Kafka, „Der Prozess“ – was haben Nietzsche und der Transhumanismus damit zu tun? (Mat2080-pnt)

Worum es hier geht:

Das Wichtigste beim verstehenden Lernen ist, dass man verschiedene Punkte verbinden kann. In diesem Falle sind es

  • Kafkas Roman „Der Prozess“
  • bestimmte Vorstellungen des Philosophen Nietzsche,
  • Ideen und Projekte des sogenannten Transhumanismus
  • und die gute alte Aufklärung, bei der die Philosophen Adorno und Horkheimer so etwas wie „Dialektik“ gesehen haben, also etwas, was in sich einen Gegensatz trägt.

Kafkas Roman „Der Prozess“ und die Ohnmacht des Menschen

  • Beginnen wir mit Franz Kafkas Roman „Der Prozess“. Kafkas Protagonist, Josef K., findet sich plötzlich und unerklärlicherweise in einem undurchdringlichen Rechtssystem gefangen. Ohne Transparenz oder klaren Grund wird er beschuldigt und in ein System gezogen, das übermächtig und unerklärlich ist.
  • Seine verzweifelten Versuche, seine Würde zu bewahren und die Situation zu verstehen, scheitern fast immer.
  • Josef K. ist ein Paradebeispiel für die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber übermächtigen, absurden und entfremdenden Strukturen.
  • Am Ende des Romans unterwirft er sich seinem Schicksal, ein Mensch, der einem undurchsichtigen System ausgeliefert ist und sich letztlich seinem Urteil beugt. Kafka schildert hier die existentielle Enge und Ausweglosigkeit des modernen Menschen.

Nietzsche als Ausweg aus Kafkas Misere?

  • Von dieser kafkaesken Misere, dieser Beschreibung des schwachen und entfremdeten Menschen, können wir nun eine Brücke zu Friedrich Nietzsche schlagen.
  • Man könnte die Hypothese aufstellen, dass Nietzsches Philosophie einen radikalen Ausweg aus der von Kafka beschriebenen menschlichen Lage bietet.
  • Nietzsche sprach vom „Übermenschen“. Dieses Konzept meint nicht etwa eine biologisch überlegene Rasse, sondern einen Menschen, der sich durch die Überwindung traditioneller Moralvorstellungen und seiner eigenen Grenzen zu einem neuen Dasein entwickelt. Der Übermensch schafft seine eigenen Werte, statt sich von äußeren Autoritäten oder gesellschaftlichen Normen bestimmen zu lassen.
  • Ein weiterer zentraler Aspekt ist Nietzsches „Wille zur Macht“. Er sah darin den grundlegenden Antrieb alles Lebendigen: den Drang, sich zu entfalten, zu wachsen und sich zu behaupten.
  • Im Gegensatz zu Kafkas Josef K., der Mitleid erregen könnte, beschreibt Nietzsche ein Ideal, von dem man sich abheben, zu dem man aufblicken soll.
  • Nietzsche kritisierte die „Herdenmoral“ und betonte die Notwendigkeit, sich über diese zu erheben. Er propagiert die Überwindung des Menschen, um zu einem höheren Zustand der Selbstbeherrschung und Selbstgestaltung zu gelangen.

Nietzsches Ethik als Grundlage des Transhumanismus

Diese Gedanken Nietzsches – der Übermensch und der Wille zur Macht – finden sich in erstaunlicher Weise in den Bestrebungen des Transhumanismus wieder. Die Ethik Nietzsches kann als eine wichtige Grundlage dienen, um den Transhumanismus zu verstehen.

Im Wort steckt das Bestreben, über die jetzige Situation des Menschen hinauszukommen, ihn über seine Grenzen weiterzuentwickeln, etwa durch die Integration von Chip-Daten und künstliche Intelligenz in das menschliche Gehirn.

  • Der Übermensch als Vorbild:
    Die Idee des Übermenschen wird von Transhumanisten oft als philosophisches Vorbild herangezogen, um das Streben nach einer biologischen und technologischen Weiterentwicklung des Menschen zu rechtfertigen.
  • Wenn der Mensch so sinnlos und leidvoll existiert, wie Kafka es schildert, erscheint die technologische Weiterentwicklung des Menschen als ein radikaler Ausweg aus diesem Dilemma.
  • Der Transhumanismus verspricht, die Schwächen des menschlichen Körpers und Geistes zu überwinden, die Kafka so eindringlich darstellt.
  • Der Wille zur Macht als Antrieb:
    Transhumanisten interpretieren den Willen zur Macht als eine Rechtfertigung für die Anwendung von Technologie, um die menschliche Natur zu beherrschen und zu verbessern.
  • Die Bewegung zielt darauf ab, menschliche Grenzen wie Krankheit, Altern und Tod zu überwinden und menschliche Fähigkeiten durch Wissenschaft und Technologie zu verbessern.
  • Themen wie Longevity durch Gen-Editing oder Stammzelltherapie, kognitive Steigerung durch Smart Drugs oder Neurotechnologien sowie die Vision einer technologischen Singularität sind zentrale Anliegen.

Was man im Auge behalten sollte

  • Allerdings birgt die Verbindung von Nietzsches Übermensch-Konzept mit dem Transhumanismus auch eine ernste Gefahr:
    die
    Schaffung einer  Spaltung der Menschheit.
  • Wenn eine „Elite“ sich teure technologische Verbesserungen leisten kann, könnte sie eine biologisch und kognitiv überlegene Spezies bilden.
  • Diese Gruppe könnte die „Unverbesserten“ als minderwertig betrachten, ähnlich Nietzsches Kritik an der „Herdenmoral“.
  • Dies wirft grundlegende Gerechtigkeitsfragen auf und könnte die von Kafka beschriebene Entfremdung auf eine neue, biologische Ebene heben.

Zum Schluss für manche eine überraschende These: Die Epoche der Aufklärung als Einstieg in Befreiung von („natürlichen“) Grenzen 

  • Zum Abschluss unserer Betrachtung ist es entscheidend zu erkennen, dass die Entwicklung hin zum Transhumanismus auch durch die Aufklärung selbst ermöglicht wurde – genauer gesagt, durch deren Kehrseite, wie sie Adorno und Horkheimer in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ beschrieben.
  • Die Aufklärung, ursprünglich gedacht zur Befreiung der Menschheit von Aberglauben und Naturzwängen, schlägt nach ihrer Analyse in ihr Gegenteil um und schafft neue Formen der Unterdrückung.
  • Die Autoren sahen die Gefahr, dass die instrumentelle Vernunft – also das Denken, das sich rein auf Zweckmäßigkeit, Effizienz und Beherrschung der Natur konzentriert – zur dominanten Denkweise wird.
  • Diese Vernunft unterwirft nicht nur die äußere Natur, sondern verwandelt auch den Menschen selbst in ein Objekt der Beherrschung.
  • Die Aufklärung, die den Menschen zum „Herrn der Natur“ machen wollte, führt so zur Selbstentfremdung und Entmündigung des Einzelnen.
Fazit:  Der Transhumanismus als ein Erbe der Aufklärung und eine Herausforderung für die Zukunft
  • Er ist tief in der Aufklärung und dem wissenschaftlichen Fortschrittsglauben verwurzelt.
  • Die Idee, dass der Mensch seine eigene Natur mit rationalen Mitteln verändern und kontrollieren kann, ist eine zentrale Annahme.
  • In diesem Sinne ist der transhumanistische Ansatz, den menschlichen Körper und Geist technisch zu optimieren, eine radikale Form der Beherrschung der „Natur am und im Menschen“.
  • Er strebt an, den Menschen zu perfektionieren, indem er ihn in ein berechenbares, steuerbares Objekt verwandelt.
  • Der Transhumanismus könnte somit das triumphale, aber auch unheimliche Ergebnis der von Adorno und Horkheimer beschriebenen Entwicklung sein.

Zurück zu Kafka und seinem Werk

Das Schicksal von Josef K. kann als die literarische Vorwegnahme einer Welt verstanden werden, in der der Mensch zum Objekt wird, ausgeliefert ist an ein System, dem gegenüber er keine Chance hat.

Konkret geworden ist das in totalitären Systemen wie dem Stalinismus, dessen Terror durch ein hohes Maß an Unberechenbarkeit und Willkür gezeichnet war. Ihm fielen auch viele zum Opfer, die bewusst und überzeugt den Kommunismus gedient hatten und dann aus irgendwelchen Gründen zu Feinden erklärt wurden. Ähnlich wie bei Josef K. kam es dabei zum Teil sogar zu einer freiwilligen Übernahme einer Schuld, weil man meinte, damit der Partei auf dem Weg zu einer optimalen Gesellschaft zu dienen.

Verwiesen sei hier noch auf die Erzählung „In der Strafkolonie“ von Kafka, geschrieben, die eine Foltermaschine sehr detailliert beschreibt.

Die Geschichte handelt von einem Reisenden, der eine Strafkolonie besucht und Zeuge der Vollstreckung eines Todesurteils wird. Die Hauptattraktion ist eine komplizierte Maschine, die das Todesurteil auf dem Körper des Verurteilten eintätowiert, indem sie die Sätze langsam und schmerzhaft in seine Haut ritzt.

Die detaillierte Beschreibung der Foltermaschine ist ein zentrales Element der Erzählung und spiegelt Kafkas typische Themen wider, wie bürokratische Willkür, entmenschlichte Justiz und die Absurdität menschlicher Existenz.

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