„Kleider machen Leute“ – die erste Begegnung zwischen Wenzel und Nettchen (Mat2152)

Novelle – Textstelle untersuchen – wie geht das?

Wenn man nach einem passenden Text für eine Klassenarbeit zu Kellers Novelle „Kleider machen Leute“, dann bietet sich die folgende Stelle gut an.

Denn dort trifft nicht nur Wenzel erstmals auf Nettchen, sondern die Begegnung verändert ihn auch stark.

Außerdem mischt sich hier der Erzähler auf eine besondere und für die damalige Zeit durchaus typische Weise ein.

Aufgabe

Wir konzentrieren uns hier zunächst mal auf den Text und erste Beobachtungen und Auswertungen. Das kann man leicht zu einer Klassenarbeit ausbauen, die etwa folgende Aufgabenteile enthält:

  1. Ordne die Textstelle in den Zusammenhang der Handlung ein.
  2. Untersuche die Textstelle im Hinblick auf das Verhalten der Figuren.
  3. Suche nach Textstellen, die man dem Erzähler zuordnen kann.
  4. Welche Bedeutung hat die Textstelle insgesamt für die Novelle?

Situation des Schneiders

Um die erste Begegnung zwischen Wenzel und Nettchen zu verstehen, muss man natürlich erst mal die Situation des Schneiders klären, in der er sich befindet:

  1. Er wird für einen Grafen gehalten und entsprechend behandelt und wehrt sich nicht genügend oder nicht mit Erfolg dagegen.
  2. Kurz zuvor ist er sogar bei Böhni in Verdacht geraten, aber der will die Sache erst mal auf sich beruhen lassen, weil „der rätselhafte Fremde keine Gier nach dem Gelde gezeigt“ hat.

Begegnung zwischen Wenzel und Nettchen

  1. [Wenzel will verschwinden]
    „Aber der Graf Strapinski, als man sich vor dem Abendessen im Freien erging, nahm jetzo seine Gedanken zusammen und hielt den rechten Zeitpunkt einer geräuschlosen Beurlaubung für gekommen. Er hatte ein artiges Reisegeld und nahm sich vor, dem Wirt zur Waage von der nächsten Stadt aus sein aufgedrungenes Mittagsmahl zu bezahlen.“
  2. [Wenzel sucht nach einem Ausweg und macht dabei einen guten Eindruck]
    „Also schlug er seinen Radmantel malerisch um, drückte die Pelzmütze tiefer in die Augen und schritt unter einer Reihe von hohen Akazien in der Abendsonne langsam auf und nieder, das schöne Gelände betrachtend oder vielmehr den Weg erspähend, den er einschlagen wollte. Er nahm sich mit seiner bewölkten Stirne, seinem lieblichen, aber schwermütigen Mundbärtchen, seinen glänzenden schwarzen Locken, seinen dunklen Augen, im Wehen seines faltigen Mantels vortrefflich aus; der Abendschein und das Säuseln der Bäume über ihm erhöhte den Eindruck, so daß die Gesellschaft ihn von ferne mit Aufmerksamkeit und Wohlwollen betrachtete.“
  3. [Wenzel trifft auf den Amtsrat mit Nettchen, seiner Tochter]
    Allmählich ging er immer etwas weiter vom Hause hinweg, schritt durch ein Gebüsch, hinter welchem ein Feldweg vorüberging, und als er sich vor den Blicken der Gesellschaft gedeckt sah, wollte er eben mit festem Schritt ins Feld rücken, als um eine Ecke herum plötzlich der Amtsrat mit seiner Tochter Nettchen ihm entgegentrat. Nettchen war ein hübsches Fräulein, äußerst prächtig, etwas stutzerhaft gekleidet und mit Schmuck reichlich verziert.
  4. [Wenzel wird vom Amtsrat freundlich begrüßt und zum Abendbrot eingeladen]
    »Wir suchen Sie, Herr Graf!« rief der Amtsrat, »damit ich Sie erstens hier meinem Kinde vorstelle, und zweitens, um Sie zu bitten, daß Sie uns die Ehre erweisen möchten, einen Bissen Abendbrot mit uns zu nehmen; die anderen Herren sind bereits im Hause.«
  5. [Wenzels Reaktion auf die Einladung und Nettchen]
  6. [Wenzel präsentiert sich schüchtern und anscheinend beeindruckt]
    „Der Wanderer nahm schnell seine Mütze vom Kopfe und machte ehrfurchtsvolle, ja furchtsame Verbeugungen, von Rot übergossen.
  7. [Kommentar des Erzählers: Hinweise auf die Bedeutung und die Wirkung Nettchens als Dame]
    Denn eine neue Wendung war eingetreten, ein Fräulein beschritt den Schauplatz der Ereignisse.
  8. [Nettchen empfindet Wenzels Schüchternheit als angenehm.]
    Doch schadete ihm seine Blödigkeit und übergroße Ehrerbietung nichts bei der Dame; im Gegenteil, die Schüchternheit, Demut und Ehrerbietung eines so vornehmen und interessanten jungen Edelmanns erschien ihr wahrhaft rührend, ja hinreißend.
  9. [Erzähler präsentiert die Hintergedanken Nettchens]
    Da sieht man, fuhr es ihr durch den Sinn, je nobler, desto bescheidener und unverdorbener; merkt es euch, ihr Herren Wildfänge von Goldach, die ihr vor jungen Mädchen kaum mehr den Hut berührt!“
  10. [Nettchens Reaktion]
  11. [Nettchen übernimmt die typische Frauenrolle und zeigt sichzugleich auch angetan von Wenzel]
    „Sie grüßte den Ritter daher auf das holdseligste, indem sie auch lieblich errötete,
  12. [Sie hat keine Hemmungen, versteht sich anscheinend gleich gut mit Wenzel.]
    und sprach sogleich hastig und schnell und vieles mit ihm,
  13. [Kommentar des Erzählers: Nettchen als Kleinstädterin, die sich Fremden gegenüber gut präsentieren wollen]
    wie es die Art behaglicher Kleinstädterinnen ist, die sich den Fremden zeigen wollen.“
  14. [Zusammenfassender und zukunftsweisender Kommentar des Erzählers]
  15. [Hinweis auf die Verwandlung des angeblichen Grafen]
    „Strapinski hingegen wandelte sich in kurzer Zeit um;
  16. [Das bisherige Verhalten]
    während er bisher nichts getan hatte, um im geringsten in die Rolle einzugehen, die man ihm aufbürdete,
  17. [Das neue Verhalten]
  • [Wenzel ändert seine Sprechweise, spricht jetzt wie die höhere Gesellschaft]
    begann er nun unwillkürlich etwas gesuchter zu sprechen
  • [passt sich auch seiner angeblichen Herkunft an]
    und mischte allerhand polnische Brocken in die Rede,
  • [Zusammenfassender Kommentar im Bild eines jungen Pferdes]
    kurz, das Schneiderblütchen fing in der Nähe des Frauenzimmers an, seine Sprünge zu machen und seinen Reiter davonzutragen.“

Zusammenfassung: Was zeigt die Begegnung zwischen Wenzel und Nettchen?

  1. Wenzel will eigentlich verschwinden und seine Schulden von auswärts begleichen.
  2. Er ist aber so beeindruckt von dem Fräulein und die auch von ihm,
  3. dass sie sich problemlos gleich gut unterhalten können.
  4. Sein eigentlich unpassendes Verhalten für einen Grafen wird von Nettchen positiv interpretiert, nämlich als eine natürliche Zurückhaltung, bei denen jemand sein Herz zeigt, statt nur das angelernte Rollenverhalten.
  5. Am Ende führt diese Begegnung dazu, dass Wenzel komplett seine Einstellung ändert und jetzt gerne als Graf sich weiter um Nettchen bemühen möchte.

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