Kafka, „Die Verwandlung“: Die Bedeutung des Bildes der Frau mit Pelzhut (Mat7230)

Worum es hier geht:

Bei Gregors Reaktion auf seine Verwandlung spielt auch eine „Dame […] mit einem Pelzhut und einer Pelzboa“ eine Rolle.

Dabei geht es um zwei Stellen:

  1. 5.

»Was ist mit mir geschehen?«, dachte er. Es war kein Traum. Sein Zimmer, ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen den vier wohlbekannten Wänden. Über dem Tisch, auf dem eine auseinandergepackte Musterkollektion von Tuchwaren ausgebreitet war – Samsa war Reisender – hing das Bild, das er vor kurzem aus einer illustrierten Zeitschrift ausgeschnitten und in einem hübschen, vergoldeten Rahmen untergebracht hatte. Es stellte eine Dame dar, die mit einem Pelzhut und einer Pelzboa versehen, aufrecht dasaß und einen schweren Pelzmuff, in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem Beschauer entgegenhob.

Quelle: Franz Kafka: Gesammelte Werke. Band 5, Frankfurt a.M. 1950 ff., S. 57-73.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005132568

  1. 39

Und so brach er denn hervor – die Frauen stützten sich gerade im Nebenzimmer an den Schreibtisch, um ein wenig zu verschnaufen – , wechselte viermal die Richtung des Laufes, er wußte wirklich nicht, was er zuerst retten sollte, da sah er an der im übrigen schon leeren Wand auffallend das Bild der in lauter Pelzwerk gekleideten Dame hängen, kroch eilends hinauf und preßte sich an das Glas, das ihn festhielt und seinem heißen Bauch wohltat. Dieses Bild wenigstens, das Gregor jetzt ganz verdeckte, würde nun gewiß niemand wegnehmen. Er verdrehte den Kopf nach der Tür des Wohnzimmers, um die Frauen bei ihrer Rückkehr zu beobachten.

Quelle: Franz Kafka: Gesammelte Werke. Band 5, Frankfurt a.M. 1950 ff., S. 73-90.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005132576

Anmerkungen dazu:

  1. Es spricht einiges für die Annahme, dass dieses Bild für Gregors ungelebtes Leben steht. Er hat sich ganz für die Familie aufgeopfert und sich dabei selbst vernachlässigt.
  2. Bezeichnend sind die Hinweise auf kostbare Pelz-Elemente der Kleidung. Das ist etwas, was Gregor nicht erreichen kann, aber er kann es sich zumindest an die Wand hängen.
  3. Interessant ist, dass er später in der Episode, in der sein Zimmer ausgeräumt werden soll, regelrecht um dieses Bild kämpft. Wenigstens das soll ihm noch erhalten bleiben.
  4. Dabei kann natürlich auch Sexualität eine Rolle spielen, wenn man davon ausgeht, dass diese Frau zugleich verführerisch und unerreichbar ist.
  5. Literaturwissenschaftler verweisen auf Querbezüge zu der Novelle “Venus im Pelz” von Leopold von Sacher-Masoch. Dort geht es um Masochismus und Unterwerfung.
    Näheres dazu findet sich hier:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Venus_im_Pelz
    Wenn man das Folgende mit Gregor vergleicht, so wird deutlich, dass es sich hier allenfalls um Anspielungen auf innere Sehnsüchte handelt.
    Diese deuten aber zumindest an, dass es für Gregor insgeheim doch noch ein anderes Leben geben könnte als das angepasste des Versorgers der Familie.
    In dem Wikipedia-Artikel heißt es im Hinblick auf den Verfasser (Zitat in kursiver Schrift) – die Gliederung stammt von uns:

    • Sacher-Masoch beschreibt darin die extremen Wechselbäder der Gefühle,
    • die der „Sklave“ Severin durch seine Herrin Wanda erfährt,
    • die ihn in ihrer feminin-dominanten Rolle als Venus im Pelz an seine körperlichen und geistigen Grenzen treibt,
    • um ihn schließlich zu verlassen –
      • wegen eigener unbefriedigter Unterwerfungssehnsucht
      • oder aber um ihn von seinem Masochismus zu heilen.

Weitere Infos, Tipps und Materialien