Worum es hier geht:
Präsentiert wird eine Klausuraufgabe, in der ein Briefauszug aus Goethes „Werther“ im Hinblick die Grundhaltung des Protagonisten und ihre Folgen analysiert werden soll.
Aufgabe:
- Analysieren Sie nach kurzer Klärung der Situation Werthers den unten abgedruckten Auszug aus dem Brief vom 26. Mai.
- Erörtern Sie vor dem Hintergrund dieses Briefes Werthers Verhalten im Umgang mit Lotte und beziehen Sie dabei ein, was aus dieser Beziehung geworden ist.
- Verfassen Sie ein kurzes Statement, indem Sie Ihre eigene Haltung zum Umgang mit den „Regeln […]der bürgerlichen Gesellschaft“ formulieren.
Am 26. Mai.
Das bestärkte mich in meinem Vorsatze, mich künftig allein an die Natur zu halten. Sie allein ist unendlich reich, und sie allein bildet den großen Künstler. Man kann zum Vorteile der Regeln viel sagen, ungefähr was man zum Lobe der bürgerlichen Gesellschaft sagen kann. Ein Mensch, der sich nach ihnen bildet, wird nie etwas Abgeschmacktes und Schlechtes hervorbringen, wie einer, der sich durch Gesetze und Wohlstand modeln läßt, nie ein unerträglicher Nachbar, nie ein merkwürdiger Bösewicht werden kann; dagegen wird aber auch alle Regel, man rede was man wolle, das wahre Gefühl von Natur und den wahren Ausdruck derselben zerstören! Sag‘ du: ›Das ist zu hart! sie schränkt nur ein, beschneidet die geilen Reben‹ etc. – Guter Freund, soll ich dir ein Gleichnis geben? Es ist damit wie mit der Liebe. Ein junges Herz hängt ganz an einem Mädchen, bringt alle Stunden seines Tages bei ihr zu, verschwendet alle seine Kräfte, all sein Vermögen, um ihr jeden Augenblick auszudrücken, daß er sich ganz ihr hingibt. Und da käme ein Philister, ein Mann, der in einem öffentlichen Amte steht, und sagte zu ihm: ›Feiner junger Herr! Lieben ist menschlich, nur müßt Ihr menschlich lieben! Teilet Eure Stunden ein, die einen zur Arbeit, und die Erholungsstunden widmet Eurem Mädchen. Berechnet Euer Vermögen, und was Euch von Eurer Notdurft übrig bleibt, davon verwehr‘ ich Euch nicht, ihr ein Geschenk, nur nicht zu oft, zu machen, etwa zu ihrem Geburts – und Namenstage‹ etc. – Folgt der Mensch, so gibt’s einen brauchbaren jungen Menschen, und ich will selbst jedem Fürsten raten, ihn in ein Kollegium zu setzen; nur mit seiner Liebe ist’s am Ende und, wenn er ein Künstler ist, mit seiner Kunst. O meine Freunde! warum der Strom des Genies so selten ausbricht, so selten in hohen Fluten hereinbraust und eure staunende Seele erschüttert? – Liebe Freunde, da wohnen die gelassenen Herren auf beiden Seiten des Ufers, denen ihre Gartenhäuschen, Tulpenbeete und Krautfelder zugrunde gehen würden, die daher in Zeiten mit Dämmen und Ableiten der künftig drohenden Gefahr abzuwehren wissen.“
Quelle: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 6, Hamburg 1948 ff, S. 7-60 – Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004853385
Lösungshinweise
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Die Leiden des jungen Werther
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