Kathrin Schrocke, „Ira“ –  Kurzgeschichte über jugendliche Protesthaltung (Mat7345)

Rückblick auf eine Protesthaltung, die überwunden wurde?

Wir stellen hier eine Kurzgeschichte vor, die sich in einem Grenzbereich jugendlichen Protestverhaltens bewegt, bei dem man als Laie nicht mehr weiß, ob hier nicht fachliche Hilfe nötig ist.

Zu finden ist der Text z.B.hier:
https://d-nb.info/1149948426

ISBN: 978-3-14-123694-1

https://www.westermann.de/artikel/978-3-14-123694-1/Klartext-Differenzierende-Ausgabe-2014-fuer-Nordrhein-Westfalen-Schulbuch-9

Aus urheberrechtlichen Gründen präsentieren wir nur die Anfänge und das Ende der Absätze, zu denen wir Anmerkungen präsentieren.

Kathrin Schrocke (2017)

Ira

  1. Am Donnerstag“ […] zu würdigen weißt
    • Die Geschichte beginnt mit einem direkten Einstieg in ein Beratungsgespräch. In ihm wird Ira, die Ich-Erzählerin von einer Frau Ehrenreich gewarnt, sie sei auf dem besten Wege, kriminell zu werden.
    • Deutlich wird eine gewisse Intensität der Kommunikation auf mehreren Ebenen. Ira versucht, einen bestimmten Eindruck zu erwecken und wundert sich nicht, dass ihr Gegenüber genau damit schon rechnet und es auch zurückweisend deutlich macht.
  2. „Ich wusste nichts zu würdigen […] ihr eine Laufmasche hineinzubeißen.“
    • Im nächsten Erzählschritt wird die Distanz noch deutlicher, die Ira gegenüber der Frau Ehrenreich aufbaut. Sie bereitet sich auf ein Gespräch vor, indem sie sich „kleine Fiesigkeiten“ ausdenkt. In der realen Gesprächssituation hilft ihr das allerdings nicht, sie wird regelrecht „kleinlaut“.
  3. „Ira, sag mir, was du denkst […] einfach zu banal.“
    • Direkt danach wird dieses Machtungleichgewicht deutlich gemacht an der Frage, was Ira ihrem Gegenüber von ihrem wirklichen Denken sagen mag. Es kommen aber nur Standardvorstellungen von einer „besseren Welt“, was weit von dem entfernt ist, was Ira wirklich beschäftigt.
  4. Niemand konnte es verstehen […] auch verschlungen hätte.“
    • Deutlich wird, dass sie eine absolute Antihaltung hat gegenüber allem, was sie als „angepasst ansieht, was für sie „ein widerlicher Einheitsbrei“ ist, von dem sie Angst hat, „verschlungen“ zu werden.
  5. Aber nicht mit mir […], einer freundlichen Aufforderung gleichkam, zuzuschlagen.“
    • In diesem Abschnitt wird deutlich, welche Abwehrmaßnahmen Ira nutzt, um sich gegen das Verschlungen-Werden zu wehren.
    • Das ist ziemlich provokativ und führt entsprechend auch zu Maßnahmen.
    • Sehr problematisch am Ende Iras Einstellung, die letztlich besagt, dass „die pure Existenz der meisten Menschen“ für sie schon eine Aufforderung ist zuzuschlagen.
    • Als Leser ist man fassungslos gegenüber solchen Einstellungen und fragt sich, was diese Geschichte in der Schule soll – vielleicht Zustimmung aulösen?
    • Was soll man einer solchen Haltung entgegensetzen? Ist das ein Fall für den Psychiater oder gleich für Sicherungsverwahrung? Ira scheint überhaupt nicht bewusst zu sein, was sie da von sich gibt.
  6. Deine Eltern machen sich Sorgen […] dass sie nicht verstehen würde.“
    • In diesem Abschnitt wird deutlich, wie gleichgültig Ira ihr Umfeld und ihre Zukunft ist.
    • Auf den Gedanken, dass man sie vielleicht einige Zeit als Hilfsarbeiterin ihren Lebensunterhalten verdienen lassen sollte, kommt sie nicht.
  7. Wir alle wollen nur dein Bestes […]nur bitte nicht eine gehörige Portion Wut.“
    • Der Hinweis auf angebliche Mädcheneigenschaften ist natürlich kontraproduktiv.
    • Hier kann man Ira tatsächlich zustimmen, dass Menschen mit dem „Doppel-X“ natürlich auch Wut empfinden dürfen.
    • Es ist nur die Frage, gegen wen die sich richtet und wie man damit umgeht.
  8. Ich war ihr rätselhaft […] auf den rechten Weg der Tugend zurückzuführen.“
    • Auch dieser Abschnitt zeigt eine gewisse Niedertracht von seiten Iras.
    • Sie zeigt überhaupt kein Verständnis ihrem Gegenüber.
    • Sehr problematisch ist die arrogante Begründung für den Verzicht auf Gewalt.
  9. Erzähl mir deinen Traum […] auf den ich eindreschen konnte.“
    • Auch in diesem Abschnitt erkennt man, wie weit diese Ira vom Bereich normalen Verhaltens entfernt ist.
    • Sie hat nicht die geringste Vorstellung von einer Wirklichkeit, die Basis ihres Lebens sein kann.
    • Man könnte ihr einfach sagen: Den Sandsack musst du dir verdienen – und wenn du Hunger bekommst oder ein Dach über dem Kopf haben willst, das auch. Immer natürlich unter der Voraussetzung, dass diese Ira für ihr Verhalten verantwortlich ist und nicht krank.
  10. Weißt du“ […] „zu ersticken und abzuquetschen.
    • Auch in diesem Abschnitt keine Bereitschaft, auf etwas zu hören, was Ira selbst gar nicht beurteilen kann.
    • Stattdessen Menschenverachtung und Aggression, verbunden mit einem arroganten Selbstbewusstsein, für das es keine reale Grundlage gibt.
  11. Und dann musste ich anfangen zu lachen […] wenn jemand andere Probleme hatte als eine Fünf in Mathe.“
    • Auch hier nur Provokation statt Bemühen um Verständigung.
    • Nur am Ende deutet Ira an, dass sie vielleicht „andere Probleme“ haben könnte, „als eine Fünf in Mathe.“
    • Es ist schade, dass es der Beratungslehrerin nicht gelingt, diese Einsicht sichtbar zu machen – und dass Ira von sich aus diese wichtige Information für sich behält.
  12. Dann war die Sprechzeit vorbei […] und ging grußlos aus dem Raum.“
    • Auch hier wieder ein Verhalten, das allen Erziehungsgrundsätzen
    • Typisch für eine Kurzgeschichte bleibt die Vorgeschichte – auch das Verhältnis zu den Eltern – ungeklärt.
  13. Draußen beruhigte ich mich wieder […] und mir die Angst quälend langsam die Beine emporkroch.“
    • Dann ein sehr schöner Schluss dieser Geschichte, denn er enthält die verstecke Botschaft, dass es neben der Beratungslehrerin und der Schülerin möglicherweise doch sehr viel mehr Gemeinsamkeiten gibt, als Ira zulassen will.
    • Das knüpft an an die Stelle, wo die Beratungslehrerin – leider wohl etwas ungeschickt – auf den fundamental wichtigen Aspekt der Zeit verweist – die nicht nur Wunden heilt, sondern auch Änderungen im Denken und Verhalten mit sich bringt.

Insgesamt eine Geschichte, die

  • Ein großes Generationsproblem deutlich macht, was hier auf sehr extreme Weise sichtbar wird.
  • Verbunden damit ist auch ein Kommunikationsproblem. Man könnte überlegen, was die Beratungslehrerin noch tun könnte, um den großen Abstand zu Ira zu verringern. Sie macht ja einen Versuch, aber der wirkt zu oberflächlich und erreicht die Schülerin nicht so, wie er wahrscheinlich gemeint ist.
  • Ansonsten ist diese Schülerin sicher im Grenzbereich, bei dem ggf. fachliche Hilfe nötig ist. Nur administrative Maßnahmen sind hier keine Lösung. Der Schlüssel liegt in der kurz aufblitzenden Erkenntnis Iras, dass sie noch andere Probleme hat als das, was sie hier sichtbar macht.

Kreative Anregung

  • Spannend ist die folgende Stelle: „Ich wusste nichts zu würdigen damals“. Hier wird nämlich angedeutet, dass die Ich-Erzählerin anscheinend auf früheres Verhalten zurückgreift und sich inzwischen weiterentwickelt hat.
  • Dieser Teil der Geschichte fehlt – und könnte gut kreativ ergänzt werden. Das geht natürlich erst, wenn ausreichend geklärt ist, was zu der Veränderung und einer entsprechenden Einsicht geführt haben könnte.
    • Eine Möglichkeit wäre, dass Ira tatsächlich kriminell wird und dann merkt, dass das nicht das ist, was sie auf Dauer will.
    • Oder sie muss die Schule verlassen und ihre Eltern zwingen sie, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
    • Vielleicht lernt sie auch jemanden kennen, der sie über Verständnis, Zuneigung und eigene Erfahrungen erreicht.

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