Hoffmannswaldau, „Vergänglichkeit der Schönheit“ (Mat6225)

Worum es hier geht:

Vorgestellt wird ein Gedicht, das nicht nur auf die barock-übliche Art den Gegensatz von aktueller Schönheit und Vergänglichkeitsschicksal präsentiert.

Vielmehr zieht es die Schöpfungslinie nicht wie sonst üblich bis hin zu Gott aus, sondern bleibt bei der Natur stehen und hebt da Herz des Menschen in besonderer Weise hervor, ja gibt ihm sogar tendenziell einen Ewigkeitswert.

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau

Vergänglichkeit der Schönheit

  • Schon die Überschrift spricht das Hauptmotiv der Barocklyrik an, nämlich das Ineinander von Schönheit und Vergänglichkeit.
  • Was hier noch fehlt, ist der übliche Gottesbezug als Konsequenz aus dem Bewusstsein der Vergänglichkeit.
  1. Es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand
  2. Dir endlich mit der Zeit um deine Brüste streichen
  3. Der liebliche Korall der Lippen wird verbleichen;
  4. Der Schultern warmer Schnee wird werden kalter Sand
    • Das erste Quarett (Vierzeiler als Teil eines sogenannten „Sonetts“
      https://textaussage.de/wvm-baustein-sonett
      wendet sich an ein weibliches Gegenüber
    • Und macht ihm brutal klar, was eines Tages aus der Schönheit wird.
    • Das wird dann in Bildern verdeutlicht, die jeweils gegenwärtige Schönheit mit ihrer Veränderung in Alter und Tod gegenüberstellen.
    • Leserlenkung: Hier kann man schon aus Sicht der heutigen Gegenwartsgesellschaft darüber nachdenken, inwieweit eine solche Todesperspektive das Leben eher bereichert oder einengt.
    • Verwiesen sei hier auf die folgende Seite, wo deutlich wird, wie früher in einem Kloster mit dem Tod umgegangen wurde.
      https://www.italien.de/poi/castello-aragonese
  5. Der Augen süßer Blitz, die Kräfte deiner Hand
  6. Für welchen solches fällt, die werden zeitlich weichen
  7. Das haar, das itzund kann des Goldes Glanz erreichen
    („itzund“ = altes Wort für „jetzt“)
  8. Tilget endlich Tag und Jahr als ein gemeines Band.
    • Das zweite Quartett setzt dann den Grundgedanken und die Veränderungsschilderungen wie in der ersten Strophe fort.
    • Damit wird natürlich Eindringlichkeit erreicht.
  9. Der wohlgesetzte Fuß, die lieblichen Gebärden
  10. Die werden teils zu Staub, teils nichts und nichtig werden
  11. Denn opfert keiner mehr der Gottheit deiner Pracht.
    • Hier geht es im gleichen Stil weiter.
    • In der Zeile 11 dann aber eine Erweiterung des Blicks auf die Überhöhung des Menschen zu einer „Gottheit“ mit eigener „Pracht“.
  12. Dies und noch mehr als dies muss endlich untergehen
  13. Dein Herze kann allein zu aller Zeit bestehen
  14. Dieweil es die Natur aus Diamant gemacht.
    • Am Ende dann aber kein klarer Gottesbezug wie in vielen anderen Barockgedichten,
    • Sondern einer, der fast schon auf die Zeit des „Sturm und Drang“ verweist mit der Hinweis auf das Herz.
    • Am Ende dann fast schon eine Abwendung von der Hyperreligiosität der Barockzeit, nämlich das Stehenbleiben auf der Schöpferstraße bei der Natur.
    • Man kann sich richtig vorstellen, wie das anderen Barockdichtern und den Vertretern der Geistlichkeit nicht gefallen haben mag.

Vergleichsmöglichkeit

In Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ gibt es eine Stelle, die man gut mit diesem Gedicht vergleichen kann:
http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Romane/Die+Leiden+des+jungen+Werther/Erstes+Buch

„Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße. Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist wie die meine. Ich bin so glücklich, mein Bester, so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken, dass meine Kunst darunter leidet. Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich, und bin nie ein größerer Maler gewesen als in diesen Augenblicken. Wenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht, und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum stehlen, ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und näher an der Erde tausend mannigfaltige Gräschen mir merkwürdig werden; wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen, unergründlichen Gestalten der Würmchen, der Mückchen näher an meinem Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Alliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält; mein Freund! wenn’s dann um meine Augen dämmert, und die Welt um mich her und der Himmel ganz in meiner Seele ruhn wie die Gestalt einer Geliebten – dann sehne ich mich oft und denke: Ach könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papiere das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, dass es würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes! – Mein Freund – Aber ich gehe darüber zugrunde, ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen.“