Worum es hier geht:
Wir stellen ein Gedicht aus der Zeit der Aufklärung vor, das sehr rational aufgebaut ist, darüber hinaus aber auch durchaus schon wirkungsvoll Gefühle einsetzt.
Sehr diskussionswürdig finden wir den Nebenbei-Hinweis, dass „nicht-europäisch-zivilisierte“ Völker möglicherweise friedfertiger sind und ruhig unter einer Palme leben können. Dazu lässt sich sicher viel sagen – und vor allem ein bisschen recherchieren.
Was war z.B. mit dem sog. Mongolensturm. Wie sah es mit der Friedfertigkeit unter konkurrierenden Völkerschaften aus?
Nun aber erst mal zum Gedicht.
Der Text ist u.a. hier zu finden:
Die Entwicklung des Verständnisses von Karl Wilhelm Ramlers Gedicht „An den Frieden“ lässt sich anhand der drei vorliegenden Abschnitte klar nachvollziehen. Die Struktur des Gedichtes baut das Verständnis des Friedens als verlorenes Ideal auf, führt dann die konkrete Verwüstung durch den Krieg vor Augen und endet mit einer Forderung nach Erlösung und der ewigen Verbannung des Feindes.
Karl Wilhelm Ramler
An den Frieden
- Wo bist du hingeflohn, geliebter Friede?
- Gen Himmel, in dein mütterliches Land?
- Hast du dich, ihrer Ungerechtigkeiten müde,
- Ganz von der Erde weggewandt?
- Wohnst du nicht noch auf einer von den Fluren
- Des Ozeans, in Klippen tief versteckt,
- Wohin kein Wuchrer, keine Missetäter fuhren,
- Die kein Eroberer entdeckt?
- Nicht wo, mit Wüsten ringsumher bewehret,
- Der Wilde sich in deinem Himmel dünkt?
- Sich ruhig von den Früchten seines Palmbaums nähret,
- Vom Safte seines Palmbaums trinkt?
- O! wo du wohnst, laß endlich dich erbitten:
- Komm wieder, wo dein süßer Feldgesang
- Von herdevollen Hügeln und aus Weinbeerhütten
- Und unter Kornaltären klang!
- Abschnitt 1: Die idealisierende Suche nach dem verlorenen Frieden
- Inhalt: Dieser erste Abschnitt etabliert den Frieden als eine verlorene und abwesende Größe. Das lyrische Ich beginnt mit einer Reihe rhetorischer Fragen, die den Aufenthaltsort des Friedens ergründen sollen.
- Es wird vermutet, dass der Friede entweder in den Himmel („mütterliches Land“) zurückgekehrt ist, weil er der Ungerechtigkeiten der Erde müde wurde, oder dass er sich an utopischen, unberührten Orten verbirgt.
- Diese idealisierten Zufluchtsorte sind fernab der zivilisierten Welt: tief versteckt in Klippen auf einer Ozeaninsel, wohin keine Wucherer, Missetäter oder Eroberer vordringen.
- Oder der Friede wird in der Abgeschiedenheit gesucht, wo der „Wilde“ in Wüstenumgebung lebt und sich ruhig von seinem Palmbaum ernährt. Das Verständnis des Friedens wird hier zunächst als ein unbefleckter Zustand der Unschuld und Abwesenheit von Korruption und Gewalt aufgebaut.
— - Art des Übergangs zu Abschnitt 2: Der Übergang markiert eine Veränderung von der spekulativen Frage zur direkten, flehenden Anrufung. Das lyrische Ich beendet die Suche nach dem idealen Aufenthaltsort des Friedens und wendet sich direkt an ihn mit einer dringenden Bitte: „O! wo du wohnst, laß endlich dich erbitten: Komm wieder“. Das Verständnis verlagert sich von der philosophischen Suche nach dem Wo zum konkreten Appell zur Rückkehr.
- Sieh diese Schäfersitze, deine Freude,
- Wie Städte lang, wie Rosengärten schön,
- Nun sparsam, nun wie Bäumchen auf verbrannter Heide,
- Wie Gras auf öden Mauern stehn.
- Die Winzerinnen halten nicht mehr Tänze;
- Die jüngst verlobte Garbenbinderin
- Trägt ohne Saitenspiel und Lieder ihre Kränze
- Zum Dankaltare weinend hin.
- Denn ach! der Krieg verwüstet Saat und Reben
- Und Korn und Most; vertilget Frucht und Stamm,
- Erwürgt die frommen Mütter, die die Milch uns geben,
- Erwürgt das kleine fromme Lamm.
-
- Abschnitt 2: Die Klage über die Zerstörung und die Personifizierung des Krieges
Inhalt: Dieser Abschnitt dient der Kontrastierung des friedlichen Gestern mit dem kriegerischen Heute und der Erweiterung des Verständnisses über die konkreten Folgen des Friedensverlustes. - Zuerst werden die Erinnerungen an den friedlichen Zustand wachgerufen, in dem „süßer Feldgesang“ aus Weinbeerhütten und unter „Kornaltären“ (im Feld aufgehäuften Garben) erklang [2, Koraltäre].
- Die Gegenwart hingegen wird als trostlos geschildert: ehemals schöne Schäfersitze gleichen nun Bäumchen auf verbrannter Heide oder Gras auf öden Mauern.
- Die Zerstörung wird durch persönliche Schicksale verdeutlicht: Winzerinnen tanzen nicht mehr, und die jüngst verlobte Garbenbinderin bringt ihre Kränze weinend und ohne Musik zum Dankaltar.
- Das Verständnis wird nun entscheidend erweitert, indem der Krieg als unmittelbare Ursache der Verwüstung benannt wird, der Saat, Reben, Korn und Most vertilgt und sowohl Frucht als auch Stamm vernichtet.
- Die Grausamkeit des Krieges wird auf die Spitze getrieben, indem er auch Unschuldige tötet: „fromme Mütter“, die Milch spenden, und das „kleine fromme Lamm“ werden erwürgt.
- Abschnitt 2: Die Klage über die Zerstörung und die Personifizierung des Krieges
-
- Mit unsern Rossen fährt er Donnerwagen,
- Mit unsern Sicheln mäht er Menschen ab;
- Den Vater hat er jüngst, er hat den Mann erschlagen,
- Nun fordert er den Knaben ab.
- me dich des langen Jammers! rette
- Von deinem Volk den armen Überrest!
- Bind an der Hölle Tor mit siebenfacher Kette
- Auf ewig den Verderber fest!
- Art des Übergangs zu Abschnitt 3: Der Übergang stellt eine dramatische Intensivierung der Anklage gegen den Krieg dar.
- Während Abschnitt 2 die Zerstörung von Natur und unschuldigem Leben beschreibt, fokussiert Abschnitt 3 auf die direkte, aktive Tötung von Menschen und die generationsübergreifende Zerstörung der Familie.
- Das Verständnis wird vertieft, indem gezeigt wird, dass der Krieg nicht nur von außen kommt, sondern die eigenen Mittel des Volkes (Pferde, Sicheln) gegen es selbst verwendet.
- Abschnitt 3: Die ultimative Anklage und die Forderung nach ewiger Verbannung
- Inhalt: Dieser finale Abschnitt vollendet das Schreckensbild des Krieges und mündet in einer verzweifelten Forderung.
- Es wird betont, dass der Krieg die eigenen Ressourcen des Volkes gegen sie wendet, indem er mit „unsern Rossen“ Donnerwagen fährt und mit „unsern Sicheln“ Menschen abmäht.
- Die Zerstörung der Familie wird als Eskalation des Jammers dargestellt: Nachdem Vater und Mann erschlagen wurden, fordert der Krieg nun den Knaben.
- Das lyrische Ich fleht um Gnade für den „armen Überrest“ des Volkes. Das Verständnis des Krieges als rein zerstörerische, dämonische Kraft („Verderber“) kulminiert in der Forderung, diesen mit einer „siebenfachen Kette“ auf ewig am Tor der Hölle festzubinden.
Zusammenfassung der Aussagen des Gedichtes
- Das Gedicht zeigt die tiefe Sehnsucht nach einem idealisierten, reinen Frieden, der nur in der Abwesenheit menschlicher Gier und Ungerechtigkeit existieren kann, und stellt diesem Zustand den brutalen, alles Leben und alle Unschuld vernichtenden Krieg gegenüber.
- Es demonstriert, wie der Krieg die landwirtschaftlichen und familiären Grundlagen der Gesellschaft systematisch zerstört, indem er Ernte, Tiere und die Mütter tötet, und wie er durch die instrumentalisierte Tötung von Männern und Vätern die Existenz des Volkes bis zur letzten Generation (dem Knaben) bedroht.
- Schließlich kulminiert die Klage in einem vehementen und verzweifelten Appell zur Rettung und in der Forderung nach der endgültigen, ewigen Verbannung des Krieges als des ultimativen „Verderbers“.
Sprachliche u.a. Mittel im Gedicht
Das grundlegende strategische Mittel Ramlers ist die Personifizierung des Friedens und dessen Inszenierung als eine dringend benötigte, aber verschwundene Figur. Wie man in einer Bedrohungslage einen starken Freund und Helfer heranruft, von dem man nicht weiß, wo er gerade ist.
Die folgende Tabelle dient nur der Anregung. Aus ihr kann herausgearbeitet werden, welche der Mittel nicht nur im Studium, sondern auch im normalen Deutschunterricht „funktionieren“ und vor allem überzeugen.
Wichtig ist uns die Beziehung zwischen Mittel, Zweck und Wirkung.
Strategisches Mittel | Zentralaussage / Zweck | Wirkung |
Apostrophe und Personifikation | Der Friede wird als „geliebter Friede“ direkt angesprochen, der „hingeflohn“ ist und „ihrer Ungerechtigkeiten müde“ ist. | Emotionalisierung der Abwesenheit: Durch die Behandlung des Friedens als verlässlichen, aber empfindlichen Freund wird sein Verlust emotional greifbar. Die Abwesenheit wird zur Schuld der Menschheit (durch „Ungerechtigkeiten“) und erzeugt eine dramatische Dringlichkeit der Wiederkehr. |
Topos des Goldenen Zeitalters | Ramler sucht den Frieden in utopischen Orten: im „mütterliches Land“ (Himmel) oder in unerforschten, idealisierten „Fluren“. | Kritik und Ideal: Die implizite Botschaft ist, dass der Friede in der zivilisierten, von „Wuchrer, keine Missetäter“ und „Eroberer“ beherrschten Welt nicht mehr existiert. Das strategische Mittel besteht darin, das idealisierte Pendant zum chaotischen Hier und Jetzt zu konstruieren, um die gegenwärtige Misere scharf zu verurteilen. |
Die Unterstützung der zentralen Aussagen durch spezifische sprachliche Mittel
Die zentrale Aussage des Gedichts – der Friede ist aufgrund menschlicher Verfehlungen verschwunden und nur in der Utopie existent – wird durch gezielte sprachliche Figuren unterstützt:
- Rhetorische Figuren zur Etablierung des Verlusts
Mittel | Beispiel (aus) | Zweck | Wirkung |
Rhetorische Frage | „Wo bist du hingeflohn, geliebter Friede?“ / „Hast du dich… Ganz von der Erde weggewandt?“ | Orientierungsverlust und Pathos: Drückt sofort die Verzweiflung und die Ratlosigkeit über das Verschwinden aus. | Zieht den Leser direkt in die emotionale Suche hine und etabliert den Text als Klagegesang (Lamentation). |
Parallelismus / Enumeration | Aufzählung der möglichen Zufluchtsorte in den ersten Strophen (Himmel, Klippen, Wüstenfluren). | Systematische Suche: Verleiht der Suche nach dem Frieden eine umfassende, fast kosmische Dimension. | Unterstreicht, wie gründlich der Friede verschwunden ist und wie unwahrscheinlich seine Wiederkehr ist, da er nirgendwo in der bekannten Welt verweilt. |
Stilistische Mittel zur Darstellung des utopischen Ideals
Die zweite Hälfte des Textausschnitts beschreibt die idealen Orte, an denen der Friede vielleicht noch verweilen könnte. Diese dienen als Antithese zur gegenwärtigen, unruhigen Welt.
Mittel | Beispiel (aus) | Zweck | Wirkung |
Utopische Verneinung (Negativkatalog) | Orte, „Wohin kein Wuchrer, keine Missetäter fuhren, / Die kein Eroberer entdeckt?“ | Definition durch Abwesenheit von Laster: Das Ideal des Friedens wird klar von den Übeln der Zivilisation abgegrenzt. | Scharfe moralische Kritik an der korrupten Gesellschaft (Ramler war Teil der Aufklärung), die durch Habgier und Gewalt (Wuchrer, Eroberer) den Frieden vertrieben hat. |
Idyllische Beschreibung | Der Wilde „Sich ruhig von den Früchten seines Palmbaums nähret? / Vom Safte seines Palmbaums trinkt?“ | Darstellung des einfachen Naturzustands: Zeigt eine Gesellschaft, die in „unschuldiger Ergötzlichkeit“ lebt, versorgt durch die „mütterlich schenkenden Erde“ ohne Mühe und Elend. | Sehnsuchtsbild: Vermittelt das Gefühl von Ruhe und Ausgeglichenheit (otium), das der zivilisierten Welt fehlt, und stellt das Glück in der Einfachheit dar. |
Metaphorik (mütterliches Land) | „Gen Himmel, in dein mütterliches Land?“ | Heimat und Ursprung: Verknüpft den Frieden mit einem göttlichen, reinen Ursprung. | Stärkt die Personifikation und impliziert, dass der Friede überirdisch oder uranfänglich (wie das Goldene Zeitalter) ist, und somit unerreichbar für die verdorbene Erde. |
Das Gedicht und die Epoche der Aufklärung
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Das Gedicht verurteilt den Krieg als Folge menschlicher Verfehlungen – ein Ausdruck aufklärerischer Vernunftkritik.
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Wucherer und Eroberer werden als Feinde des Friedens dargestellt – Kritik an wirtschaftlicher und politischer Macht.
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Der Krieg wird drastisch geschildert und personifiziert – typisch für die aufklärerische Ehrlichkeit im Umgang mit Leid.
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Ramler fordert den „ewigen Frieden“ – ein zentrales moralphilosophisches Ziel der Aufklärung.
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Der Friede wird als Zustand des „Goldenen Zeitalters“ oder Arkadiens verklärt.
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Frieden wird im Bild des „edlen Wilden“ in einer unberührten Natur gesucht – Bezug auf Rousseaus Naturzustand.
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Ramler entwickelte die Theorie des Schäferdichtens, um ein idealisiertes Bild friedlicher Existenz zu schaffen.
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Die Ode folgt den literarischen Normen der Zeit, u.a. durch Orientierung an Horaz und französischer Klassik.
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Das Gedicht verbindet Anlassbezug mit moralischer Erziehung – typisch für Ramlers Werk.
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Das Gedicht verbindet Kritik, Idealbild und moralischen Anspruch – exemplarisch für das aufklärerische Denken.
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Gedichte zum Thema Krieg
https://textaussage.de/politische-lyrik-thema-krieg
— - Infos, Tipps und Materialien zu politischen Gedichten
https://textaussage.de/themenseite-politische-lyrik
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos