Worum es hier geht:
- Nehmen wir einmal an, man bereitet sich auf eine Klausur zu Büchners Drama „Woyzeck“ vor.
- Da man mit Sicherheit eine Einleitung benötigt, kann man die allgemein ja schon mal vorbereiten.
- Allerdings muss die dann natürlich noch konkret angepasst werden, je nachdem, welche Szene zum Beispiel zu analysieren ist.
Ausgangspunkt: Einleitung in das gesamte Drama
Was das gesamte Drama angeht, könnte man sich zum Beispiel die folgenden Elemente notieren, was eine Einleitung angeht:
- “Das Dramenfragment „Woyzeck“, geschrieben von Georg Büchner
- stammt aus der Zeit des Vormärz
- und ist im Jahr 1836 entstanden.
- Insgesamt geht es in dem Drama um den Prozess der Isolation und der sozialen Erniedrigung des Protagonisten Franz Woyzeck
- Damit verbunden ist implizit Kritik an den sozialen Missständen in der Zeit des Vormärz,
- gezeigt am Beispiel des geistig verwirrten Soldaten Franz Woyzeck,
- der unter starken Halluzinationen und Wahnvorstellungen leidet,
- was schließlich im Verlaufe des Dramas zu Ermordung der Mutter des gemeinsamen Kindes führt.
- Letztlich geht es um die Frage des Determinismus: Wie weit ist das Schicksal eines Menschen durch die Umstände, in denen er lebt, vorgeprägt und inwieweit bleiben ihm Spielräume?“
Anpassung an eine konkrete Szene, zum Beispiel Nr. 12: „Wirtshaus. Die Fenster offen“
- Mit der allgemeinen Einleitung im Kopf muss man sich hier erst mal die konkrete Klausurszene ansehen. Denn man muss natürlich wissen, an was man sich anpassen muss.
- Am besten schaut man sich die Szene dabei schon genauer an und notiert sich alles, was einem dazu auffällt und einfällt,
- behält aber die Frage nach der Thematik der Szene als Schwerpunkt im Hinterkopf.
Vorbemerkung:
Voraussetzungen im strengen Sinne hat diese Szene nicht, da es keinen festgelegten Szenenablauf gibt. Wir orientieren uns hier aber an der Reihenfolge der Reclam-Ausgabe, wo es sich um die 12. Szene handelt!)
Unabhängig von dieser grundsätzlichen Überlegungen muss natürlich festgestellt werden, dass einige Szenen als Voraussetzungen sehr sinnvoll verstanden werden können.
- Die Not der Familie Woyzeck, die ihn dazu nötigt, alles Mögliche zu tun, um an Geld zu kommen, was er zu Hause auch treu abgibt.
- Demgegenüber die Aufstiegshoffnungen Maries, die sich vom Tambourmajor beschenken lässt und ihren Mann betrügt, aber auch Schuldbewusstsein zeigt bis hin zu einer Andeutung von Selbstmord.
- Bei Woyzeck: Erste Ansätze von Eifersucht, verbunden mit eben solchen Ansätzen von Geisteskrankheit bei Woyzeck.
- Schließlich der Nihilismus der 2. Szene: „Buden. Lichter.Volk“Maries.
Wirtshaus.
Die Fenster offen, Tanz.
Bänke vor dem Haus. Bursche.
1. HANDWERKSBURSCH.
Ich hab ein Hemdlein an das ist nicht mein,
Meine Seele stinkt nach Branndewein …
[Das ist irgendwas zwischen Bekenntnis und Liedzitat, macht auf jeden Fall deutlich, dass der Betreffende sich als arm und auch heruntergekommen präsentiert.]
2. HANDWERKSBURSCH. Bruder, soll ich dir aus Freundschaft ein Loch in die Natur machen? Vorwärts! Ich will ein Loch in die Natur machen. Ich bin auch ein Kerl, du weißt, ich will ihm alle Flöh am Leib tot schlagen.
[Deutlich wird hier ein gewisses Maß an Aggressivität und Verantwortungslosigkeit.]
1. HANDWERKSBURSCH. Meine Seele, mei Seele stinkt nach Brandewein. Selbst das Geld geht in Verwesung über. Vergissmeinich! Wie ist diese Welt so schön. Bruder, ich muss ein Regenfass voll greinen. Ich wollt unse Nase wärn zwei Bouteille und wir könnte sie uns einander in de Hals gießen.
[Das Branntweinmotiv wird hier noch einmal aufgenommen und mit dem Motiv der Vergänglichkeit verbunden, interessanterweise im Kontext von Geld. Es folgt eine ironisch-negative Charakterisierung der Welt, aus der heraus man sich nur in den Suff flüchten kann.]
ANDRE im Chor.
Ein Jäger aus der Pfalz,
Ritt einst durch ein grünen Wald.
Halli, halloh, gar lustig ist die Jägerei
Allhier auf grüner Heid.
Das Jagen ist mei Freud.
[Ein Volkslied wird angestimmt, das einfach nur die Freude an der Jagd hervorhebt. Ein Zusammenhang zum Bisherigen ist nicht erkennbar – außer, dass es sich um einen Kontrast handelt.]
Woyzeck stellt sich an’s Fenster. Marie und der Tambourmajor tanzen vorbei, ohne ihn zu bemerken.
[Die Regiebemerkung deutet einen Konflikt an, nämlich den, dass die Mutter von Woyzecks Kind sich hier offensichtlich mit einem anderen Mann einlässt, wie problematisch das ist, bleibt erst mal unklar.]
MARIE im Vorbeitanzen. Immer, zu, immer zu.
[Diese Bemerkung macht deutlich, dass Marie lieber beim Tambourmajor ist als bei Woyzeck.]
WOYZECK erstickt.
- Immer zu! – immer zu!
- Fährt heftig auf und sinkt zurück auf die Bank. immer zu immer zu,
- Schlägt die Hände in einander.
- dreht euch, wälzt euch.
- Warum bläst Gott nicht die Sonn aus, dass Alles in Unzucht sich übernanderwälzt, Mann und Weib, Mensch und Vieh.
- Tut’s am hellen Tag, tut’s einem auf den Händen, wie die Mücken.
- – Weib. – Das Weib ist heiß, heiß! –
- Immer zu, immer zu.
- Fährt auf.
- Der Kerl! Wie er an ihr herumtappt, an ihrem Leib, er, er hat sie wie ich zu Anfang!
[Woyzeck nimmt Maries Worte auf und versteht sie gleich im Sinne der Erregung von Eifersucht. Daraus wird eine die Vision einer totalen animalischen Sexorgie, die auch die Tiere mit einschließt. Am Ende konkretes Eifersuchtsleiden bei dem, was Woyzeck wahrnimmt.]
1. HANDWERKSBURSCH predigt auf dem Tisch.
- Jedoch wenn ein Wandrer, der gelehnt steht an dem Strom der Zeit oder aber sich die göttliche Weisheit beantwortet und sich anredet: Warum ist der Mensch? Warum ist der Mensch? –
- Aber wahrlich ich sage euch, von was hätte der Landmann, der Weißbinder, der Schuster, der Arzt leben sollen, wenn Gott den Menschen nicht geschaffen hätte?
- Von was hätte der Schneider leben sollen, wenn er dem Menschen nicht die Empfindung der Scham eingepflanzt,
- von was der Soldat, wenn Er ihn nicht mit dem Bedürfnis sich totzuschlagen ausgerüstet hätte?
- Darum zweifelt nicht, ja ja, es ist lieblich und fein,
- aber Alles Irdische ist eitel,
- selbst das Geld geht in Verwesung über. –
- Zum Beschluss meine geliebten Zuhörer lasst uns noch über’s Kreuz pissen, damit ein Jud stirbt.
[Der 1. Handwerksbursch versucht sich jetzt mal in einer philosophischen oder auch theologischen Ansprache und fragt nach einer Kernfrage einer jeden Philosophie, nämlich, warum es den Menschen überhaupt gibt. Es folgen dann ziemlich dümmliche Antworten, bezogen auf einzelne Berufsgruppen. Es folgt dann eine doch stärker pastorale Ausrichtung der Rede, die zu einer Art Scheinpredigt wird. Man soll nicht zweifeln. Ansonsten wird ein aus der Bibel stammendes Barockmotiv aufgenommen, das dem Irdischen jeden Wert abspricht. Wieder wird dabei das Geld thematisiert. Den geschmacklosen Höhepunkt findet dann eine Verirrung ins Antisemitische, verbunden mit einem Hinweis auf das Kreuz, das viele wohl als gotteslästerlich empfinden.]
Auswertung der Szene im Sinne der Abwandlung der Gesamteinleitung
Schauen wir uns mal an, welche Aspekte des Gesamtthemas in dieser Szene eine Rolle spielen:
- Armut
- Ausweg Alkohol
- Ausweg Volkslied
- Maries Anbandeln mit dem Tambourmajor
- woraus schon Übergriffe deutlich werden.
- Woyzecks Eifersucht
- Nihilismus einer Pseudopredigt
- mit antichristlichen und antisemitischen Anklängen.
Abwandlung der vorbereiteten Einleitung zum gesamten Drama in Richtung konkrete Szene
Die Einleitung zum Gesamtdrama hat man im Kopf und wandelt sie jetzt in Richtung der Szene ab.
- “Das Dramenfragment „Woyzeck“, geschrieben von Georg Büchner
- stammt aus der Zeit des Vormärz
- und ist im Jahr 1836 entstanden.
- Insgesamt geht es in dem Drama um den Prozess der Isolation und der sozialen Erniedrigung des Protagonisten Franz Woyzeck, der zum Teil unter Wahnvorstellungen leidet, was schließlich zur Ermordung der Mutter seines Kindes führt.
- In der vorliegenden Szene wird zum einen seine begründete Eifersucht thematisiert,
- zum anderen spielen soziale Not und Auswege in Richtung Alkohol, Scheinfröhlichkeit und eines nihilistischen Spiels mit dem, was allgemein als Kultur verbunden wird, eine Rolle.
- Deutlich wird auch ein gewisser Determinismus in Richtung Untergang.
Ausblick auf eine Gesamtanalyse der Szene
Was die eigentliche Analyse angeht, gehen wir mal von einem Ablaufplan aus, der die folgenden Schritte enthält:
- Einleitung (Einstieg und Basisinfo)
- Kurzinhaltszusammenfassung des Kerns des Drama mit Blick auf die Szene
- Interpretationshypothese
- Analyse des Inhalts in Sinnabschnitten
- Aufbau der Szene,
- Charakteristik einer Person (vermutlich Woyzeck),
- Kurzdarstellung Beziehung von Woyzeck und den Personen in der Szene
- damit verbunden die Analyse von Sprache/Stil + dramaturgische Mitteln
- Gesamtaussage der Szene und ihrer Bedeutung für das gesamte Drama
- Fazit/Schluss (Bedeutung ganz allgemein)
- Am Ende ggf. eine persönliche Einschätzung und Bewertung