „Doch wo ist …“ (Z. 13–16) → anaphorische Struktur, betont den Mangel

Metaphern/Symbole:

  • „Kette“ (Z. 21–24) → Sinnbild für Unterdrückung

  • „Menschenbienen“ (Z. 29) → Bild für fleißige, aber ausgenutzte Arbeiter

  • „Alle Räder stehen still…“ (Z. 35) → Symbol für Arbeitsverweigerung = Machtmittel

Rhetorische Fragen:

  • „Sag, o Volk, was du gewinnst?“ (Z. 8) → Empörung, Leserlenkung

  • „Habt ihr keinen Stachel mehr?“ (Z. 32) → Aufforderung zum Widerstand

Imperative:

  • „Aufgewacht!“ (Z. 33), „Brecht …!“ (Z. 41 ff.) → agitatorische Sprache

Kontrastierungen:

  • Produktion vs. Mangel, Arbeit vs. Armut, Masse vs. Elite → Gesellschaftskritik


6. Was kann man mit diesem Gedicht anfangen?

Das Gedicht eignet sich hervorragend zur Diskussion über:

  • soziale Gerechtigkeit und Ungleichheit – damals wie heute

  • politische Lyrik und ihr Wirkungsanspruch

  • Arbeiterbewegung und Klassenbewusstsein

  • Sprache als Mittel der Agitation

Im Unterricht oder gesellschaftlichen Kontext kann es als Impuls dienen, über Machtstrukturen und soziale Verantwortung nachzudenken.


7. Einschätzung der Qualität des Gedichts

Das Gedicht ist sprachlich eindrucksvoll und inhaltlich kraftvoll. Es vereint:

  • eine klare politische Botschaft

  • eingängige Sprache mit starken Bildern

  • rhythmische Struktur mit hoher Suggestivkraft

Stärken:

  • Emotionalisierung durch rhetorische Fragen und Imperative

  • Bilder bleiben im Gedächtnis („Kette“, „Menschenbienen“, „Räder stehen still“)

Wert: Ein bedeutendes Werk der politischen Lyrik des 19. Jahrhunderts – sowohl historisch als auch aktuell relevant.


8. Persönliche Erst-Reaktion von Mia (fiktive Schülerin)

  • Das Gedicht hat mich überrascht – ich hätte nicht gedacht, dass Lyrik so kämpferisch sein kann.

  • Die Ungerechtigkeit, die beschrieben wird, macht einen echt wütend.

  • Ich fand das Bild von den „Menschenbienen“ sehr stark – das bleibt im Kopf.

  • Ich frage mich, ob sich wirklich so viele Menschen durch so ein Gedicht motivieren ließen?

  • Das Symbol der Kette ist einfach, aber sehr wirkungsvoll – auch das mit dem Kind war heftig.

  • „Alle Räder stehen still…“ kannte ich als Spruch, wusste aber nie, woher er kommt.

  • Ich finde, das Gedicht sollte in der Schule gelesen werden – es passt gut zur Diskussion über soziale Gerechtigkeit.

  • Manche Formulierungen sind altmodisch – da muss man manchmal zweimal lesen.

  • Insgesamt ist das Gedicht ein starkes Plädoyer für Selbstbestimmung und Widerstand.

  • Ich könnte mir vorstellen, daraus eine szenische Lesung zu machen – mit Musik und Bildern aus der Arbeiterbewegung.

Ja, der Entstehungskontext von Georg Herweghs „Bundeslied für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein“ ist eng mit der frühen deutschen Arbeiterbewegung und der politischen Situation im 19. Jahrhundert verbunden – insbesondere in der Zeit vor und nach der Revolution von 1848/49.

Hier die wichtigsten Informationen zur Entstehung und zum historischen Kontext:


Historischer Hintergrund

  • Zeit: um 1863
    Das Gedicht entstand im Zusammenhang mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) im Jahr 1863. Dieser wurde von Ferdinand Lassalle gegründet und war die erste bedeutende Arbeiterorganisation in Deutschland.

  • Die politische Lage war geprägt von:

    • der gescheiterten Revolution von 1848/49 (deren Ideale aber weiterwirkten),

    • dem beginnenden Industriezeitalter mit starker sozialer Ungleichheit,

    • wachsendem Klassenbewusstsein unter Arbeitern,

    • ersten Versuchen, soziale Rechte und politische Mitsprache durchzusetzen.


Georg Herweghs Rolle

  • Herwegh war ein bedeutender Dichter des Vormärz und ein Revolutionsanhänger.

  • Bereits in den 1840ern hatte er mit seinen „Gedichten eines Lebendigen“ Furore gemacht – das waren aggressive, systemkritische Texte.

  • Herwegh sympathisierte mit der Arbeiterbewegung und verstand Dichtung als Waffe im politischen Kampf.
    → Das Bundeslied war ausdrücklich als Kampflied und Aufruf zur Mobilisierung gedacht.


Zum Gedicht selbst

  • Es wurde für den ADAV geschrieben – also direkt für eine Arbeiterorganisation.

  • Der berühmte Slogan: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“ wurde zu einem der bekanntesten Mottos der Arbeiterbewegung.

  • Das Gedicht ist somit kein rein literarisches Werk, sondern auch ein propagandistisches Instrument, das zur Solidarität und zum Widerstand aufruft.


Fazit: Bedeutung des Kontextes

Das Gedicht ist ein Produkt seiner Zeit – aber kein veraltetes. Es macht sichtbar:

  • die realen sozialen Missstände im frühen Kapitalismus,

  • die Entstehung des politischen Bewusstseins der Arbeiterschaft,

  • den Versuch, durch Sprache und Kunst politische Veränderung zu bewirken.

Es ist ein Schlüsseltext der deutschen politischen Lyrik und ein frühes Zeugnis für die Verbindung von Literatur und sozialem Engagement.


Wenn du möchtest, kann ich diesen Kontext auch als Einführung für ein Referat oder als Tafelbildentwurf zusammenfassen.

Weitere Infos, Tipps und Materialien

Die wichtigsten Gedichte des Vormärz – sozial und politisch
https://schnell-durchblicken.de/vormaerz-die-wichtigsten-gedichte-der-epoche-fuer-die-schule

Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos