Georg Trakl, „Unterwegs“ (Mat888-uw1)

Ein Reisegedicht?

Man kann durchaus auch im Chaos einen roten Faden sehen

  1. Ständiges Vorwärts- und Herumziehen

    • Platzwechsel, kreisende Bazare, strömende Arbeiter, Karossen auf „Brücken von Kristall“ – das Gedicht zeigt dauernde Bewegung.

    • Das lyrische Ich wirkt wie ein Flaneur, der rastlos Schauplätze an- und wieder verlässt.

  2. Überwältigende Sinneseindrücke

    • Duft, Qualm, Goldstrahl, Lärm, Lichtblitze: Die Wahrnehmung ist unterwegs, springt von Reiz zu Reiz – typisch expressionistische Großstadt­erfahrung.

  3. Kein Ziel, nur Stationen

    • Es gibt weder Ruhe- noch Mittelpunkt. Traum, Fabrik, Opernhaus, Elendsquartier – jeder Ort wird angerissen, dann sofort vom nächsten abgelöst.

    • So entsteht das Gefühl eines „endlosen Unterwegs­seins“ ohne Ankunft.

  4. Innere Wanderung durch Stimmungen

    • Wechsel zwischen Faszination (goldner Glanz, Märchen) und Abscheu (Gestank, Toter).

    • Das Unterwegssein ist auch psychisch: ein Pendeln zwischen Hoffnung und Entsetzen.

  5. Gegenbewegungen von Natur- und Technikbildern

    • Dryaden, Falter, „Schein von Wäldern“ tauchen kurz auf, werden aber von Industrie- und Stadtmotiven verdrängt.

    • Dieses Hin- und-Her illustriert das moderne Lebensgefühl: zugleich angezogen und abgestoßen.

Kurzform:
Das Gedicht macht „Unterwegssein“ selbst zum Prinzip: ein rastloser Durchlauf durch Orte, Reize und Empfindungen, bei dem jede Szene sofort weitergeschoben wird – Bewegung ohne Ziel, typischer Ausdruck der zerrissenen, expressionistischen Moderne.

Worum es hier geht:

Präsentiert wird ein Gedicht, das in typisch expressionistischer Weise innere Ausdrucksnotwendigkeiten  mit fast beliebig erscheinenden Elementen der Außenwelt verbindet.

Gefunden haben wir das Gedicht hier:

Georg Trakl

Unterwegs

1. Fassung

  1. Ein Duft von Myrrhen, der im Zwielicht irrt.
  2. Im Qualm versinken Plätze rot und wüst.
  3. Bazare kreisen und ein Goldstrahl fließt
  4. In alte Läden seltsam und verwirrt.
    • Eine verwirrende Stadtwelt wird gezeigt.
    • Bazare = Geschäftsviertel, das Kreisen entsteht durch den umherirrenden Blick
  5. Im Spülicht glüht Verfallnes; und der Wind
  6. Ruft dumpf die Qual verbrannter Gärten wach.
  7. Beseßne jagen goldnen Träumen nach.
  8. An Fenstern ruhn Dryaden schlank und lind.
    • Hier verstärkt sich der Eindruck von Verfall und verrückter Reaktion der Menschen
    • „Spülicht“ könnte mit Spülen nach dem Essen zusammenhängen
    • Dryaden sind Baum-Nymphen, also sagenhafte Gestalten .
  9. Traumsüchtige wandeln, die ein Wunsch verzehrt.
  10. Arbeiter strömen schimmernd durch ein Tor.
  11. Stahltürme glühn am Himmelsrand empor.
  12. Märchen in Fabriken grau versperrt!
    • Hier wird noch mal die Reaktion der Menschen auf diese Welt aufgenommen.
    • Dann erscheint die Industriewelt – ein häufiges Thema des Expressionismus.
    • Deutlich wird dann, dass diese Fabriken Märchen wegsperren.
      Eine Tendenz in Richtung Romantik.
  13. Im Finstern trippelt puppenhaft ein Greis
  14. Und lüstern lacht ein Klimperklang von Geld.
  15. Ein Heiligenschein auf jene Kleine fällt,
  16. Die vorm Kaffeehaus wartet, sanft und weiß.
    • Auch hier wieder Verfall,
    • aber auch Kritik am Kapitalismus
    • Eine „Kleine“ erscheint demgegenüber fast als etwas Heiliges.
  17. goldner Glanz, den sie in Scheiben weckt!
  18. Durchsonnter Lärm dröhnt ferne und verzückt.
  19. Ein krummer Schreiber lächelt wie verrückt
  20. Zum Horizont, den grün ein Aufruhr schreckt.
    • Hier wirkt sich das Heilige noch im goldenen Glanz aus,
    • Dann die Verbindung von Licht und Lärm, dazu von „dröhnen“ und „verzückt“ – also Verbindung von Gegensätzen – hier gibt es keine klare Ordnung – in der Vorstellungswelt des lyrischen Ichs.
  21. Auf Brücken von Kristall Karrossen ziehn,
  22. Obstkarren, Leichenwagen schwarz und fahl,
  23. Von hellen Dampfern wimmelt der Kanal,
  24. Konzerte klingen. Grüne Kuppeln sprühn.
    • Jetzt geht die Fantasie mit dem lyrischen Ich durch, allerdings schnell wieder in Verbindung mit Verfall und hier sogar mit Tod.
    • Demgegenüber die helle Welt derer, die noch leben.
  25. Volksbäder flimmern in Magie von Licht,
  26. Verwunschne Straßen, die man niederreißt.
  27. Ein Herd von Seuchen wirr im Äther kreist,
  28. Ein Schein von Wäldern durch Rubinstaub bricht.
    • Nach dem Positiven der Volksbäder kommt gleich wieder etwas Negatives, Unromantisches, wie es weiter oben schon anklang.
    • Dann fallen dem lyrischen Ich auch noch Seuchen ein, die durch die Luft schwirren.
    • Am Ende dann wieder Rückkehr zu etwas Schönem.
  29. Verzaubert glänzt im Grau ein Opernhaus.
  30. Aus Gassen fluten Masken ungeahnt,
  31. Und irgendwo loht wütend noch ein Brand.
  32. Ein kleiner Falter tanzt im Windgebraus.
    • Hier wieder ein Anklang an Romantik, verbunden mit Musik und im Kontrast zur ansonsten grauen Welt der Gegenwart.
    • Die Menschen kommen dem lyrischen Ich wie maskiert vor, die  man nicht „ahnen“, verstehen kann.
    • Dann noch ein Brand
    • und am Ende ein bisschen Natur, die aber wohl weggeweht wird.
  33. Quartiere dräun voll Elend und Gestank.
  34. Violenfarben und Akkorde ziehn
  35. Vor Hungrigen an Kellerlöchern hin.
  36. Ein süßes Kind sitzt tot auf einer Bank.
    • Hier dann die Sozialkritik, die in vielen Gedichten des Expressionismus eine Rolle spielt.
    • Dann der Kontrast zwischen Ansätzen von Schönheit und Elend.
    • Am Ende dann der Höhe- oder Tiefpunkt, wenn ein an sich „süßes Kind“ das Elend anscheinend nicht überstanden hat.

Das Gedicht zeigt:

  1. eine verwirrende Welt,
  2. die zwar ansatzweise Schönheit zeigt,
  3. aber im Kontrast zu Verfall und Elend.
  4. Deutlich wird die Verhinderung von Romantik.

Das Besondere des Gedichtes ist die typisch expressionistische Aneinanderreihung von eher inneren Gefühlen, die durch fast beliebig erscheinende Elemente der Außenwelt ausgedrückt werden.

Man darf hier also nicht nach Beschreibungselementen suchen, sondern muss von Fantasieprodukten ausgehen.

Weitere Infos, Tipps und Materialien