Jürgen Theobaldy „Schnee im Büro“ – Beispiel für die Grenzen „poetischer Subjektivität“ (Mat4829-ths)

„Schnee im Büro“ – oder die Sehnsucht nach Palmen

  • Das Gedicht Schnee im Büro von Jürgen Theobaldy gehört zur Alltagslyrik der Nachkriegszeit
  • und behandelt
    • die Monotonie des Arbeitslebens
    • sowie die Entfremdung in einer modernen Gesellschaft.
  • Gleichzeitig thematisiert es die Spannung zwischen Liebe und Arbeitswelt.
  • Für den Unterricht ist es vor allem interessant, um die enge Vorstellungsblase zu erkennen, in der das Gedicht bleibt.
  • Jeder, der später gerne selbst unter Palmen oder an einem anderen Ort glücklich leben möchte, sollte dieses Gedicht kritisch sehen.
  • MIA (unsere „menschliche Intelligenz in Aktion“ hilft gerne dabei 😉

Gefunden haben wir das Gedicht hier:
Lyrik nach 1945, Erarbeitet von Norbert Schläbitz, Schöningh 2007, S. 95 – ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3140223799

Äußere Form

  • Das Gedicht besteht aus 24 Versen,
  • die in zwei Sinnabschnitte gegliedert sind.
  • Es weist eine freie Versstruktur auf,
    • ohne ein durchgehendes Reimschema
    • oder einheitliches Metrum.
  • Die Sprache ist schlicht und alltagssprachlich gehalten, was zur Thematik der Alltagslyrik passt.
  • Auffallend sind die durchgängigen „Enjambements“ – vorzeitiger Abbruch von Sätzen in der Verszeile und direkte Fortsetzung in der nächsten Zeile.
  • Hier kann man fragen, was denn dann noch der Unterschied zur Prosa (Erzählform wie in einer Kurzgeschichte)  ist.
  • Man könnte das ja mal probeweise umwandeln.
  • Oder man präsentiert es gleich „durchlaufend“ und überlegt dann, wo man Verszeilen abbrechen lassen könnte.

Inhaltsbeschreibung

  1. Das lyrische Ich beschreibt die Entfremdung durch die Arbeitswelt.
  2. Schon in der ersten Zeile wird eine „Sehnsucht nach Palmen“ (V. 1) als Wunsch nach einem anderen, freieren Leben angedeutet.
    • MIA notiert sich die Frage: Warum das lyrische Ich denn im Büro sitzt?
    • Es hat sich doch wahrscheinlich um diesen Arbeitsplatz beworben – und zwar aus Gründen, für die der Arbeitgeber nichts kann.
    • Er löst vielmehr ein Problem, das jeder Mensch hat, wenn ihm nicht der Lebensunterhalt geschenkt wird.
  3. Die Büroarbeit und das Telefon werden als Symbole für die Distanz zur geliebten Person genutzt: „Auch du / bist eingesperrt, und wir dürfen nicht / miteinander telefonieren“ (V. 4-6).
    • MIA: Wieso „eingesperrt“?
    • Gehört es nicht zum ganz normalen Leben, dass nicht immer alles so ist, wie man es sich erträumt?
  4. Das Telefon, das „nur für andere“ schlägt (V. 7-8), verstärkt die gefühlte Isolation.
  5. Im zweiten Abschnitt (ab V. 11) wird die Entmenschlichung im Arbeitsalltag weiter vertieft.
    1. Das lyrische Ich „berechnet Preise und wird berechnet“ (V. 11-12),
    2. eine Anspielung auf die Reduktion des Menschen auf wirtschaftliche Funktionen.
  6. Die Industrialisierung und Rationalisierung der Arbeit lassen Menschen nur noch als Zahlen erscheinen (V. 15-16).
    • MIA: Vielleicht sollte man den Feierabend mal nutzen, um sich über die Lebensverhältnisse der Menschen vor der Industrialisierung informieren.
    • Wehe dem, der Zahnschmerzen bekam – kein Betäubungsmittel außer Alkohol.
    • Wehe, wenn die Äcker nicht genug Früchte trugen – Dürre, Überschwemmungen – und kein Aldi in der Nähe.
    • Damit wir uns nicht missverstehen: Dichter dürfen so etwas schreiben – Schülis dürfen oder sollen vielleicht sogar darüber nachdenken, was alles nötig ist, um in die Welt der Palmen aufzubrechen und dort einfach so mit dem geliebten Menschen vor sich hin zu leben.
    • Oder sagen wir es mal so: Wer aus diesem Gedicht die richtigen Konsequenzen zieht, wird später eher unter Palmen leben als die, die sich dem Jammern dieses Gedichtes angeschlossen haben – und dann bei nächster Gelegenheit von ihrem Chef aus dem Büro-Gefängnis befreit wurden. 
  7. Die Liebe wird dabei sogar wissenschaftlich als „Produktionsverhältnis“ beschrieben (V. 18-19), was den Kontrast zwischen Gefühl und Rationalisierung unterstreicht.
    • MIA: Vielleicht sollte man mehr darüber nachdenken, für welche Art von „Produktion“ die Natur die Liebe eingerichtet hat 😉
    • Und viele Menschen haben immer noch Freude daran, junge Menschen in die Welt kommen zu lassen, die dann später mit solchen Gedichten hoffentlich richtig umgehen 😉
  8. Die letzten Verse bringen die zentrale Erkenntnis des Gedichts: Die ersehnte Freiheit und das Paradies („Palmen“) existieren nur als Illusion auf einer Ansichtskarte (V. 20-22).
    • MIA: Keineswegs für die Menschen, die die Bürozeit optimal nutzen
    • oder sich einen besseren Job suchen.
  9. Die Rückkehr ins Büro (V. 23-24) unterstreicht die Unentrinnbarkeit des Arbeitsalltags, in dem jeder nur eine Nummer ist – analog zum Telefon, das für die Anonymität und Unpersönlichkeit der modernen Gesellschaft steht.
    • MIA: Das ist eine sehr einseitige Sicht. Es gibt viele andere Arbeitsverhältnisse, in denen Mitarbeiter wirklich als Mit-Arbeiter gesehen werden.
    • Hoffentlich nicht nur von ihren Kolleginnen und Kollegen und den nächsthöheren Vorgesetzten.
    • Außerdem könnte das lyrische Ich ja einfach mal eine Firma gründen und es dort besser machen.

 Sprachliche und rhetorische Mittel

  • Metaphern: „Telefon, warum schlägt dein Puls nur für andere?“ (V. 7-8) verleiht dem Telefon menschliche Eigenschaften und verstärkt die emotionale Isolation.
  • Antithesen: Die Liebe als emotionaler Gegenpol zur Rationalität der Arbeitswelt („auch die Liebe ist ein Produktionsverhältnis“, V. 18-19).
  • Wiederholungen innerhalb eines Wortfeldes: Die Erwähnung von Zahlen („berechnen“, „Zahl“, „Nummer“) betont die Entmenschlichung.
  • Symbolik: Die Palmen stehen für die unerreichbare Sehnsucht nach einem besseren Leben.

Thesen von ChatGPT, die man überprüfen und korrigieren könnte

Es ist immer interessant, die Künstliche Intelligenz bei der Analyse und Interpretation von Gedichten heranzuziehen.

Natürlich möglichst erst, nachdem man sich selbst Gedanken gemacht hat – sonst bringt das nur scheinbare Erleichterung der Hausaufgaben – ohne dass man etwas gelernt hat.

Und lernen heißt vor allem: Wo immer es geht:
Klüger sein als die KI.
Das geht zum Beispiel leicht, wenn man die folgenden abschließenden Bemerkungen von ChatGPT zu diesem Gedicht ansieht.
Und natürlich berücksichtigt, was MIA („menschliche Intelligenz in Aktion“) oben schon zu den einzelnen Abschnitten des Gedichtes angemerkt hat.

ChatGPT-Thesen zu diesem Gedicht:

  1. Das Gedicht macht deutlich, wie die moderne Arbeitswelt Beziehungen entfremdet und das Individuum auf eine wirtschaftliche Funktion reduziert.
  2. Die scheinbare Möglichkeit eines anderen Lebens bleibt eine Illusion.
  3. Theobaldy gelingt es, diese Thematik mit einer klaren, aber tiefgehenden Sprache zu vermitteln.
  4. Die Alltagsnähe macht das Gedicht besonders zugänglich und nachvollziehbar.
  5. Das Gedicht besticht durch seine treffende Darstellung der Entfremdung in der modernen Gesellschaft. Die schlichte, aber wirkungsvolle Sprache verstärkt die Botschaft. Es ist ein gelungenes Beispiel für engagierte Alltagslyrik.

Weitere Infos, Tipps und Materialien