Worum es hier geht:
- Schüler empfinden Gedichte als etwas Großes, Fremdes, Fertiges, mit dem man sich jetzt herumschlagen muss.
- Von Goethe gibt es ein schönes Beispiel, bei dem er sich selbst mit etwas herumschlagen musste.
- Zunächst mit tiefen Gefühlen
- und dann mit der Frage, wie er sie wieder los wird.
- Denn Gefühle waren für ihn etwas Schönes –
- sie durften ihn nur nicht einengen.
- —
- Im Folgenden präsentieren wir eins seiner berühmtesten Liebesgedichte in zwei verschiedenen Fassungen.
Das Wesentliche auf einen Blick:
- Es gibt zwei Fassungen, eine von 1771 und eine etwa von 1785.
- Damit hat man die besondere Möglichkeit, dass ein Dichter einmal eine Situation aus der Sicht des Sturm und Drang und einmal aus der Sicht der Klassik betrachtet.
- Das Besondere ist inhaltlich der Rollentausch im Abschied:
- In der frühen Fassung von 1771 verlässt die Geliebte das lyrische Ich:
„Du gingst, ich stund und sah zur Erden“. - In der späteren Fassung von 1785 wird dieser Rollentausch umgekehrt, und das lyrische Ich verlässt die Geliebte:
„Ich ging, du standst und sahst zur Erden“ - Hier wird deutlich, wie unterschiedlich Goethe die Situation beschreibt – einmal aus der unmittelbaren Nähe – und einmal aus zeitlicher Distanz.
- Frühe Fassung: geprägt von starker Emotionalität, typisch für die Sturm-und-Drang-Zeit.
„Mein Geist war ein verzehrend Feuer, / Mein ganzes Herz zerfloss in Glut“ - Spätere Fassung: zurückgenommene Leidenschaft, was Goethes Entwicklung hin zur Weimarer Klassik deutlich macht.
- In der frühen Fassung von 1771 verlässt die Geliebte das lyrische Ich:
Erste Variante – aus dem Jahr 1771
Es schlug mein Herz, Geschwind, zu Pferde!
Und fort, wild wie ein Held zur Schlacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche,
Wie ein getürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah schläfrig aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch tausendfacher war mein Mut:
Mein Geist war ein verzehrend Feuer,
Mein ganzes Herz zerfloss in Glut.
Ich sah dich, und die milde Freude
Floß aus dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Lag auf dem lieblichen Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!
Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!
Aus deinen Blicken sprach dein Herz.
In deinen Küssen welche Liebe,
O welche Wonne, welcher Schmerz!
Du gingst, ich stund und sah zur Erden,
Und sah dir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!
Zweite Variante – aus dem Jahr 1785
Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
- Die doch recht wild und kriegerisch klingende Formulierung klingt hier sehr viel ruhiger.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgetürmter Riese, da, [wirkt geschlossener, besser eingebunden]
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor, [passt besser zur Gesamtaussage]
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut: [klingt überlegter u. überlegender]
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!
- Beides wirkt zurückgenommener – vom Geist in die Adern, nichts mehr vom Verzehrenden – und das Herz zerfließt auch nicht mehr.
Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich – ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!
Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden,
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Liebesgedichte
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