Jörn Birkholz, „Zug und Zug“ – Interpretation entsprechend einem Lehrermodell (Mat5803-lm)

Worum es hier geht:

Wir haben im Laufe der Zeit Methoden der Interpretation entwickelt, die wir für am besten halten.

Aber wir helfen natürlich auch Schülis, die bestimmten Vorgaben ihrer Lehrkräfte folgen müssen (und wollen).

Eine entsprechende Lösung präsentieren wir hier.
Zugleich verweisen wir auf die Webseite, auf der wir unsere Vorstellungen, allerdings nur als 5-Minuten-Tipp präsentieren:
https://textaussage.de/5-min-tipp-joern-birkholz-zug-um-zug-kurzgeschichte

Die Lösung der Schülerin

Einleitungssatz

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die Kurzgeschichte „Zug und Zug“ von Jörn Birkholz, die sich mit der Frage beschäftigt, wie ein Mann mit dem Tod seiner Frau umgeht,

Kommentar:
Wichtig ist, das Thema in Frageform zu präsentieren, denn die Aussagen der Geschichte geben die Antworten auf diese Frage.
Deshalb kann man das Thema eigentlich erst formulieren, wenn man die Aussagen verstanden hat.
Wir empfehlen, die Formulierung erst mal offen zu lassen oder später zu korrigieren.

Kurze Inhaltsangabe
  • In der Geschichte geht es um einen Mann, der mit vielen anderen auf einen verspäteten Zug wartet, sich auch am allgemeinen Ärger über die Verzögerung beteiligt, beim Eintreffen des Zuges aber einfach den Bahnhof verlässt.
  • Er fährt dann mit der Straßenbahn nach Hause, kleidet sich dort um und legt sich aufs Bett mit Blick auf ein Foto seiner Frau auf dem Nachttisch, was ihn schwermütig werden lässt.
  • Beim nächsten Besuch auf dem Bahnhof ist er etwas später dran, wobei betont wird, dass er wieder unter Menschen ist. Er geht dann zu dem Gleis, auf dem der erwartete Zug wieder mit 30 Minuten Verspätung ankommen soll.
Charakterisierung von Glogowski

Vorbemerkung von uns:
Die Charakterisierung einer Figur in einer Kurzgeschichte ist als Teil der Analyse etwas völlig anderes als eine Personenbeschreibung. Hier gelten nämlich die Gesetze des Erzählens. Die Reihenfolge und Auswertung der Signale, die der Erzähler im Hinblick auf die Figur setzt, sind entscheidend – nicht die Frage, wie groß er ist u.ä., was in einer Personenbeschreibung wichtig ist. Außerdem kann die Reihenfolge der Hinweise des Erzählers von Bedeutung sein.

  1. Zu Beginn der Geschichte ist die Hauptfigur einer von vielen, die auf einen Zug warten. Dabei stimmt er dem allgemeinen Ärger zu, obwohl er – wie sich später herausstellt – gar nicht davon betroffen ist. Das heißt: Er passt sich den Leuten an, zeigt nicht das, was er wirklich denkt und fühlt.
  2. Ansonsten beobachtet er die anderen Leute auf dem Bahnsteig, hört ihnen zu und macht sich Gedanken zum Beispiel im Hinblick auf ihren Humor. (11).
    (Die Zeilennummern lassen wir hier drin entsprechend dem Aufgabenzettel der Schülerin).
  3. Eine erste Besonderheit bei dem Mann zeigt sich, als auf der Anzeigetafel das Wort „Personenschaden“ erscheint. Hier zeigt er plötzlich besondere Kenntnisse und bringt auch einen Kommentar dazu: als „sichere Sache, um abzutreten“. (17) Das passt später zu der Verständnishypothese, dass seine Frau auf eine solche Weise Selbstmord begangen hat.
  4. Eine besondere Rolle spielt die Kleidung von Glogowski: Er trägt seine „besten Sachen, einen schwarzen Anzug“ (22) Außerdem ist von seinen „schwarzen Lackschuhen“ (22) die Rede. Auch das passt zu der Hypothese, dass auch in seinem aktuellen Leben eine Beerdigung eine Rolle spielt.
  5. Im weiteren Verlauf entfernt sich Glogowski von dem Trubel, der ihn umgibt. Das passt zu der Hypothese, dass er regelmäßig solche Situationen herbeiführt, bei denen er vor allem Beobachter und Zuhörer ist, aber auch versucht, in ein Gespräch zu kommen (vgl. 33). Bei einer jungen Frau kann er überhaupt nicht landen, die empfindet das wohl als mögliche Anmache.
  6. Aus der normalen Rolle eines Bahnhofbenutzers, der auf einen Zug wartet, fällt Glogowski dann – für den Leser durchaus überraschend – heraus, als der Zug wirklich kommt. Er konzentriert sich nur auf die Beobachtung dessen, was die anderen Leute machen.
  7. Der Eindruck, dass dieser Mann den Bahnhof nicht so wie die anderen nutzt, verstärkt sich, wenn man liest, dass er anschließend gleich nach Hause fährt und am nächsten Tag dasselbe Spiel beginnt.
  8. Eine Erklärung für das Verhalten des Mannes wird deutlich, wenn man seine Situation und sein Verhalten nach der Heimkehr, also zu Haue, betrachtet. Hier macht er es sich gleich bequem und legt sich aufs Bett. Von besonderer Bedeutung ist dann der Blick auf das Bild seiner Frau, das ihn „schwermütig“ macht, „wie jedes Mal, wenn er das Bild betrachtete“. Er schließt dann die Augen – offensichtlich hat er alles an diesem Tag erlebt, was für ihn wichtig ist.
  9. Das letzte Signal, das man braucht, um das seltsame Verhalten dieses Mannes zu verstehen, wird vom Erzähler präsentiert, als Glogowski den Bahnhofsbesuch am nächsten Morgen wiederholt.
  10. Es heißt nämlich: „Er war wieder unter Menschen.“ Das scheint der entscheidende Unterschied zu sein zu seinem einsamen Leben zu Hause. Wenn man dann das Signal mit dem „Personenschaden“ und dem „Schienensuizid“ und dessen relativer Perfektion zusammennimmt, wird über die Charakterisierung die Aussage der Geschichte klar:
    Es geht um den Versuch eines Mannes, der mit 57 Jahren seine Frau wahrscheinlich durch einen solchen Selbstmord verloren hat, irgendwie ins Leben zurückzufinden. Er verbindet die Situation, bei der seine Frau dann das letzte Mal festen Boden unter den Füßen hatte, nämlich den Bahnhof, mit dem normalen Verhalten derer, die noch leben. Man kann fast sagen: Er saugt dieses normale menschliche Leben bei seinen Bahnhofsbesuchen regelrecht in sich hinein, um zum einen so mit dem Anblick seiner toten Frau klarzukommen, zum anderen, um ins Leben zurückzufinden.

Eigene Fortsetzung entsprechend den Lehrkraft-Vorgaben

Interpretation mit Argumentation

Gemeint ist hier nicht die Argumentation in der Geschichte, denn in dieser hier wird gar nicht argumentiert.
Vielmehr geht es darum, dass man die Geschichte und vor allem die Deutungshypothese so ausarbeitet, dass man – vor allem die Lehrkraft – überzeugt.

  • Das kann hier so aussehen:
    • Schritt 1: Ich deute die Geschichte so, dass es hier um die Bewältigung eines Schicksalsschlages, nämlich des Todes der Frau, geht.
    • Schritt 2: Dafür spricht, dass der Mann sich sehr ungewöhnlich verhält. Er ist an den Menschen auf dem Bahnhof interessiert, nimmt auch scheinbar an ihrem Ärger teil – aber in Wirklichkeit will er ihnen wohl nur nahe sein.
    • Dafür spricht der Kontrast zwischen Bahnhofsgewusel und Einsamkeit zu Hause. Dort hat er diese Kommunikationsmöglichkeiten anscheinend nicht (Vgl. den Hinweis auf die Kinder: 64)
    • Schritt 3: Dazu kommt die Stelle mit dem „Personenschaden“ (15) und „Schienensuizit“ – wie in Filmen gibt es auch in guten Geschichten nichts, was nicht auch eine Funktion und Bedeutung hat.
      Hier kann und muss man wohl die Verbindung zu dem Bild der toten Frau sehen.
    • Fazit: Der Mann verbindet den Ort, der mit dem Tod seiner Frau mindestens indirekt etwas zu tun hat, mit seinem Bedürfnis, „Zug um Zug“ ins normale Leben zurückzukehren – womit wir auch beim Titel wären.
      (wunderbares Beispiel für die Überleitung von einem Analyse-Aspekt zum nächsten! Da lacht das Lehrerherz 😉
Titel und Bedeutung der Überschrift

Den Titel kann man auf zweierlei Art und Weise verstehen:

  1. Er könnte sich darauf beziehen, dass hier „Zug um Zug“ die Mängel des Schienenverkehrs aufgedeckt werden.
    Aber das ist natürlich sehr weit hergeholt.
  2. Viel überzeugender ist, wenn man „Zug um Zug“ im übertragenen Sinne versteht, als Bild gewissermaßen für Schachzüge, mit denen man seinem Ziel näher kommt – in diesem Fall nicht „schachmatt“ – sondern Rückkehr ins normale Leben.
Sprachliche Mittel (mit Blick auf die Aussagen) – Vorüberlegungen

Unsere allgemeinen Überlegungen zu dieser Lieblingsaufgabe des Deutschunterrichts haben wir hier rausgenommen und auf eine eigene Seite gepackt. Leider benötigen wir sie immer wieder – und wollen sie nicht überall reinstellen.
Wer sich dafür interessiert,
hier finden sich unsere Überlegungen dazu:
https://schnell-durchblicken.de/baustein-sprachliche-mittel-finden-nicht-suchen

Sprachliche, rhetorische und strategische Mittel  auf die wir gestoßen sind
  1. „Immer derselbe Mist“ (1): vulgäre Sprache
    „dämlich“ 20
  2. Steigerung (3-5)
  3. Scheinbar lockere Sprechweise bei einem ernsten Thema (17)
    Glogowski tut hier so, als könne er da locker mit umgehen.
    Der Leser wird in die Irre geführt.
  4. Reihung (22/23)
  5. Strategisches Mittel: „eisiger Wind“ (8) und „Sonne“ (26)
    Passt zu „Zug um Zug“
  6. „einen Keks oder ein Iphone“ (Ironie, Iphones sollten nicht zur Beruhigung von Kleinkindern verwendet werden)
  7. „schwieg“ (39) Kommunikationszeichen für Nicht-reden-wollen
  8. „lächelte falsch zurück“ (nahe an Neologismus: 45)
  9. Wiederholung und damit Betonung des Wortes „ungeduldig“ (48/50) als Kennzeichnung von Haltung und Stimmung in unserer geschäftigen Welte
  10. „schwarz“ (55): Wortspiel mit der schwarzen Kleidung, vielleicht um deutlich zu machen: Wenn ich schon Trauer tragen muss, dann soll der ÖPNV auch traurig sein.
  11. Scheinbar nebensächliche Andeutung: Bild seiner Frau – dient einer scheinbaren Verschleierung.
  12. Strategisches Mittel: Abweichung vom normalen Trauerleben – ist „wieder unter Menschen“, hat wahrscheinlich besser und länger geschlafen (Zug um Zug)
  13. Am Ende Betonung der „leeren Aktentasche“ als Zeichen für seine Schein-Betriebsamkeit.
    Kritik und Kreativität
    Übrigens eine Stelle, von der aus man die Geschichte optimieren könnte. Denn hier wird ja nur der traurige Schein beschrieben, der Mann ist aber offensichtlich schon weiter.
Sicht auf die Gesellschaft

Ein Problem der Gesellschaft wird aufgenommen – der Einzelne muss mit seiner Trauer anscheinend allein klarkommen.
Dieser erfinderische Mann schafft es!!!

Fazit

Insgesamt die Geschichte eines ungewöhnlichen Verhaltens, hinter dem aber viel Entschlossenheit und Klugheit steckt, die wohl „Zug um Zug“ zum Erfolg führt.

Zusammenfassende Beurteilung des Textes

Positiv der originale Einfall dieses Mannes.
Aber auch zu wenig starkes Ende.
Aber da könnte man ja selbst mal was erfinden.

Eigene Meinung

Man wünscht jedem Menschen in einer schwierigen Lebenssituation, dass er entweder mit Freunden/Familie oder mit eigenen Einfällen für sich eine Lösung findet.

Weitere Infos, Tipps und Materialien