Jürgen Rennert, Mein Land ist mir zerfallen (Mat9465 )

Das Gedicht haben wir hier gefunden:
Lyrik nach 1945, Erarbeitet von Norbert Schläbitz, Schöningh 2007, S. 112
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3140223799

  1. Einleitung

  • Das Gedicht „Mein Land ist mir zerfallen“ von Jürgen Rennert ist ein lyrischer Text, der sich mit dem Niedergang des eigenen Landes auseinandersetzt.
  • Das lyrische Ich reflektiert über die Beziehung zu seinem Land und zeigt eine ambivalente Haltung zwischen Identifikation und Entfremdung.
  1. Äußere Form

  • Das Gedicht besteht aus fünf Strophen mit jeweils vier Versen.
  • Es hat einen durchgängigen Kreuzreim.
  • Rhythmus:
    • Es beginnt mit einem dreihebigen Jambus.
    • Der setzt sich dann fort.
  1. Inhaltliche Analyse

Das lyrische Ich beschreibt in mehreren Abschnitten sein Verhältnis zum Land:

  • Zerfall des Landes (V. 1–4): Das Land hat seine Macht verloren, was das lyrische Ich mit Klage betrachtet.
  • Ambivalente Identifikation (V. 5–8): Das Land ist ein Teil des lyrischen Ichs, es sieht sich als „welterfahrenes Wesen mit einem Spalt darin“.
  • Erziehung und Täuschung (V. 9–12): Das lyrische Ich wurde „verzogen“ und belogen, sieht sich aber dennoch nicht als verbogen oder dumm.
  • Gegenseitige Abhängigkeit (V. 13–16): Das Land hat das lyrische Ich mit „Wider-Willn“ an sich gedrückt und ist gemeinsam mit ihm untergegangen.
  • Zusammenfassung der Beziehung (V. 17–20): Das lyrische Ich sieht sich als Spiegelbild des Landes und gleichzeitig als dessen „große Lüge“.
  1. Kernaussagen

Das Gedicht zeigt

  1. die enge, aber gespannte Beziehung zwischen dem lyrischen Ich und seinem Land.
  2. Es macht deutlich, dass das Land das lyrische Ich geprägt hat, auch wenn es dessen moralische Integrität nicht zerstören konnte.
  3. Gleichzeitig wird eine gegenseitige Abhängigkeit dargestellt: Das Land trägt die „Züge“ des lyrischen Ichs, und umgekehrt.
  4. Schließlich führt das Gedicht zur paradoxen Aussage: Das lyrische Ich ist die „große Lüge“ des Landes – möglicherweise ein Hinweis auf eine verlorene Identität oder eine gesellschaftliche Heuchelei.

 

Sprachliche und rhetorische Mittel

  • Personifikation: „Mein Land ist mir zerfallen“ (V. 1) – das Land wird als lebendiges Wesen dargestellt, das zusammenbrechen kann.
  • Antithesen: „verzogen – nicht krumm“ (V. 9), „belogen – nicht dumm“ (V. 10) – verdeutlichen den Widerstand des lyrischen Ichs gegen die Prägung durch das Land.
  • Parallelismen: „Mein Land hat mich…“ (V. 9, 11, 13) – verstärken die Intensität der Aussagen.
  • Oxymoron/Paradoxon: „Ich bin die große Lüge des Landes“ (V. 20) – eine widersprüchliche, aber tiefgründige Aussage über Identität und Selbstverständnis.

Interpretation und Relevanz

  • Das Gedicht lässt sich als Reflexion über die DDR und deren Niedergang interpretieren.
  • Die ambivalente Haltung des lyrischen Ichs könnte die Erfahrung eines ehemaligen DDR-Bürgers widerspiegeln, der sowohl von seinem Land geprägt als auch getäuscht wurde.
  • Die Thematik der Identität, Entfremdung und historischen Verantwortung macht das Gedicht auch über den konkreten historischen Kontext hinaus relevant.

Einschätzung der Qualität

Das Gedicht überzeugt

  • durch seine dichte Sprache,
  • die treffenden Antithesen
  • und die existenzielle Reflexion über die Beziehung zwischen Individuum und Staat.
  • Besonders die abschließende Wendung mit der „großen Lüge“ bleibt im Gedächtnis und regt zur Interpretation an.
  • Insgesamt ist es ein vielschichtiges und nachdenklich stimmendes Gedicht, das sich intensiv mit Identität und Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzt.

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