Klausur: Goethe, „Werther“, Brief vom 29. Julius mit anschließender Erörterung

Worum es hier geht:

  • Der Brief vom 29. Julius aus dem Zweiten Buch von Goethes „Werther“ eignet sich gut für eine Miniklausur, also den ersten Teil der mündlichen Abiturprüfung.
  • Man kann den Text natürlich mit entsprechender Aufgabenstellung auch als normale Klausur verwenden.
  • Ebenso kann man diesen Brief gut als Ausgangspunkt für die Klärung der in Aufgabe 2 genannten Frage im normalen Unterricht verwenden (Analyse und Erörterung im Anschluss an eine Textvorlage):

Mögliche Aufgabenstellung:

  1. Analysieren Sie den unten abgedruckten Brief „Am 29. Julius“ aus Goethes Werther-Roman, indem Sie
    1. Ihn zunächst in den Gesamtkontext des Romans einordnen,
    2. dann den Gedankengang erläutern,
    3. die zentralen Aussagen herausarbeiten
    4. und zeigen, wie sie sprachlich und rhetorisch unterstützt werden.
  2. Nehmen Sie kritisch Stellung zu Werthers Behauptung im Hinblick auf Lotte: „Sie wäre mit mir glücklicher geworden als mit ihm!“

Am 29. Julius.

Nein, es ist gut! es ist alles gut! – Ich – ihr Mann! O Gott, der du mich machtest, wenn du mir diese Seligkeit bereitet hättest, mein ganzes Leben sollte ein anhaltendes Gebet sein. Ich will nicht rechten, und verzeihe mir diese Tränen, verzeihe mir meine vergeblichen Wünsche! – Sie meine Frau! Wenn ich das liebste Geschöpf unter der Sonne in meine Arme geschlossen hätte – Es geht mir ein Schauder durch den ganzen Körper, Wilhelm, wenn Albert sie um den schlanken Leib faßt.

Und, darf ich es sagen? Warum nicht, Wilhelm? Sie wäre mit mir glücklicher geworden als mit ihm! O er ist nicht der Mensch, die Wünsche dieses Herzens alle zu füllen. Ein gewisser Mangel an Fühlbarkeit, ein Mangel – nimm es, wie du willst; daß sein Herz nicht sympathetisch schlägt bei – o! – bei der Stelle eines lieben Buches, wo mein Herz und Lottens in einem zusammentreffen; in hundert andern Vorfällen, wenn es kommt, daß unsere Empfindungen über eine Handlung eines Dritten laut werden. Lieber Wilhelm! – Zwar er liebt sie von ganzer Seele, und so eine Liebe, was verdient die nicht! –

Ein unerträglicher Mensch hat mich unterbrochen. Meine Tränen sind getrocknet. Ich bin zerstreut. Adieu, Lieber!

Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 6, Hamburg 1948 ff, S. 60-124.

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