Die Aufgabe
- Analysieren Sie den Brief vom „12. August“ aus Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“, indem Sie
- den Textauszug zunächst mit Angabe des Themas in einem Einleitungssatz vorstellen,
- dann mit Blick auf den Textauszug die Situation klären, in der Werther sich am Anfang des Briefes befindet,
- als nächstes einen Überblick über die Erzählstruktur des Briefes geben
- und dann seine Intentionalität (Aussagen) herausarbeiten
- sowie am Ende schließlich zeigen, mit welchen sprachlichen und rhetorischen Mitteln die Aussagen des Textauszugs unterstützt werden.
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- Erörtern Sie anschließend, inwieweit Werther sich zu den „außerordentlichen Menschen“ zählen darf, für die die normalen Regeln einer Gesellschaft nicht gelten.
Hier zunächst der Textauszug aus Goethes Roman, weiter unten gibt es eine Druckvorlage.
Zu finden ist der Text u.a. hier:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 6, Hamburg 1948 ff, S. 7-60.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004853385
Am 12. August.
Gewiß, Albert ist der beste Mensch unter dem Himmel. Ich habe gestern eine wunderbare Szene mit ihm gehabt. Ich kam zu ihm, um Abschied von ihm zu nehmen; denn mich wandelte die Lust an, ins Gebirge zu reiten, von woher ich dir auch jetzt schreibe, und wie ich in der Stube auf und ab gehe, fallen mir seine Pistolen in die Augen. – »Borge mir die Pistolen«, sagte ich, »zu meiner Reise.« – »Meinetwegen,« sagte er, »wenn du dir die Mühe nehmen willst, sie zu laden; bei mir hängen sie nur pro forma.« – Ich nahm eine herunter, und er fuhr fort: »Seit mir meine Vorsicht einen so unartigen Streich gespielt hat, mag ich mit dem Zeuge nichts mehr zu tun haben.« – Ich war neugierig, die Geschichte zu wissen. – »Ich hielt mich«, erzählte er, »wohl ein Vierteljahr auf dem Lande bei einem Freunde auf, hatte ein paar Terzerolen ungeladen und schlief ruhig. Einmal an einem regnichten Nachmittage, da ich müßig sitze, weiß ich nicht, wie mir einfällt: wir könnten überfallen werden, wir könnten die Terzerolen nötig haben und könnten – du weißt ja, wie das ist. – Ich gab sie dem Bedienten, sie zu putzen und zu laden; und der dahlt mit den Mädchen, will sie erschrecken, und Gott weiß wie, das Gewehr geht los, da der Ladstock noch drin steckt, und schießt den Ladstock einem Mädchen zur Maus herein an der rechten Hand und zerschlägt ihr den Daumen. Da hatte ich das Lamentieren, und die Kur zu bezahlen obendrein, und seit der Zeit lass‘ ich alles Gewehr ungeladen. Lieber Schatz, was ist Vorsicht? die Gefahr läßt sich nicht auslernen! Zwar… « – Nun weißt du, daß ich den Menschen sehr lieb habe bis auf seine Zwar; denn versteht sich’s nicht von selbst, daß jeder allgemeine Satz Ausnahmen leidet? Aber so rechtfertig ist der Mensch! wenn er glaubt, etwas Übereiltes, Allgemeines, Halbwahres gesagt zu haben, so hört er dir nicht auf zu limitieren, zu modifizieren und ab – und zuzutun, bis zuletzt gar nichts mehr an der Sache ist. Und bei diesem Anlaß kam er sehr tief in Text: ich hörte endlich gar nicht weiter auf ihn, verfiel in Grillen, und mit einer auffahrenden Gebärde drückte ich mir die Mündung der Pistole übers rechte Aug‘ an die Stirn. – »Pfui!« sagte Albert, indem er mir die Pistole herabzog, »was soll das?« – »Sie ist nicht geladen.« sagte ich. – »Und auch so, was soll’s?« versetzte er ungeduldig. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Mensch so töricht sein kann, sich zu erschießen; der bloße Gedanke erregt mir Widerwillen.«
»Daß ihr Menschen,« rief ich aus, »um von einer Sache zu reden, gleich sprechen müßt: ›das ist töricht, das ist klug, das ist gut, das ist bös!‹ Und was will das alles heißen? Habt ihr deswegen die innern Verhältnisse einer Handlung erforscht? Wißt ihr mit Bestimmtheit die Ursachen zu entwickeln, warum sie geschah, warum sie geschehen mußte? Hättet ihr das, ihr würdet nicht so eilfertig mit euren Urteilen sein.«
»Du wirst mir zugeben,« sagte Albert, »daß gewisse Handlungen lasterhaft bleiben, sie mögen geschehen, aus welchem Beweggrunde sie wollen.«
Ich zuckte die Achseln und gab’s ihm zu. – »Doch, mein Lieber,« fuhr ich fort, »finden sich auch hier einige Ausnahmen. Es ist wahr, der Diebstahl ist ein Laster; aber der Mensch, der, um sich und die Seinigen vom gegenwärtigen Hungertode zu erretten, auf Raub ausgeht, verdient der Mitleiden oder Strafe? Wer hebt den ersten Stein auf gegen den Ehemann, der im gerechten Zorne sein untreues Weib und ihren nichtswürdigen Verführer aufopfert? Gegen das Mädchen, das in einer wonnevollen Stunde sich in den unaufhaltsamen Freuden der Liebe verliert? Unsere Gesetze selbst, diese kaltblütigen Pedanten, lassen sich rühren und halten ihre Strafe zurück.«
»Das ist ganz was anders,« versetzte Albert, »weil ein Mensch, den seine Leidenschaften hinreißen, alle Besinnungskraft verliert und als ein Trunkener, als ein Wahnsinniger angesehen wird.«
»Ach ihr vernünftigen Leute!« rief ich lächelnd aus. »Leidenschaft! Trunkenheit! Wahnsinn! Ihr steht so gelassen, so ohne Teilnehmung da, ihr sittlichen Menschen, scheltet den Trinker, verabscheut den Unsinnigen, geht vorbei wie der Priester und dankt Gott wie der Pharisäer, daß er euch nicht gemacht hat wie einen von diesen. Ich bin mehr als einmal trunken gewesen, meine Leidenschaften waren nie weit vom Wahnsinn, und beides reut mich nicht: denn ich habe in meinem Maße begreifen lernen, wie man alle außerordentlichen Menschen, die etwas Großes, etwas Unmöglichscheinendes wirkten, von jeher für Trunkene und Wahnsinnige ausschreien mußte.
Hier die Druckvorlage des Textes:
Mat8583-2 mit Aufgabe Klausur Werther Pistolen-Episode
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Die Leiden des jungen Werther
https://textaussage.de/werther-themenseite
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
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