Kafka, „Die Verwandlung“ – Charakterisierung der Mutter (Mat6304)

Worum es hier geht:

Kafkas Erzählung zeigt ja den Untergang eines jungen Mannes, der offensichtlich schon länger in einem falschen Leben lebt. Dies wird symbolisch deutlich gemacht durch den Zusammenbruch in die Existenz einer Art Ungeziefer hinein.

Wirklichen Kontakt hat Gregor Samsa praktisch nur noch mit den übrigen Familienmitgliedern, die sein Schicksal mehr hinnehmen, als ihm auf den Grund zu gehen und nach wirklichen Lösungen zu suchen.

Interessant sind dabei Einstellung und Verhalten der Mutter. Wir versuchen hier mal, entsprechende Textstellen aufzulisten und auszuwerten (Original in kursiver Schrift).

Die Zitate kann man hier nachlesen: Franz Kafka: Gesammelte Werke. Band 5, Frankfurt a.M. 1950 ff.. Entstanden 1912, Erstdruck in: Die weißen Blätter (Leipzig), 2. Jg., Heft 10 (Oktober), als Buch: Leipzig (Kurt Wolff) 1915.
http://www.zeno.org/nid/2000513255X

Zusammenfassung

Unsere Untersuchung weiter unten ist so ausführlich geworden, dass wir das Ergebnis einfach mal hier nach vorne stellen.

Wer etwas genauer wissen will, kann ja zu der entsprechenden Stelle weiter unten gehen.

  1. [Einleitungssatz, der zur eigentlichen Charakteristik hinführt]
    Die Mutter von Gregor Samsa ist als Teil der Familie eine natürliche Bezugsperson nach der Verwandlung ihrer Sohnes.
  2. [Phase 1: Die Mutter steht noch im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu ihrem Sohn]
    Ganz am Anfang stellt sie sich auf die Seite Gregors und verteidigt ihn gegenüber den Vorwürfen des Prokuristen.
  3. Schon beim ersten Anblick der Realität der Verwandlung zeigt sich dann allerdings ihre schwäche. Sie bricht zusammen.
  4. Nachdem sie sich erholt hat, wird sie von ihrem Mann und dann vor allem von der Schwester gehindert, sich ihrem Sohn überhaupt zu nähern.
  5. Später tritt sie aber bei der Frage des Umräumens in seinem Zimmer noch einmal für ihren Sohn ein. Als sie dann aber später dort auch noch für Sauberkeit sorgen will, wird sie von ihrer Tochter ziemlich massiv angegangen.
  6. Besonders in der Apfelwurfszene zeigt sich, dass sie im Unterschied zu ihrem Mann noch menschlicher Regelung fähig ist.
  7. [Negative Normalisierung: Mutter geht über zu den anderen]
    Im Laufe der Zeit ergibt sich eine für Gregor negative Normalisierung. Die Mutter passt sich immer mehr den beiden anderen Familienmitgliedern an. Das hängt zum einen mit der zulässigen Belastung durch die Aufnahme einer Arbeit zusammen. Deutlich wird aber auch, dass sie jetzt auch bereit ist, Gregor auszugrenzen, wenn sie zum Beispiel zu Grete sagt: „mach doch die Tür zu!“.
  8. Als Grete danach dem Eklat mit den Zimmer Här zur finalen Attacke gegen ihren Bruder ausholt und ihn sogar als Untier bezeichnet, reagiert die Mutter praktisch gar nicht mehr. Sie scheint auch am Ende ihrer Kräfte zu sein
  9. [Völlige Veränderung nach dem Tod Gregors]
    Interessant ist ihre Haltung nach dem Tod Gregors. Sie wird plötzlich nicht mehr als Mutter, sondern als Frau Samsa bezeichnet, die gegenüber der Bedienerin durchaus herrschaftlich auftreten kann.
  10. Gregor spielt für die Mutter genauso wenig nach seinem Tod noch eine Rolle wie für die anderen Mitglieder der Familie. Sie fühlen sich einfach nur befreit, gönnen sich eine Art Urlaubstag und denken an eine schöne Zukunft.
  11. [Zusammenfassung]
    Insgesamt wird deutlich,

    1. dass die Mutter grundsätzlich und lange Zeit durchaus auf der Seite Gregors steht.
    2. Diese natürliche Mutterhaltung fällt aber immer mehr dem Einfluss von Vater und Tochter zum Opfer.
    3. Dazu kommt die Belastung durch die Übernahme eines Jobs.
    4. Sehr befremdlich ist aber, wie schnell sie das Schicksal ihres Sohnes beiseiteschieben kann und ihr Interesse sich jetzt ganz der Tochter zu wendet.

Nun zu den Details.

Ausgangspunkt: Reaktion auf Gregors Verwandlung

Als das Schicksal der seltsamen Verwandlung über ihren Sohn hereinbricht, ist die Mutter die erste, die Kontakt mit ihm aufnimmt – und zwar gerade in dem Augenblick, als Gregor noch versucht, sich erst mal überhaupt in der neuen Situation zurechtzufinden.

  • „Als er dies alles in größter Eile überlegte, ohne sich entschließen zu können, das Bett zu verlassen – gerade schlug der Wecker drei Viertel sieben –, klopfte es vorsichtig an die Tür am Kopfende seines Bettes. »Gregor«, rief es – es war die Mutter –, »es ist drei Viertel sieben. Wolltest du nicht wegfahren?« Die sanfte Stimme! Gregor erschrak, als er seine antwortende Stimme hörte, die wohl unverkennbar seine frühere war, in die sich aber, wie von unten her, ein nicht zu unterdrückendes, schmerzliches Piepsen mischte, das die Worte förmlich nur im ersten Augenblick in ihrer Deutlichkeit beließ, um sie im Nachklang derart zu zerstören, daß man nicht wußte, ob man recht gehört hatte. Gregor hatte ausführlich antworten und alles erklären wollen, beschränkte sich aber bei diesen Umständen darauf, zu sagen: »Ja, ja, danke Mutter, ich stehe schon auf.« Infolge der Holztür war die Veränderung in Gregors Stimme draußen wohl nicht zu merken, denn die Mutter beruhigte sich mit dieser Erklärung und schlürfte davon.
    • Deutlich werden Besorgtheit und mütterliche Zuneigung, aber auch schon ein erster Hinweis am Ende auf Alter und Schwäche.
Verteidigung Gregors gegenüber dem Prokuristen

In die gleiche Richtung geht auch das Verhalten der Mutter, als sie gegenüber dem Prokuristen ausführlich versucht, ihren Sohn zu verteidigen und Verständnis für ihn zu erwecken:

  • »Ihm ist nicht wohl«, sagte die Mutter zum Prokuristen, während der Vater noch an der Tür redete, »ihm ist nicht wohl, glauben Sie mir, Herr Prokurist.
  • Wie würde denn Gregor sonst einen Zug versäumen! Der Junge hat ja nichts im Kopf als das Geschäft. Ich ärgere mich schon fast, daß er abends niemals ausgeht; jetzt war er doch acht Tage in der Stadt, aber jeden Abend war er zu Hause.
  • Da sitzt er bei uns am Tisch und liest still die Zeitung oder studiert Fahrpläne. Es ist schon eine Zerstreuung für ihn, wenn er sich mit Laubsägearbeiten beschäftigt.
  • Da hat er zum Beispiel im Laufe von zwei, drei Abenden einen kleinen Rahmen geschnitzt; Sie werden staunen, wie hübsch er ist; er hängt drin im Zimmer;
  • Sie werden ihn gleich sehen, bis Gregor aufmacht.
  • Ich bin übrigens glücklich, daß Sie da sind, Herr Prokurist; wir allein hätten Gregor nicht dazu gebracht, die Tür zu öffnen; er ist so hartnäckig; und bestimmt ist ihm nicht wohl, trotzdem er es am Morgen geleugnet hat.«
Zusammenbruch angesichts der Realität

Die Schwäche der Mutter zeigt sich dann besonders, als sie Gregor zum ersten Mal sieht, nachdem der dann beim Besuch des Prokuristen doch endlich mal die Tür aufmacht. Interessant der Kontrast zum Vater.

  • Die Mutter – sie stand hier trotz der Anwesenheit des Prokuristen mit von der Nacht her noch aufgelösten, hoch sich sträubenden Haaren – sah zuerst mit gefalteten Händen den Vater an,
  • ging dann zwei Schritte zu Gregor hin und fiel inmitten ihrer rings um sie herum sich ausbreitenden Röcke nieder, das Gesicht ganz unauffindbar zu ihrer Brust gesenkt.
  • Der Vater ballte mit feindseligem Ausdruck die Faust, als wolle er Gregor in sein Zimmer zurückstoßen, sah sich dann unsicher im Wohnzimmer um, beschattete dann mit den Händen die Augen und weinte, daß sich seine mächtige Brust schüttelte.
Kontakt-Behinderung der Mutter durch Ehemann und Schwester

Später wird deutlich, dass sie sich als einzige wohl wirklich aus Liebe heraus dem Sohn zuwenden möchte, während die Schwester zwar für Gregor sorgt, dabei aber wohl eher eigene Pläne verfolgt. Bezeichnend das Verhalten von Schwester und Ehemann:

  • Die Mutter übrigens wollte verhältnismäßig bald Gregor besuchen, aber der Vater und die Schwester hielten sie zuerst mit Vernunftgründen zurück,
  • denen Gregor sehr aufmerksam zuhörte, und die er vollständig billigte.
  • Später aber mußte man sie mit Gewalt zurückhalten, und wenn sie dann rief: »Laßt mich doch zu Gregor, er ist ja mein unglücklicher Sohn! Begreift ihr es denn nicht, daß ich zu ihm muß?«,
  • dann dachte Gregor, daß es vielleicht doch gut wäre, wenn die Mutter hereinkäme, nicht jeden Tag natürlich, aber vielleicht einmal in der Woche;
  • sie verstand doch alles viel besser als die Schwester, die trotz all ihrem Mute doch nur ein Kind war und im letzten Grunde vielleicht nur aus kindlichem Leichtsinn eine so schwere Aufgabe übernommen hatte.
Eintreten für Gregor, was Änderungen in seinem Zimmer angeht

Dass die Mutter ihren Sohn immer noch menschlich sieht, wird an den beiden folgenden Textstellen deutlich.

Zunächst wendet sie gegen die Veränderungen, die die Schwester im Zimmer Gregors vornehmen möchte:

  • „»und ist es nicht so, als ob wir durch die Entfernung der Möbel zeigten, daß wir jede Hoffnung auf Besserung aufgeben und ihn rücksichtslos sich selbst überlassen?
  • Ich glaube, es wäre das beste, wir suchen das Zimmer genau in dem Zustand zu erhalten, in dem es früher war, damit Gregor, wenn er wieder zu uns zurückkommt, alles unverändert findet und um so leichter die Zwischenzeit vergessen kann.«“
Versuch des Schutzes in der Apfelwurfszene

Im zweiten Falle versucht die Mutter, der Gewalttätigkeit ihres Mannes gegenüber Gregor (Apfelwurf), ein Ende zu bereiten:

  • „Nur mit dem letzten Blick sah er noch, wie die Tür seines Zimmers aufgerissen wurde, und vor der schreienden Schwester die Mutter hervoreilte, im Hemd,
  • denn die Schwester hatte sie entkleidet, um ihr in der Ohnmacht Atemfreiheit zu verschaffen,
  • wie dann die Mutter auf den Vater zulief und ihr auf dem Weg die aufgebundenen Röcke einer nach dem anderen zu Boden glitten,
  • und wie sie stolpernd über die Röcke auf den Vater eindrang und ihn umarmend, in gänzlicher Vereinigung mit ihm – nun versagte aber Gregors Sehkraft schon –
  • die Hände an des Vaters Hinterkopf um Schonung von Gregors Leben bat.“
Für Gregor negative Normalisierung

Im weiteren Verlauf gibt es eine Art Normalisierung der Beziehung. Die Mutter hat sich Arbeit besorgen müssen. Denn Gregor ist ja als Ernährer der Familie praktisch ausgefallen. Die Arbeit für ein Modegeschäft beschäftigt sie in bis in die Nacht hinein.
Von daher kann sie sich nicht mehr viel um ihren Sohn kümmern.

Es wird aber auch deutlich, wie sehr es in der Familie jetzt eine Tendenz gibt, die eigene Situation – unabhängig vom Schicksal Gregors – zu verbessern.

  • Zitat EB45:
    „Der Vater schlief bald nach dem Nachtessen in seinem Sessel ein;
  • die Mutter und Schwester ermahnten einander zur Stille;
  • die Mutter nähte, weit unter das Licht vor-gebeugt, feine Wäsche für ein Modengeschäft;
  • die Schwester, die eine Stellung als Verkäuferin angenommen hatte, lernte am Abend Stenographie und Französisch,
  • um vielleicht später einmal einen besseren Posten zu erreichen.
Verstärkung der negativen Normalisierung

Im weiteren Verlauf ist die Mutter voll integriert in die Bemühungen der Familie, mit der Situation einigermaßen klarzukommen

  • Zitat:
    „Wer hatte in dieser abgearbeiteten und übermüdeten Familie Zeit, sich um Gregor mehr zu kümmern, als unbedingt nötig war?“

Die Mutter mischt sich auch nicht mehr ein, als die Familie – allerdings aus einer Stimmung der Verzweiflung heraus – darüber nachdenkt, wie sehr man jetzt durch Gregor etwa an einem Wohnungswechsel behindert ist.

Kapitulation gegenüber dem Machtanspruch der Schwester

Die Mutter zeigt sich auch hilflos gegenüber der Schwester, die eine die Betreuung Gregors exklusiv für sich in Anspruch nimmt, aber sich dabei nicht mehr sehr viel Mühe gibt.

Besonders schlimm wird es, als die Schwester der Mutter sogar eine Szene macht, als die mal versucht, zumindest das Zimmer Gregors einigermaßen sauber sauber zu machen

  • Zitat EB48:
    „Einmal hatte die Mutter Gregors Zimmer einer großen Reinigung unterzogen, die ihr nur nach Verbrauch einiger Kübel Wasser gelungen war –
  • die viele Feuchtigkeit kränkte allerdings Gregor auch und er lag breit, verbittert und unbeweglich auf dem Kanapee -,
  • aber die Strafe blieb für die Mutter nicht aus. Denn kaum hatte am Abend die Schwester die Veränderung in Gregors Zimmer bemerkt, als sie, aufs Höchste beleidigt, ins Wohnzimmer lief und, trotz der beschwörend erhobenen Hände der Mutter, in einen Weinkrampf ausbrach,
  • dem die Eltern – der Vater war natürlich aus seinem Sessel aufgeschreckt worden – zuerst erstaunt und hilflos zusahen;
  • bis auch sie sich zu rühren anfingen; der Vater
    • rechts der Mutter Vorwürfe machte, dass sie Gregors Zimmer nicht der Schwester zur Reinigung überließ;
    • links dagegen die Schwester anschrie, sie werde niemals mehr Gregors Zimmer reinigen dürfen;
  • während die Mutter den Vater, der sich vor Erregung nicht mehr kannte, ins Schlafzimmer zu schleppen suchte;
  • die Schwester, von Schluchzen geschüttelt, mit ihren kleinen Fäusten den Tisch bearbeitete;
  • und Gregor laut vor Wut darüber zischte, dass es keinem einfiel, die Tür zu schließen und ihm diesen Anblick und Lärm zu ersparen.

Man sieht hier deutlich, dass die Mutter zum Teil gezwungenermaßen, dann aber auch aus Schwäche sich treiben lässt und sich damit direkt und indirekt der negativen Atmosphäre der Familie gegenüber Gregor anschließt.

Wechsel der Mutter auf die Gegenseite

Schließlich ist die Mutter so überfordert, fühlt sich so sehr durch die Verhältnisse um Gregor herum gestört, dass sie ihre Tochter auffordert: „mach dort die Tür zu, Grete“. (EB47) Sie kann das Elend anscheinend nicht mehr ertragen.

Schlussaktion der Familie

Bezeichnend für das Verhalten der Mutter auf den Ausbruch der Schwester (EB55), die ein Zusammenleben mit Gregor nicht mehr aushält.
Auslöser ist das Debakel bei ihrer Musikdarbietung, bei der Gregor plötzlich von den Zimmerherren gesehen wird, woraufhin die kündigen.

Wir präsentieren hier mal die ganze Passage, weil sie die Situation der Familie kurz vor Gregors Tod zeigt.

  • Die Schwester will das „Untier“ loswerden.
    • »Liebe Eltern«, sagte die Schwester und schlug zur Einleitung mit der Hand auf den Tisch, »so geht es nicht weiter. Wenn ihr das vielleicht nicht einseht, ich sehe es ein. Ich will vor diesem Untier nicht den Namen meines Bruders aussprechen, und sage daher bloß: wir müssen versuchen, es loszuwerden. Wir haben das Menschenmögliche versucht, es zu pflegen und zu dulden, ich glaube, es kann uns niemand den geringsten Vorwurf machen.«
  • Vater ist dafür, Mutter schaut irrsinnig drein
    • »Sie hat tausendmal recht«, sagte der Vater für sich. Die Mutter, die noch immer nicht genug Atem finden konnte, fing in die vorgehaltene Hand mit einem irrsinnigen Ausdruck der Augen dumpf zu husten an.
  • Schwester kümmert sich um die Mutter – Vater denkt nach
    • Die Schwester eilte zur Mutter und hielt ihr die Stirn. Der Vater schien durch die Worte der Schwester auf bestimmtere Gedanken gebracht zu sein, hatte sich aufrecht gesetzt, spielte mit seiner Dienermütze zwischen den Tellern, die noch vom Nachtmahl der Zimmerherren her auf dem Tische lagen, und sah bisweilen auf den stillen Gregor hin.
  • Schwester will keine Quälerei mehr – weint
    • »Wir müssen es loszuwerden versuchen«, sagte die Schwester nun ausschließlich zum Vater, denn die Mutter hörte in ihrem Husten nichts, »es bringt euch noch beide um, ich sehe es kommen. Wenn man schon so schwer arbeiten muß, wie wir alle, kann man nicht noch zu Hause diese ewige Quälerei ertragen. Ich kann es auch nicht mehr.« Und sie brach so heftig in Weinen aus, daß ihre Tränen auf das Gesicht der Mutter niederflossen, von dem sie sie mit mechanischen Handbewegungen wischte.
  • Vater Verständnis, fragt nach dem Wie – Schwester ratlos
    • »Kind«, sagte der Vater mitleidig und mit auffallendem Verständnis, »was sollen wir aber tun?«
    • Die Schwester zuckte nur die Achseln zum Zeichen der Ratlosigkeit, die sie nun während des Weinens im Gegensatz zu ihrer früheren Sicherheit ergriffen hatte.
  • Vater wünscht sich ein „Übereinkommen“ – Verständigung fehlt
    • »Wenn er uns verstünde«, sagte der Vater halb fragend; die Schwester schüttelte aus dem Weinen heraus heftig die Hand zum Zeichen, daß daran nicht zu denken sei.
    • »Wenn er uns verstünde«, wiederholte der Vater und nahm durch Schließen der Augen die Überzeugung der Schwester von der Unmöglichkeit dessen in sich auf, »dann wäre vielleicht ein Übereinkommen mit ihm möglich. Aber so –«
  • Seltsame Nicht-Gregor-Theorie der Schwester
    • »Weg muß er«, rief die Schwester, »das ist das einzige Mittel, Vater. Du mußt bloß den Gedanken loszuwerden suchen, daß es Gregor ist. Daß wir es so lange geglaubt haben, ist ja unser eigentliches Unglück. Aber wie kann es denn Gregor sein? Wenn es Gregor wäre, er hätte längst eingesehen, daß ein Zusammenleben von Menschen mit einem solchen Tier nicht möglich ist, und wäre freiwillig fortgegangen.
  • Familie fühlt sich von Gregor bedroht.
    • Wir hätten dann keinen Bruder, aber könnten weiter leben und sein Andenken in Ehren halten. So aber verfolgt uns dieses Tier, vertreibt die Zimmerherren, will offenbar die ganze Wohnung einnehmen und uns auf der Gasse übernachten lassen. Sieh nur, Vater«, schrie sie plötzlich auf, »er fängt schon wieder an!« Und in einem für Gregor gänzlich unverständlichen Schrecken verließ die Schwester sogar die Mutter, stieß sich förmlich von ihrem Sessel ab, als wollte sie lieber die Mutter opfern, als in Gregors Nähe bleiben, und eilte hinter den Vater, der, lediglich durch ihr Benehmen erregt, auch aufstand und die Arme wie zum Schutze der Schwester vor ihr halb erhob.
  • Gregor zeigt guten Willen – Familie „traurig“ – Mutter „ermattet“
    • Aber Gregor fiel es doch gar nicht ein, irgend jemandem und gar seiner Schwester Angst machen zu wollen. Er hatte bloß angefangen, sich umzudrehen, um in sein Zimmer zurückzuwandern, und das nahm sich allerdings auffallend aus, da er infolge seines leidenden Zustandes bei den schwierigen Umdrehungen mit seinem Kopfe nachhelfen mußte, den er hierbei viele Male hob und gegen den Boden schlug. Er hielt inne und sah sich um.
    • Seine gute Absicht schien erkannt worden zu sein; es war nur ein augenblicklicher Schrecken gewesen. Nun sahen ihn alle schweigend und traurig an. Die Mutter lag, die Beine ausgestreckt und aneinandergedrückt, in ihrem Sessel, die Augen fielen ihr vor Ermattung fast zu; der Vater und die Schwester saßen nebeneinander, die Schwester hatte ihre Hand um des Vaters Hals gelegt.
  • Gregor kapituliert – Familie lässt ihn gehen – Mutter schläft – Schwester. „Endlich“
    • ›Nun darf ich mich schon vielleicht umdrehen‹, dachte Gregor und begann seine Arbeit wieder. Er konnte das Schnaufen der Anstrengung nicht unterdrücken und mußte auch hie und da ausruhen. Im übrigen drängte ihn auch niemand, es war alles ihm selbst überlassen. Als er die Umdrehung vollendet hatte, fing er sofort an, geradeaus zurückzuwandern.
    • Er staunte über die große Entfernung, die ihn von seinem Zimmer trennte, und begriff gar nicht, wie er bei seiner Schwäche vor kurzer Zeit den gleichen Weg, fast ohne es zu merken, zurückgelegt hatte.
    • Immerfort nur auf rasches Kriechen bedacht, achtete er kaum darauf, daß kein Wort, kein Ausruf seiner Familie ihn störte. Erst als er schon in der Tür war, wendete er den Kopf, nicht vollständig, denn er fühlte den Hals steif werden, immerhin sah er noch, daß sich hinter ihm nichts verändert hatte, nur die Schwester war aufgestanden.
    • Sein letzter Blick streifte die Mutter, die nun völlig eingeschlafen war. Kaum war er innerhalb seines Zimmers, wurde die Tür eiligst zugedrückt, festgeriegelt und versperrt. Über den plötzlichen Lärm hinter sich erschrak Gregor so, daß ihm die Beinchen einknickten.
    • Es war die Schwester, die sich so beeilt hatte. Aufrecht war sie schon da gestanden und hatte gewartet, leichtfüßig war sie dann vorwärtsgesprungen, Gregor hatte sie gar nicht kommen hören, und ein »Endlich!« rief sie den Eltern zu, während sie den Schlüssel im Schloß umdrehte.
Selbstbefreiung der Familie
  • Familie will nur den Schrecken der Entdeckung der Leiche überwinden
    • Das Ehepaar Samsa saß im Ehebett aufrecht da und hatte zu tun, den Schrecken über die Bedienerin zu verwinden, ehe es dazu kam, ihre Meldung aufzufassen.
    • Dann aber stiegen Herr und Frau Samsa, jeder auf seiner Seite, eiligst aus dem Bett, Herr Samsa warf die Decke über seine Schultern,
  • Aus der Mutter ist „Frau Samsa“ geworden
    • Frau Samsa kam nur im Nachthemd hervor; so traten sie in Gregors Zimmer. Inzwischen hatte sich auch die Tür des Wohnzimmers geöffnet, in dem Grete seit dem Einzug der Zimmerherren schlief; sie war völlig angezogen, als hätte sie gar nicht geschlafen, auch ihr bleiches Gesicht schien das zu beweisen.
    • »Tot?« sagte Frau Samsa und sah fragend zur Bedienerin auf, trotzdem sie doch alles selbst prüfen und sogar ohne Prüfung erkennen konnte.
    • »Das will ich meinen«, sagte die Bedienerin und stieß zum Beweis Gregors Leiche mit dem Besen noch ein großes Stück seitwärts.
    • Frau Samsa machte eine Bewegung, als wolle sie den Besen zurückhalten, tat es aber nicht.
  • Dankbarkeit
    • »Nun«, sagte Herr Samsa, »jetzt können wir Gott danken.« Er bekreuzte sich, und die drei Frauen folgten seinem Beispiel. Grete, die kein Auge von der Leiche wendete, sagte: »Seht nur, wie mager er war. Er hat ja auch schon so lange Zeit nichts gegessen. So wie die Speisen hereinkamen, sind sie wieder hinausgekommen.« Tatsächlich war Gregors Körper vollständig flach und trocken, man erkannte das eigentlich erst jetzt, da er nicht mehr von den Beinchen gehoben war und auch sonst nichts den Blick ablenkte.
  • „Frau Samsa“ wendet sich jetzt ganz der Tochter zu
    • »Komm, Grete, auf ein Weilchen zu uns herein«, sagte Frau Samsa mit einem wehmütigen Lächeln, und Grete ging, nicht ohne nach der Leiche zurückzusehen, hinter den Eltern in das Schlafzimmer.
    • Die Bedienerin schloß die Tür und öffnete gänzlich das Fenster.
  • Bezeichnender Kommentar des Erzählers
    • Trotz des frühen Morgens war der frischen Luft schon etwas Lauigkeit beigemischt. Es war eben schon Ende März.
  • Familie gönnt sich einen freien Tag
    • Sie beschlossen, den heutigen Tag zum Ausruhen und Spazierengehen zu verwenden; sie hatten diese Arbeitsunterbrechung nicht nur verdient, sie brauchten sie sogar unbedingt. Und so setzten sie sich zum Tisch und schrieben drei Entschuldigungsbriefe, Herr Samsa an seine Direktion, Frau Samsa an ihren Auftraggeber und Grete an ihren Prinzipal. Während des Schreibens kam die Bedienerin herein, um zu sagen, daß sie fortgehe, denn ihre Morgenarbeit war beendet. Die drei Schreibenden nickten zuerst bloß, ohne aufzuschauen, erst als die Bedienerin sich immer noch nicht entfernen wollte, sah man ärgerlich auf. »Nun?« fragte Herr Samsa.
  • Frau Samsa neue Rolle – Oberwasser
    • Die Bedienerin stand lächelnd in der Tür, als habe sie der Familie ein großes Glück zu melden, werde es aber nur dann tun, wenn sie gründlich ausgefragt werde. Die fast aufrechte kleine Straußfeder auf ihrem Hut, über die sich Herr Samsa schon während ihrer ganzen Dienstzeit ärgerte, schwankte leicht nach allen Richtungen. »Also was wollen Sie eigentlich?« fragte Frau Samsa, vor welcher die Bedienerin noch am meisten Respekt hatte. »Ja«, antwortete die Bedienerin und konnte vor freundlichem Lachen nicht gleich weiterreden, »also darüber, wie das Zeug von nebenan weggeschafft werden soll, müssen Sie sich keine Sorgen machen. Es ist schon in Ordnung.«
  • Desinteresse der Familie
    • Frau Samsa und Grete beugten sich zu ihren Briefen nieder, als wollten sie weiterschreiben; Herr Samsa, welcher merkte, daß die Bedienerin nun alles ausführlich zu beschreiben anfangen wollte, wehrte dies mit ausgestreckter Hand entschieden ab. Da sie aber nicht erzählen durfte, erinnerte sie sich an die große Eile, die sie hatte, rief offenbar beleidigt: »Adjes allseits«, drehte sich wild um und verließ unter fürchterlichem Türezuschlagen die Wohnung.
  • Familie will jetzt auch von der Bedienerin nicht mehr gestört werden.
    • »Abends wird sie entlassen«, sagte Herr Samsa, bekam aber weder von seiner Frau noch von seiner Tochter eine Antwort, denn die Bedienerin schien ihre kaum gewonnene Ruhe wieder gestört zu haben. Sie erhoben sich, gingen zum Fenster und blieben dort, sich umschlungen haltend.
  • Statt der „alten Sachen“ jetzt Liebkosung des Vaters durch die Frauen
    • Herr Samsa drehte sich in seinem Sessel nach ihnen um und beobachtete sie still ein Weilchen. Dann rief er: »Also kommt doch her. Laßt schon endlich die alten Sachen. Und nehmt auch ein wenig Rücksicht auf mich.« Gleich folgten ihm die Frauen, eilten zu ihm, liebkosten ihn und beendeten rasch ihre Briefe.
  • Gemeinsamer Ausflug mit schöner Perspektive
    • Dann verließen alle drei gemeinschaftlich die Wohnung, was sie schon seit Monaten nicht getan hatten, und fuhren mit der Elektrischen ins Freie vor die Stadt. Der Wagen, in dem sie allein saßen, war ganz von warmer Sonne durchschienen.
    • Sie besprachen, bequem auf ihren Sitzen zurückgelehnt, die Aussichten für die Zukunft, und es fand sich, daß diese bei näherer Betrachtung durchaus nicht schlecht waren, denn aller drei Anstellungen waren, worüber sie einander eigentlich noch gar nicht ausgefragt hatten, überaus günstig und besonders für später vielversprechend.
    • Die größte augenblickliche Besserung der Lage mußte sich natürlich leicht durch einen Wohnungswechsel ergeben; sie wollten nun eine kleinere und billigere, aber besser gelegene und überhaupt praktischere Wohnung nehmen, als es die jetzige, noch von Gregor ausgesuchte war.
    • Während sie sich so unterhielten, fiel es Herrn und Frau Samsa im Anblick ihrer immer lebhafter werdenden Tochter fast gleichzeitig ein, wie sie in der letzten Zeit trotz aller Plage, die ihre Wangen bleich gemacht hatte, zu einem schönen und üppigen Mädchen aufgeblüht war.
    • Stiller werdend und fast unbewußt durch Blicke sich verständigend, dachten sie daran, daß es nun Zeit sein werde, auch einen braven Mann für sie zu suchen. Und es war ihnen wie eine Bestätigung ihrer neuen Träume und guten Absichten, als am Ziele ihrer Fahrt die Tochter als erste sich erhob und ihren jungen Körper dehnte.

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