Manchmal sollte man sich nicht nur freuen …
Die hier abgedruckte Kurzgeschichte stammt von unserer jungen Nachwuchsautorin Kimia Tivag. Die hatte an einem Kurs teilgenommen, in dem es um die Frage ging, wie man für sich einen Lebensplan entwickelt und ihn dann auch möglichst erfolgreich umsetzt.
Da Kimia auch literarisch interessiert ist und sich da ein Beispiel an ihrem Onkel Anders Tivag nimmt, entstand daraus die folgende Kurzgeschichte.
Sie sollte zum Nachdenken anregen – denn wir alle haben manchmal nur eine Chance.
Hier eine Druckversion mit Aufgaben
Mat9473-ab2 Kimia Das Lagerfeuer vom Freitag
Kimia Tivag
Das Lagerfeuer vom Freitag
Tobias konnte es kaum fassen. Gerade mal 18 Jahre alt, frisch aus der Schule, und schon saß er am Freitagnachmittag im Büro von Herrn Brunner, dem Vorstandsvorsitzenden eines großen Unternehmens. Was als kurzes Kennenlerngespräch gedacht war, entwickelte sich zu einer intensiven Diskussion über Zukunftspläne, strategische Projekte und sogar die Möglichkeit, als Assistent des Vorstands zu arbeiten.
Herr Brunner sprach mit Begeisterung, zeichnete Visionen in die Luft, sprach von Verantwortung, von Einfluss, von echten Chancen. Tobias war wie elektrisiert. Am Ende des Gesprächs klopfte der Vorstand ihm auf die Schulter: „Junger Mann, wenn Sie so weitermachen, stehen Ihnen hier alle Türen offen.“
Dann kam endlich das lange Feiertagswochenende. Tobias erzählte seinen Freunden, was er da für eine Chance bekommen hatte. Sie gratulierten ihm – dann kamen die Pläne auf den Tisch, die sie sich für die freien Tage überlegt hatten. Und es war fantastisch – selten hatten sie Gelegenheit gehabt, so viel gemeinsam zu unternehmen. Am Sonntagabend war Tobias so erschöpft, dass er froh war, den Montag noch als Feiertag zum Ausschlafen nutzen zu können.
Als er am Dienstag das Büro betrat, freute er sich schon auf die Fortsetzung des Gesprächs vom Freitag. Doch Herr Brunner schien alles vergessen zu haben. Tobias bekam nur die typischen Aufgaben: Recherche hier, eine Präsentation dort. Kein Wort über die große Idee, kein Wort über den Assistentenposten.
Verwirrt, aber höflich arbeitete Tobias den den ganzen Tag die Jobs ab. Erst als er sich verabschieden wollte, fasste er sich ein Herz: „Herr Brunner, was ist mit unseren Ideen vom Freitag? Wir hatten doch über meine Rolle als Assistent gesprochen …“
Der Vorstand lehnte sich zurück, betrachtete ihn kurz und lächelte dann nachdenklich. „Ach, Tobias“, sagte er ruhig. „Das war das Lagerfeuer vom Freitag. Das hätte man am Leben erhalten müssen.“
Tobias stutzte. „Wie meinen Sie das?“
„Begeisterung ist wie ein Feuer. Am Anfang lodert es, aber wenn man es nicht füttert, geht es aus. Wer wirklich etwas will, sorgt dafür, dass die Glut nicht erlischt. Sie hätten am Wochenende mal weitere Überlegungen anstellen und mir heute gleich präsentieren können. Stattdessen haben Sie gewartet, dass ich das Feuer wieder anzünde.“
Tobias schluckte. Er verstand.
„Aber wissen Sie was?“, fuhr Brunner fort. „Ein abgebranntes Feuer kann man neu entfachen. Zeigen Sie mir bis morgen, dass Sie es ernst meinen.“
Tobias nickte. Er hatte eine Lektion gelernt. Und diesmal würde er das Feuer selbst schüren.
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