Georg Heym, „Die Nacht“ – Variante: „Alle Flammen starben“ (Mat8480)

Worum es hier geht:

Präsentiert wird eins von zwei Gedichten Georg Heyms mit der Überschrift „Nacht“.
Die andere Variante haben wir hier vorgestellt:
https://schnell-durchblicken.de/georg-heym-die-nacht

Diese Variante hier zeigt ein Gedicht, das den fantasievollen, aber vor allem eigenwilligen Umgang des Expressionismus mit der Wirklichkeit bis an die Grenzen des Möglichen ausreizt.

Erstaunlicherweise gelingt dem Gedicht dabei eine insgesamt doch in sich stimmige Gesamtrichtung, die in Richtung Untergang geht.

Gefunden haben wir das Gedicht z.B. hier.

Georg Heym

Die Nacht

  1. Alle Flammen starben in Nacht auf den Stufen.
  2. Alle Kränze verwehten. Und unten im Blute verloren
  3. Seufzte das Grauen. Wie hinter Gestorbener Toren
  4. Manchmal es fern noch hallt von dunkelen Rufen.
  • Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung einer Situation, in der offensichtlich die letzten Reste des Tages ichtes verschwinden. Das wird in der Metaphorik des Feuers beschrieben.
  • Verbunden wird es im Folgenden mit einer Friedhofsatmosphäre, die auf Klagen vor dem Hintergrund zum Beispiel eines Krieges hindeuten.
  • Am Schluss dann eine Anspielung auf die Situation unmittelbar nach einem Begräbnis.
  1. Eine Fackel noch oben bog aus den Gängen,
  2. Lief im Chor. Und versank wie das Haar der Dämonen
  3. Rot und rauchend. Doch draußen der Waldung Kronen
  4. Wuchsen im Sturm und zerrten sich in die Länge.
  • In der zweiten Strophe wird dann noch auf eine Fackel verwiesen, die gewissermaßen einen Nachzügler des Tageslichtes darstellt.
  • Der anschließend erwähnte Chor hat wohl nichts mit einer Gruppe von Sängern zu tun, sondern bezieht sich auf einen speziellen Raum in (mittelalterlichen) Kirchen.
  • Nicht ganz klar ist dann der Hinweis auf das Haar der Dämonen, das versinkt. Auf jeden Fall wird noch einmal das Motiv des Feuers aufgenommen. dem entgegen steht die eher dunkle, schwarze Welt der Natur, die sich aber auch in einer stürmischen Situation befindet.
  1. Und in Wolken hoch kamen mit wilden Gesängen
  2. Weiß die Greise der Stürme, und riesige Vögel scheuchten
  3. Über den Himmel hinab, wie Schiffe mit feuchten
  4. Segeln, die schwer auf den Wogen hängen.
  • In der dritten Strophe werden dann wilde Fantasien präsentiert, die sich in einer stürmischen Nacht durchaus ergeben konnten.
  • Am Ende dann ein weiterer Gedankensprung in die Welt der Seefahrt, mit der schwer verständlichen Vorstellung, dass Segel „schwer auf den Bogen hängen“.
  • Es ergibt sich der Eindruck, dass sich die entsprechenden Schiffe nicht mehr bewegen können, zumindest nicht kontrolliert. Dies entspricht der Gesamtatmosphäre des Untergangs.
  1. Aber die Blitze zerrissen mit wilden und roten
  2. Augen die Nacht, die Öde der Säle zu hellen,
  3. Und in den Spiegeln standen mit Köpfen, den grellen,
  4. Drohend herauf mit schwarzen Händen die Toten.
  • In der vierten Strophe dann die Vorstellung von einem Gewitter, das hier die Funktion bekommt, irgendeine „Öde der Säle“ heller werden zu lassen. Offensicht geht das in die Richtung, dass menschliche Behausung das Leben in ihrem Inneren verloren haben.
  • Am Ende der Strophe dann die Vorstellung von Toten, die sich wie Gespenster präsentieren.
  1. Bleibe bei mir. Daß unsere Herzen nicht stocken
  2. Wenn die Türen sich auftun ins Finstere leise
  3. Und in der Stille es steht. – Und sein Atem von Eise
  4. Unsere Adern verdorrt und die Seelen macht trocken
  • In der fünften Strophe dann die Bitte an irgendjemanden oder irgendetwas, es solle bei dem lyrischen Ich bleiben, damit „Herzen nicht stocken“.
  • Das ist wohl als eine Art Hilferuf zu verstehen.
  • Dann wieder eine wilde Kombination von einer bedrohlichen Welt hinter irgendwelchen Türen, die eine tödliche Wirkung auf den Betrachter haben.
  1. Daß sie dünn wie ein Hauch aus der Tiefe sich lösen,
  2. Flattern hinaus in die Nacht und sinken und fallen
  3. Dürr wie die Blätter, die traurig am Boden wallen
  4. Schlürfend ins Leere dahin, im Winde dem bösen.
  • In der sechsten Strophe dann die fantasievolle Vorstellung von Seelen, die auf eine besondere Art und Weise verschwinden, sich mit der Nacht verbinden und dann wie Blätter im Herbst auf dem Boden liegen.
  • Ihnen wird eine seltsame Bewegung zugeschrieben, die mit dem Vorgang des Schlürfens eines Getränks verbunden werden.
  • Das kann man so verstehen, dass die außen vorhandene Lehre von den Seelen aufgenommen wird.
  1. Wenn der Donner Gelächter im Dunkel verhallen.
  • Dann – etwas ungewöhnlich für ein expressionistisches Gedicht – eine einzelne Zeile am Schluss, die das Naturereignis des Gewitters verbindet mit einer nicht sehr schönen, eher unmenschlichen Vorstellung vom Lachen.

Insgesamt ein Gedicht,

  • das auf die übliche Art und Weise des Expressionismus vor allem aus Fantasie-Vorstellungen des lyrischen Ichs besteht.
  • Das Besondere ist hier aber ein außergewöhnlicher Reichtum an Signalen, die der Leser mit bestimmten Vorstellungen verbinden kann.
  • Wenn man sich auf die Welt des Gedichtes einlässt, ist das verbunden mit vielfältigen Phänomen des Untergangs.

Weitere Infos, Tipps und Materialien