Allgemeines zum Gedicht
Das Gedicht ist zum Beispiel hier zu finden
https://www.deutschelyrik.de/augen-in-der-grossstadt-1930.html
- Das Gedicht „Augen in der Großstadt“ stammt von Kurt Tucholsky (1890–1935), einem bedeutenden deutschen Schriftsteller der Weimarer Republik, der sowohl satirisch als auch lyrisch arbeitete.
- Er ist bekannt für seine kritischen Texte zur Gesellschaft, Politik und dem modernen Leben.
- Das Gedicht wurde 1930 veröffentlicht und lässt sich der Neuen Sachlichkeit zuordnen, einer Strömung der Literatur, die sich durch Nüchternheit, Beobachtung und Großstadterfahrung auszeichnet.
Thema des Gedichts: Die Flüchtigkeit menschlicher Begegnungen in der Anonymität der Großstadt – das Aufeinandertreffen von Blicken, das Verpassen von Chancen und die Einsamkeit im städtischen Raum.
Inhaltsbeschreibung
Kurt Tucholsky
Augen in der Großstadt
- Wenn du zur Arbeit gehst
- am frühen Morgen,
- wenn du am Bahnhof stehst
- mit deinen Sorgen:
- da zeigt die Stadt
- dir asphaltglatt
- im Menschentrichter
- Millionen Gesichter:
- Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
- die Braue, Pupillen, die Lider –
- Was war das? vielleicht dein Lebensglück…
- vorbei, verweht, nie wieder.
- Strophe 1 (Z. 1–12): Präsentiert wird ein morgendlicher Arbeitsweg.
- Die Stadt erscheint wie ein Menschentrichter (Z. 7), in dem man Millionen Gesichter sieht.
- In einem kurzen Blick (Zwei fremde Augen, Z. 9) liegt womöglich das ganze Lebensglück – das aber sofort wieder verweht und verloren ist (Z. 12).
- Zwischenfazit/Leserlenkung:
Als Mensch wird man hier darauf aufmerksam gemacht, was an so einem Gang am Morgen eigentlich wirklich wichtig ist.
- Du gehst dein Leben lang
- auf tausend Straßen;
- du siehst auf deinem Gang,
- die dich vergaßen.
- Ein Auge winkt,
- die Seele klingt;
- du hasts gefunden,
- nur für Sekunden…
- Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
- die Braue, Pupillen, die Lider;
- Was war das? kein Mensch dreht die Zeit zurück…
- Vorbei, verweht, nie wieder.
- Strophe 2 (Z. 13–24):
- Das Leben verläuft auf unzähligen Straßen, viele Menschen begegnen einem – aber man wird vergessen (Z. 16).
- Ein flüchtiger Moment der Verbindung (die Seele klingt, Z. 18) ist möglich, aber bleibt scheinbar nebensächlich und kurzzeitig – nur für Sekunden (Z. 20).
- Zwischenfazit – Leserlenkung:
Hier wird es grundsätzlich, aus dem Blickwinkel des gesamten Lebens betrachtet.
- Du mußt auf deinem Gang
- durch Städte wandern;
- siehst einen Pulsschlag lang
- den fremden Andern.
- Es kann ein Feind sein,
- es kann ein Freund sein,
- es kann im Kampfe dein
- Genosse sein.
- Es sieht hinüber
- und zieht vorüber…
- Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
- die Braue, Pupillen, die Lider.
- Was war das?
- Von der großen Menschheit ein Stück!
- Vorbei, verweht, nie wieder.
- Strophe 3 (Z. 25–39):
- Die Stadt wird als Ort der Durchreise beschrieben.
- Die Menschen können alles sein – Feind, Freund oder Genosse (Z. 29–32).
- Aber auch diese möglichen Beziehungen lösen sich auf.
- Das lyrische Ich erkennt: Jene Blicke sind ein Stück von der großen Menschheit (Z. 38), aber auch sie verwehen.
- Fazit/Leserlenkung:
Hier wird es noch grundsätzlicher, indem Beziehungen angedeutet werden, auf die man normalerweise nicht achtet.
Aussagen des Gedichtes
Das Gedicht macht deutlich:
- Die Stadt anonymisiert und fragmentiert menschliche Beziehungen – trotz Nähe bleibt Distanz (Z. 1–12).
- Flüchtige Begegnungen können tiefe emotionale Bedeutung haben, auch wenn sie augenblicklich wieder verschwinden (Z. 17–20).
- Die Großstadt zeigt eine unüberblickbare Vielfalt von Menschen, aber diese Vielfalt wird nicht greifbar – sie zieht vorüber (Z. 25–39).
- Die Wiederholung der Zeile „Vorbei, verweht, nie wieder“ verstärkt das Gefühl von Unwiederbringlichkeit und Vergänglichkeit.
. Sprachliche und rhetorische Mittel
- Metaphern:
- Menschentrichter (Z. 7) – Bild für den engen, gedrängten Stadtraum voller Menschen.
- die Seele klingt (Z. 18) – Ausdruck für eine emotionale Resonanz bei flüchtiger Begegnung.
- Anaphern und Wiederholungen: Die fast identischen Verse am Ende jeder Strophe (z. B. Z. 9, 21, 35) intensivieren die Wirkung der flüchtigen Begegnung.
- Parallelismus:
- Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick, die Braue, Pupillen, die Lider (Z. 9–10) – genaue Beobachtung wird in rhythmischer Struktur dargestellt.
- Ellipsen: Kurze, abgehackte Fragen wie Was war das? (Z. 11, 23, 37) – vermitteln Ratlosigkeit und Nachdenklichkeit.
Diese Mittel unterstreichen das zentrale Motiv der flüchtigen, bedeutungsschwangeren, aber ungreifbaren Begegnung.
Was kann man mit dem Gedicht anfangen?
Das Gedicht lädt zur Reflexion über moderne, städtische Lebensverhältnisse ein. Es wirft die Frage auf, wie viel Nähe in einer Masse möglich ist und wie man mit verpassten Chancen umgeht. In einer Welt voller Begegnungen bleibt das Einzelne oft unbemerkt oder bedeutungslos – und doch wirkt es nach.
Es eignet sich als Gesprächsanlass über:
- Einsamkeit in der Masse
- Zwischenmenschliche Kommunikation
- Flüchtigkeit von Momenten
- Urbanität und Anonymität
Persönliche Erst-Reaktion von Mia (fiktive Schülerin)
- Ich finde das Gedicht irgendwie traurig, aber auch schön – weil es so ehrlich ist.
- Es hat mich zum Nachdenken gebracht, wie oft ich in der U-Bahn oder auf der Straße Menschen sehe und dann vergesse.
- Die Zeile „Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick“ hat mir besonders gefallen – das kennt man einfach.
- Ich mag die Wiederholungen, weil sie das Gefühl verstärken, dass sich etwas wiederholt und trotzdem nichts bleibt.
- Die Sprache ist leicht verständlich, aber man merkt, dass viel drinsteckt.
- Ich fand die Vorstellung vom Menschentrichter sehr anschaulich – so fühlt sich die Stadt manchmal an.
- Das Gedicht könnte gut zu einem Theaterstück oder Kurzfilm passen.
- Vielleicht könnte man es auch mit Musik verbinden – als Songtext fast.
- Die letzte Strophe fand ich besonders stark, weil sie nochmal zeigt, wie viel in einem Moment liegen kann.
- Ich würde es gern nochmal lesen, wenn ich das nächste Mal in einer vollen Stadt unterwegs bin.
Ü3: Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Stadtgedichte – Sammlung
Sammlung von Gedichten, die jeweils kurz vorgestellt werden, auch mit Hinweisen auf ihren Einsatz im Unterricht bzw. speziell bei Klassenarbeiten und Klausuren
https://textaussage.de/sammlung-stadtgedichte
— - Stadtgedichte – nach Themen sortiert
https://textaussage.de/stadtgedichte-nach-themen-sortiert-stadtgedichte-finder
— - Stadtgedichte: Infos, Tipps und Materialien
https://textaussage.de/thema-stadt-in-gedichten-infos-tipps-und-materialien-themenseite
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos