Hermann Hesse, „Der Steppenwolf“ – Schlüsselzitate, mit denen man den Roman wirklich versteht (Mat8484)

Worum es hier geht:

Wir wollen den Roman von Hesse so mit Schlüsselzitaten erklären, dass man ihn schon mal grundsätzlich versteht.

Anschließend kann man in die Detail-Lektüre hineingehen.

Unsere Textgrundlage
Wir verwenden im Folgenden die Kindle-EBook-Ausgabe des Suhrkamp Verlages , Berlin 2011
eISBN 978-3-518-73610-4

Die hier angegebenen Seiten lassen sich leicht umrechnen mit der folgenden Tabelle. Hier zunächst im Bild, darunter als PDF-zum Download.

04-21: Vorwort des Herausgebers

Der Roman beginnt mit einem Vorwort, in dem ein übergeordneter Erzähler als Herausgeber sein Projekt vorstellt, nämlich die Präsentation von angeblich übrig gebliebenen „Aufzeichnungen“ eines besonderen Menschen, den er zunächst einmal aus der „Erinnerung“ vorstellt.

Das Schaubild soll die Annäherung des Mannes „aus einer fremden Welt“ an die „Normalität“ deutlich machen. Deren Vertreter, der Herausgeber und seine Tante als Vermieterin, lassen sich wiederum von diesem Mann und seiner Welt „einfangen“, ja „verzaubern“.

Im Folgenden nun die wichtigsten Textstellen, die die erste Begegnung zwischen den beiden Welten – bei der Anmietung der Wohnung – deutlich werden lassen.

  • (04) Es geht um die „Aufzeichnungen“ eines Mannes, den der Erzähler kennengelernt hat und nun aus der „Erinnerung“ vorstellt.
  • (04) „ungesellig“ – in Verbindung mit „Vereinsamung“ als entscheidendes Kennzeichen des Mannes
  • (04) „O, hier riecht es gut“ – als erste Bemerkung des Mannes – das zeigt sein ungewöhnliches Verhalten, aber auch die Intensität, mit der er eine Umgebung wahrnimmt
  • (05) „aus einer fremden Welt“ – so kommt der Mann dem Erzähler vor#
  • (05) „und doch schien er bei alledem nicht recht dabei zu sein, schien sich selber in seinem Tun komisch zu findet und nicht ernst zu nehmen“ – „während er eigentlich und im Innern mit ganz anderen Sachen beschäftigt wäre“: Das zeigt die Besonderheit dieses Menschen, der sich nicht einfach in das einfügt, was für alle selbstverständlich ist.
  • (05) „Vor allem war es das Gesicht des Mannes, das mir von Anfang an gefiel; trotz jenes Ausdruckes von Fremdheit gefiel, es mir, es war ein vielleicht etwas eigenartiges und auch trauriges Gesicht, aber ein waches, sehr gedankenvolles, durchgearbeitetes und vergeistigtes. „

Hier wird die Beziehung des Erzählers zu dem Mann deutlich – außerdem wird das Verhältnis von Äußerem und Innerem beim Steppenwolf beschrieben.

  • (06): „ganz ohne Hochmut“ – „etwas beinah Rührendes, etwas wie Flehendes“ – „das mich … sofort ein wenig für ihn einnahm“

Hier wird ein weiterer Charakterzug deutlich, nämlich das Sich-nicht-über-andere-Stellen – vielmehr ein Bemühen um Mitmenschlichkeit, das zumindest beim Erzähler gut ankommt.#

  • (06): Auch die Tante lässt sich als Vermieterin „einfangen“, ja sogar „verzaubern“, während dem Erzähler die Bitte um den Verzicht auf eine polizeiliche Anmeldung doch „verdächtig“ vorkommt.

75: Übertragung der Erfahrung der Beerdigung auf die gesamte Kultur

Harry Haller erinnert sich bei der Vorbereitung auf den Besuch bei einem Professor an eine Beerdigung, in die er kurz zuvor geraten ist. Dies macht ihm klar, dass auch er demnächst irgendwann unter ähnlich „trostlosen“ Bedingungen unter die Erde kommen würde. Dieses Ende des einzelnen Menschen ist für ihn ein Sinnbild auch des Endes der Kultur, in der er groß geworden ist:

„… so endete alles, unser ganzes Streben, unsre ganze Kultur, unser ganzer Glaube, unsre ganze Lebensfreude und Lebenslust, die so sehr krank war und bald auch dort eingescharrt werden würde. Ein Friedhof war unsre Kulturwelt, hier waren Jesus Christus und Sokrates, hier waren Mozart und Haydn, waren Dante und Goethe bloß noch erblindete Namen auf rostenden Blechtafeln, umstanden von verlegenen und verlogenen Trauernden, die viel dafür gegeben hätten, wenn sie an die Blechtafeln noch hätten glauben können, die ihnen einst heilig gewesen waren, die viel dafür gegeben hätten, auch nur wenigstens ein redliches, ernstes Wort der Trauer und Verzweiflung über diese untergegangene Welt sagen zu können, und denen statt allem nichts blieb als das verlegne grinsende Herumstehen an einem Grab.“

134: Anmerkung zu den scheinbar kleinen Geschenken

Mit den Geschenken ist es ja so eine Sache. Man sucht das Besondere und landet dann häufig beim Exklusiven und Teuren.

Man kann aber auch anders an die Sache herangehen – und dann kann sogar scheinbarer Kitsch zu plastischem „Material der Liebe“ werden.

Nachzulesen im Roman „Der Steppenwolf“, auf S. 134

„In diesen Dingen, von welchen ich bisher weniger gewusst und verstanden hatte als von irgendeiner Eskimo-Sprache, lernte ich von Maria viel. Ich lernte vor allem, dass diese kleinen Spielzeuge, Mode- und Luxussachen nicht bloß Tand und Kitsch sind und eine Erfindung geldgieriger Fabrikanten und Händler, sondern berechtigt, schön, mannigfaltig, eine kleine oder vielmehr große Welt von Dingen, welche alle den einzigen Zweck haben, der Liebe zu dienen, die Sinne zu verfeinern, die tote Umwelt zu beleben und zauberhaft mit neuen Liebesorganen zu begaben, vom Puder und Parfüm bis zum Tanz- schuh, vom Fingerring bis zur Zigarettendose, von der Gürtelschnalle bis zur Handtasche. Diese Tasche war keine Tasche, der Geldbeutel kein Geldbeutel. Blumen keine Blumen. der Fächer kein Fächer, alles war plastisches Material der Liebe, der Magie, der Reizung, war Bote, Schleichhändler, Waffe, Schlachtruf.“

143: Zur Frage von Zeit und Ewigkeit:

Analyse eines Gesprächsauszugs zwischen dem Steppenwolf und seiner „Kameradin“ Hermine

  1. „Und so, meine ich, ist es vielleicht immer gewesen und wird immer sein. und das. was sie in den Schulen Weltgeschichte heißen und was man da auswendig lernen muss für die Bildung, mit allen den Heiden, Genies, großen Taten und Gefühlen – das ist bloß ein Schwindel von den Schullehrern erfunden, für Bildungszwecke und damit die Kinder während der vorgeschriebenen Jahre doch mit etwas beschäftigt sind. Immer ist es so gewesen und wird immer so sein, dass die Zeit und die Welt. das Geld und die Macht den Kleinen und Flachen gehört, und den ändern, den eigentlichen Menschen, gehört nichts. Nichts als der Tod.“
    • Der Ausschnitt setzt an einer Stelle an, an der Kritik geübt wurde an den realen Machtverhältnissen in der Welt. Hermine findet es problematisch, dass letztlich die falschen Dinge im Fach Geschichte behandelt werden.
    • Das erinnert sehr an Bertolt Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“.
  1. „Sonst gar nichts?
  2. Doch, die Ewigkeit.
  3. Du meinst den Namen, den Ruhm bei der Nachwelt?
  4. Nein, Wölfchen, nicht den Ruhm – hat denn der einen Wert? Und glaubst du denn, dass alle wirklich echten und vollen Menschen berühmt geworden und der Nachwelt bekannt seien?
  5. Nein, natürlich nicht.
  6. Also, der Ruhm ist es nicht. Der Ruhm existiert nur so für die Bildung, er ist eine Angelegenheit der Schullehrer. Der Ruhm ist es nicht, o nein! Aber das, was ich Ewigkeit nenne. Die Frommen nennen es Reich Gottes. Ich denke mir: wir Menschen alle, wir Anspruchsvolleren, wir mit der Sehnsucht, mit der Dimension zuviel, könnten gar nicht leben, wenn es nicht außer der Luft dieser Welt auch noch eine andre Luft zu atmen gäbe, wenn nicht außer der Zeit auch noch die Ewigkeit bestünde, und die ist das Reich des Echten. Dazu gehört die Musik von Mozart und die Gedichte deiner großen Dichter, es gehören die Heiligen dazu, die Wunder getan, die den Märtyrertod erlitten und den Menschen ein großes Beispiel gegeben haben. Aber es gehört zur Ewigkeit ebenso das Bild jeder echten Tat, die Kraft jedes echten Gefühls, auch wenn niemand davon weiß und es sieht und aufschreibt und für die Nachwelt aufbewahrt. Es gibt in der Ewigkeit keine Nachwelt, nur Mitwelt.“
    • Auf die Frage, was denn für die einfachen Menschen übrig bleibt, gibt Hermine die überraschende Antwort: „Nichts als der Tod“ und „die Ewigkeit“.
    • Erstaunlich dann die etwas blöde Nachfrage des Steppenwolfs nach dem „Ruhm bei der Nachwelt“ – denn die gehört ja nun wirklich nicht zu den Armen, den letztlich Geschichtslosen – also denen, von denen nichts übrig bleibt in den Geschichtsbüchern.
    • Hermine umschreibt dann das, was sie wirklich meint, auf vielfältige Weise: Sie stellt eine Beziehung zum „Reich Gottes“ her, auch zum „Reich des Echten“, wozu große Literatur, aber auch die Taten der Heiligen und Märtyrer gehören.
    • Interessant, dass es nicht darauf ankommt, ob jemand „davon weiß und es sieht und aufschreibt und für die Nachwelt aufbewahrt“ – ein sehr tröstlicher Gedanken für die große Mehrheit der echten guten Menschen, deren  Taten eben nicht historisch werden, d.h. aufgeschrieben und überliefert werden.
    • Am Ende dann der geheimnisvolle Satz, dass es in der Ewigkeit nur „Mitwelt“ gebe. Auch wenn man es in den Kategorien des Diesseits nicht verstehen kann – man kann es zumindest nachvollziehen, denn in der Ewigkeit fällt das Diktat, das Ausschlusskriterium der Zeit weg.
  1. „Du hast recht , sagte ich.
  2. Die Frommen , fuhr sie nachdenklich fort, haben doch am meisten davon gewusst. Sie haben darum die Heiligen aufgestellt und das, was sie die Gemeinschaft der Heiligem heißen. Die Heiligen, das sind die echten Menschen, die jüngeren Brüder des Heilands. Zu ihnen unterwegs sind wir unser Leben lang, mit jeder guten Tat, mit jedem tapferen Gedanken, mit jeder Liebe. Die Gemeinschaft der Heiligen, die wurde in früheren Zeiten von den Malern dargestellt in einem goldenen Himmel, strahlend, schön und friedevoll – sie ist nichts andres als das, was ich vorher die Ewigkeit genannt habe. Es ist das Reich jenseits der Zeit und des Scheins. Dorthin gehören wir, dort ist unsre Heimat, dorthin strebt unser Herz, Steppenwolf, und darum sehnen wir uns nach dem Tod. Dort findest du deinen Goethe wieder und deinen Novalis und den Mozart. und ich meine Heiligen, den Christoffer, den Philipp von Neri und alle. Es gibt viele Heilige, die zuerst arge Sünder waren, auch die Sünde kann ein Weg zur Heiligkeit sein, die Sünde und das Laster. Du wirst lachen, aber ich denke mir oft, dass vielleicht auch mein Freund Pablo ein versteckter Heiliger sein könnte. Ach Harry, wir müssen durch so viel Dreck und Unsinn tappen, um nach Hause zu kommen! Und wir haben niemand, der uns führt, unser einziger Führer ist das Heimweh.“
    • Jetzt endlich hat der Steppenwolf sie verstanden.
    • Noch einmal kehrt Hermine zur Welt der „Frommen“ zurück und zur Institution der Heiligen.
    • Die sind vor allem zu erkennen an „jeder guten Tat“, an „jedem tapferen Gedanken“, an „jeder Liebe“.
    • Jetzt wird ein früherer Gedanke noch verständlicher: Es ist die „Gemeinschaft der Heiligen“, die zugleich die Ewigkeit bildet, so dass eben auch keine gute Tat verlorengehen kann. Hier geht es natürlich nicht um die Heiligen, die im katholischen Kalender stehen – sondern die Menschen, die die genannten Kriterien erfüllen.
    • Dann wird das Reich der Ewigkeit nicht nur von der „Zeit“ abgegrenzt, sondern auch vom „Schein“.
    • Dann der wunderbare Satz, dass alle Menschen dort ihre „Heimat“ finden, der man zustrebt. Hier merkt man, dass Hesse tief verwurzelt ist im sog. Pietismus, einer intensiven persönlichen Frömmigkeit – mit einer sehr engen Beziehung zu Gott.
    • Das „wir uns nach dem Tod“ sehnen – verwundert sicher jeden, der nur an eine Welt diesseits der Transzendenz glaubt. Aber Hesses Roman nimmt eben noch jenes alte Christentum auf, das bis in die Zeit der Urgemeinde und ihrer Märtyrer zurückgeht und das geprägt war durch die Spannung zwischen dem Noch-Leben-im-Diesseits und das sich schon Freuen-aufs-Jenseits.
    • Davon unabhängig ist diese Vorstellung offen für eine Gottzugehörigkeit jenseits der engen Grenzen einer Religion. So gehören eben auch Goethe, Mozart und Novalis dazu.
    • Auch gibt es eine enge Verbindung von den Sündern zu den Heiligen. Allerdings muss man erst ein bisschen schlucken, wenn es heißt: „auch die Sünde kann ein Weg zur Heiligkeit sein, die Sünde und das Laster“.#
    • Aber damit ist sicher kein Freibrief gemeint, sondern die Vorstellung von einem Erfahrungs-Durchgangsstadium, das zum Menschen eben gehört. Das passt schon ziemlich zu Goethes Faust-Definition: „Es irrt der Mensch, solang er strebt.“ Dazu kommt dann die göttliche Gewissheit: „Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, ist sich des rechten Weges wohl bewusst.“
    • Das Folgende kann man fast als eine Präzisierung bzw. Konkretisierung des Prologs im Himmel in Goethes Faust auffassen: “ Ach Harry, wir müssen durch so viel Dreck und Unsinn tappen, um nach Hause zu kommen! Und wir haben niemand, der uns führt, unser einziger Führer ist das Heimweh“.
  1. „Ihre letzten Worte hatte sie wieder ganz leise gesprochen, und jetzt war es friedlich still in dem Zimmer, die Sonne war am Untergehen und machte die Gold- Schriften auf den vielen Bücherrücken meiner Bibliothek schimmern. Ich nahm Herminens Kopf in meine Hände, küsste sie auf die Stirn und lehnte ihn Wange an Wange zu mir, geschwisterlich, so blieben wir einen Augenblick. Am liebsten wäre ich so geblieben und heute nicht mehr ausgegangen.“
  • Hier wird deutlich, wie stark diese Worte auf Harry Haller eingewirkt haben.
  • Auch wird deutlich, dass die beiden hier jenseits der sexuellen Körperlichkeit sind – ihr Verhältnis ist „geschwisterlich“. Dabei muss man wissen, dass es in den pietistischen Gemeinden üblich war, sich untereinander als „Geschwister“, im Einzelnen dann „Bruder“ und „Schwester“ zu verstehen.
  • Man kann verstehen, dass der früher mal lebenskranke Steppenwolf diese Atmosphäre jenseits des „Scheins“ nicht so schnell wieder verlassen möchte.

 

166ff: „Auf zum fröhlichen Jagen! Hochjagd auf Automobile“

  • Beim Besuch des Magischen Theaters probiert der Steppenwolf eine Tür aus, hinter der es zugeht wie in einem Ego-Shooter-Computerspiel. Es gibt einen „Kampf zwischen Mensch und Maschinen“, bei dem es primär um die Zerstörung von Technik geht, aber menschliche Opfer problemlos in Kauf genommen werden.
  • Deutlich sind die Parallelen zum Krieg, der in Form der Massenschlächterei des Ersten Weltkrieges ja beim Erscheinen des Romans kaum 10 Jahre zurückliegt.
  • „es war Krieg, ein heftiger, rassiger und höchst sympathischer Krieg“ (167)
  • „Ich sah, wie allen die Zerstörungs- und Mordlust so hell und aufrichtig aus den Augen lachte“ (167).
  • Besonders irritierend das Gespräch mit einem der – in diesem Falle – schwerverletzten Opfer, einem Oberstaatsanwalt (170). Man wird erinnert an die Luftkämpfe im Ersten Weltkrieg, in denen sich die Piloten gegenseitig umbrachten, aber auch eine seltsame Ritterlichkeit zeigten, wenn der militärische Erfolg erreicht war.

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