Beispiel für eine Klausur-Lösung: Eichendorff, „Jahrmarkt“ (Mat7962-loe)

Worum es hier geht:

Wir präsentieren hier eine mögliche Lösung der Aufgabe, die wir auf der folgenden Seite vorgestellt haben:
https://schnell-durchblicken.de/klausur-eichendorff-jahrmarkt

Aufgabe:
  1. Geben Sie zusammenfassend einen Überblick über das Gedicht.
    (Dabei den Aufbau in Strophen berücksichtigen).
  2. Erörtern Sie, inwiefern und inwieweit das Gedicht Kennzeichen der Epoche der Romantik aufweist.
  3. Inwieweit ist dieses Gedicht ein Beispiel für die These:
    „Zum tragischen Ende einer Beziehung gehören grundsätzlich zwei.“
  4. Freiwillige Zusatzaufgabe:
    Übertragen Sie die Situation in die heutige Zeit und stellen Sie sich vor, das lyrische Ich bekommt per WhatsApp-Chat eine Antwort auf die Frage: „Warum hat das mit uns nicht geklappt?“
    Begründen Sie Ihre Gestaltung dieser Antwort.
Zusammenfassung des Inhalts der Strophen

Joseph von Eichendorff

Jahrmarkt

  1. Sinds die Häuser, sinds die Gassen?
  2. Ach, ich weiß nicht wo ich bin!
  3. Hab ein Liebchen hier gelassen,
  4. Und manch Jahr ging seitdem hin.
  • In der ersten Strophe kommt das lyrische Ich anscheinend in seine frühere Heimat zurück, wo es vor vielen Jahren die Geliebte zurückgelassen hat.
  • Hier sammeln wir schon mal Kennzeichen der Romantik, die wir später für die eigentliche Lösung benötigen.
    Romantik:
    Wanderschaft, Sehnsucht nach der Heimat und der ehemaligen geliebten, auch schon das dunkle Gefühl der Unsicherheit und des Fremdseins.
  1. Aus den Fenstern schöne Frauen
  2. Sehn mir freundlich ins Gesicht,
  3. Keine kann so frischlich schauen,
  4. Als mein liebes Liebchen sicht.
  • In der 2. Strophe
    nimmt der Heimkehrer dann viele schöne Frauen wahr, die ihn auch freundlich angucken,
  • aber nicht mit der Erinnerung an die frühere Geliebte mithalten können.
  • Romantik:
    schöne Frauen, freundlich schauen und schöne Erinnerungen, die wieder belebt werden.
  1. An dem Hause poch ich bange –
  2. Doch die Fenster stehen leer,
  3. Ausgezogen ist sie lange,
  4. Und es kennt mich keiner mehr.
  • In der dritten Strophe hat der Heimkehrer das Haus erreicht, in dem seine Geliebte früher gewohnt hat. Doch er trifft dort niemanden an, das Haus steht sogar leer.
  • Er erfährt dann, dass seine Geliebte schon vor langer Zeit aus diesem Haus ausgezogen ist. Zudem muss er auch feststellen, dass ihn eigentlich niemand mehr kennt.
  • Romantik: Einsamkeit und Klage
  1. Und ringsum ein Rufen, Handeln,
  2. Schmucke Waren, bunter Schein,
  3. Herrn und Damen gehn und wandeln
  4. Zwischendurch in bunten Reihn.
  • In der vierten Strophe konzentriert sich dann das lyrische Ich auf das normale Leben.
  • Dort findet der Heimkehrer im Kontrast zu seinem eigenen Erlebnis die ganze Normalität des Lebens
  • Romantik: die unwahre oder nicht ausreichende normale Welt gegenüber der Herzensinnigkeit des lyrischen ich.
  1. Zierlich Bücken, freundlich Blicken,
  2. Manches flüchtge Liebeswort,
  3. Händedrücken, heimlich Nicken –
  4. Nimmt sie all der Strom mit fort.
  • In der 5. Strophe geht es das lyrische Ich etwas genauer ein auf das Miteinander dieser Leute, wozu durchaus auch, Liebesworte und andere Zeichen der Zuneigung gehören
  • Aber all das geht an ihm vorbei.
  • Romantik
    Hier wieder Betonung der Fremdheit, des Andersseins, der Einsamkeit.
  1. Und mein Liebchen sah ich eben
  2. Traurig in dem lustgen Schwarm,
  3. Und ein schöner Herr daneben
  4. Führt’ sie stolz und ernst am Arm.
  • In der 6. Strophe kommt es dann doch zur Begegnung mit seiner ehemaligen Geliebten
  • Das lyrische ich nimmt deutlich wahr, dass sie traurig schaut und offensichtlich unglücklich ist, während der Mann neben ihr anscheinend stolz auf seine Frau ist und sie auch gerne präsentiert.
  • Romantik:
    Der Kontrast zwischen der normalen bürgerlichen Welt einer wahrscheinlichen Vernunftheirat und der nicht mehr möglichen Herzensverbundenheit mit dem entsprechenden romantischen Hochgefühl.
  1. Doch verblaßt war Mund und Wange,
  2. Und gebrochen war ihr Blick,
  3. Seltsam schaut’ sie stumm und lange,
  4. Lange noch auf mich zurück. –
  • In der 7. Strophe wird die Traurigkeit der ehemaligen Geliebten noch genauer ausgemalt.
  • Sie wirkt sogar gebrochen und kann den verlorenen Geliebten nur noch lange anschauen, ohne etwas zu sagen.
  • Romantik: das Gebrochene, Fragmentarische , das implizit den Wunsch, die Sehnsucht nach dem Ganzen, nach Vollkommenen enthält.
  1. Und es endet Tag und Scherzen,
  2. Durch die Gassen pfeift der Wind –
  3. Keiner weiß, wie unsre Herzen
  4. Tief von Schmerz zerrissen sind.
  • Die letzte Strophe macht dann deutlich, dass das bisschen Schönheit, das dieser Tag präsentiert hat, vorbei ist und nur noch ein unangenehmes Wetter übrig ist, verbunden mit dem einsamen Schmerz, den das lyrische Ich bei seiner Geliebten und auch bei sich selbst sieht.
  • Romantik:
    typisch die Verbindung von Natur und Inneren.
  • Hervorhebung des Herzens und der Zerrissenheit, als Spannung zwischen dem Sehnsuchtsziel und der traurigen Realität.
Kennzeichen der Romantik
  1. Zunächst einmal kommt hier jemand von weit her und nach vielen Jahren wieder in die Heimat. Hier kann man das Phänomen der Wanderschaft sehen sowie zumindest etwas Sehnsucht nach Heimat und Vergangenheit.
  2. Typisch für die Romantik ist dann auch die etwas oberflächliche, auf jeden Fall unproblematische Beschreibung der Frauen, die der Heimkehrer zu sehen bekommt. Natürlich sind sie alle gleich freundlich zu ihm.
  3. Das wird dann verbunden mit dem Vergleich mit dem Normalen und dem Außergewöhnlichen, das die Geliebte für den Heimkehrer dargestellt hat. Hier erscheint auch das Element der Erinnerung, auch wenn es nicht weiter ausgemalt wird.
  4. Es folgt dann die Enttäuschung, die Nicht-Realisierung der Wiedersehenswünsche, die die Einsamkeit des Mannes sehr verstärkt. Implizit ist auch so etwas wie Klage spürbar – aber auch das wird nur angedeutet. Auf jeden Fall deuten sich starke Gefühle zumindest an.
  5. Das Gefühl von Einsamkeit und jetzt auch vollkommener Fremdheit wird deutlich im Kontrast zu dem normalen Leben, das sich drumherum abspielt, deutlich ist das Signal des Scheins – typisch für die Sicht der Romantik auf die Normalität.
  6. Noch deutlicher wird der Kontrast, wenn dann zumindest von Liebesworten und Zeichen der Zuneigung bei den anderen die Rede ist.
  7. Am deutlichsten wird der Kontrast zwischen den Welten, wenn das Leid der ehemaligen Geliebten deutlich gemacht wird – an der Seite eines Mannes, der ihr Situation anscheinend gar nicht wahrnimmt.
  8. In diesem Zusammenhang wird das ungesunde Aussehen der Frau deutlich hervorgehoben und ihre Unfähigkeit zum Austausch mit dem ehemaligen Freund. Es reicht nur für einen langen stummen Blick, der wohl schlimmer ankommt, als wenn etwas gesagt worden wäre. Hier wird zugleich das Gebrochene, Fragmentarische der Romantik deutlich – und damit auch zumindest implizit die Sehnsucht nach dem Ganzen, dem Vollkommenen – auch wenn das offensichtlich nicht mehr möglich ist.
  9. Am Ende dann die für die Romantik typische Verbindung von Natur und innerer Seelenlage. Außerdem das Symbol des Herzens, das nun zerrissen erscheint.
Tragik
  • Tragik liegt hier ganz eindeutig vor und wird hier auch sehr stark hervorgehoben.
  • Allerdings gibt es keinerlei rationale, überlegte Auseinandersetzung mit den Ursachen des Nicht-Gelingens der Beziehung.
  • Stattdessen nur eine intensive, aber letztlich oberflächliche Darstellung der Situation, nur auf der Ebene angedeuteter Sachlichtkeit, im Vordergrund stehen Gefühle zwischen Enttäuschung und Schmerz – bei der Frau sogar die Gefahr eines auf Dauer lebensgefährlichen Unglücklichseins.
  • Im wesentlichen fallen einem zwei Gründe ein, warum das so gekommen ist.
    • Zum einen könnte es sein, dass das lyrische Ich seine Geliebte gegen deren Willen und ohne Not verlassen hat, weil die Wanderschaft ihm wichtiger war.
    • Die andere Möglichkeit ist natürlich, dass die familiären und allgemeinen sozialen Gegebenheiten eine Verbindung zwischen den beiden Liebenden nicht möglich gemacht haben. Möglicherweise hat das lyrische Ich nicht um die gemeinsame Liebe gekämpft oder war die Geliebte damit überfordert.
      • Anmerkung, falls man das zufällig kennt:
      • In Storms Novelle „Hans und Heinz Kirch“ kann eine Jugendliebe nicht gelebt werden – und als der Junge nach langer Seefahrt zu seiner Jugendfreundin zurückkehrt, ist nicht mehr möglich als eine traurige gemeinsam Bootsfahrt.
    • Interessant ist und bleibt auf jeden Fall, dass das lyrische Ich sich in keiner Weise damit beschäftigt, dass die ehemalige Geliebte möglicherweise in einer reinen Vernunftehe noch mehr zu leiden hat als er in seiner Einsamkeit, reduziert auf Erinnerungen.
    • In diesem Sinne erscheint das Gedicht tatsächlich im Sinne der Aufgabenstellung einseitig, weil die Gefühle der Frau nur angedeutet werden und die reale Situation weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart thematisiert wird.
    • Das könnte in diesem Falle nur das lyrische Ich leisten, da die Frau wahrscheinlich nicht in der Lage Ist, in der Öffentlichkeit über ihre Beziehung und deren Scheitern zu sprechen.
Freiwillige Zusatzaufgabe
  • Vor diesem Hintergrund erscheint der Gedanke reizvoll, sich die beiden noch mal treffen zu lassen. Am nächsten Tag könnte das geschehen, wenn die Frau in der Stadt zum Beispiel von einem Arzttermin kommt und dem lyrischen Ich begegnet. Es könnte dann nur zu einem kurzen Nebeneinander kommen, weil der Mann seine Frau gleich abholt.
  • Sie hat jetzt nur noch Gelegenheit, uns Lesern mitzuteilen, was da schiefgegangen ist. Zum Beispiel könnte sie sagen:
    „Ich hätte mutiger sein sollen und du hättest mehr um mich kämpfen müssen.“ Damit hätte man hier auch noch mal den Grundgedanken der dritten Aufgabe aufgenommen.
Nachtrag Selbstkorrektur

Ich habe jetzt eben festgestellt, dass ich die freiwillige Aufgabe auf das fiktive Damals des Gedichtes bezogen habe – wahrscheinlich hatte mich die Darstellung des Gedichtes zu sehr mitgenommen.

Nun also die geforderte Lösung:

  1. Nach der durch die superreichen Eltern erzwungenen Heirat mit dem Spross einer anderen High-Society-Familie musste der junge Mann, der nur Musik im Kopf hatte, die Geliebte verlassen und hat sich jahrelang als Künstler in der Welt herumgetrieben, alle Brücken hinter sich abgebrochen.
  2. Jetzt hat er erfahren, dass er nicht mehr lange zu leben hat, und will seine frühere Freundin noch einmal sehen.
  3. Er trifft sie aber zu Hause nicht an, sondern nur kurz beim Warten am Sportwagen ihres Mannes, der nur kurz ein Geschenk für den am Abend anstehenden Pflichtbesuch bei einer anderen Familie zu holen.
  4. Im Vorbeigehen dann ein kurzes Anhalten und mit vorsichtigem Blick zum Edelweingeschäft, aus dem jederzeit der Ehemann kommen kann ein kurzer Dialog:
  5. Die Frau: „Ich war nicht mutig genug …
    und er:
    „Und ich hab nicht genug um dich gekämpft.“
  6. Dann der rasche Abschied, den jeder für sich bewältigen muss.

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