Kurz-Essay: Lars Krüsand, Was bedeutet es, wenn jemand sich opfert? (Mat1230)

Worum es hier geht:

  • Der folgende Text wurde ursprünglich unter dem Titel veröffentlicht:
    • Kritik an Epikurs Lustprinzip
      oder auch:
    • Epikurs begrenzter Blick auf die Bedeutung der Lust
  • Dabei hat er viel mehr zu bieten – und ist für Leute, die richtig Ahnung haben von Philosophie wahrscheinlich sowieso wenig interessant.
  • Vielleicht aber viel mehr für Schülis, die
    • entweder einen Essay schreiben sollen und sich fragen, wie geht das, wenn man noch kein großer Philosoph ist
    • oder aber sie behandeln das Thema „sich aufopfern“ für eine Idee und/oder für andere.
      Dann kann dieser Text vielleicht eine Anregung sein – und darum haben wir ihn mit Zustimmung des Verfassers in dem Sinne „umgetauft“ und hoffen, dass er gute Anregungen enthält.

Der Text in neuem Gewand

Lars Krüsand

Was heißt es eigentlich, „sich aufopfern“?

Wer auch nur ein bisschen Ahnung von Philosophie hat, kennt auch Epikur, jenen Griechen, der das Prinzip des Hedonismus entwickelt hat. Im Mittelpunkt dieser Welt- und Lebensanschauung steht die Lust, wobei durchaus differenziert wird zwischen dem unmittelbaren, fast schon tierischen Lustgewinn oder auch komplizierteren Einstellungen, bei denen man Freude daran hat, möglichst wenig zu brauchen. Ja er spricht sogar von Tugenden – allerdings mit der bemerkenswerten Einschränkung, dass man sie vergessen sollte, wenn sie keine Lust verschaffen.

Damit sind wir beim ersten Kern des Problems: Letztlich ist und bleibt Lust vorrangig bei allen Überlegungen und Handlungen. Das wird spätestens dann zum Problem, wenn man auf den Lustwunsch des Anderen trifft. Am besten kann man sich das beim Fremdgehen klarmachen: Wenn die Umstände günstig sind und die beiden Wissenden damit klarkommen, vielleicht die Heimlichkeit sogar genießen, wo ist dann das Problem, wenn es keine Maßstäbe gibt, die über das Lustempfinden des Einzelnen hinausgehen? Oder was ist mit den Soldaten in Stalingrad, die ihren Platz im rettenden Flugzeug für einen anderen freimachten – haben sie das wirklich aus Lust an der guten Tat getan – die es ja auch gibt – oder aus einem ihr Selbst übersteigenden Gefühl für den Anderen? Damit sind wir bei einem weiteren Problem: Es heißt zu Recht: Wir verdanken den alten Griechen die Herausstellung individueller Existenz. Es gibt andere Kulturen, die in viel höherem Maße den Gemeinschaftsgedanken hervorheben. Einen Rest davon erlebt man im Sportbereich, wenn sich wirklich jemand für die Mannschaft “aufopfert”. Hier akzeptiert jeder, dass die Gemeinschaft mehr ist als der Einzelne. Epikur würde jetzt darauf hinweisen, dass man eben nur gemeinsam gewinnen und damit wieder Lust empfinden kann. Aber in Grenzbereiche kommt man immer dann, wenn es um Leben und Tod geht: Gibt es heute noch Leute wie den Schweizer Winkelried, der zumindest der Sage nach die Spieße der überlegenen gegnerischen Ritter auf sich zog, ja im wortwörtlichen Sinne in sich hineinzog und damit den eigenen Bauernkämpfern eine Gasse durch die gegnerische Phalanx öffnete und damit den Sieg sicherte. Hier wurde viel geopfert für einen minimalen Moment der Lust am kommenden Sieg und der Bereitschaft zur Aufgabe aller weiteren Möglichkeiten des Lustgewinns im Tod.

Halten wir also fest: Der Konflikt zwischen “Pflicht und Neigung” kann nicht so einseitig aufgelöst werden, dass man einfach jeden Verzicht auf Lust mit der Vorfreude auf nöch größere verbindet. Es gibt auch Menschen, die in bestimmten Situationen alles riskieren, ja alles opfern für etwas Höheres. Dass diese Bereitschaft zum Beispiel von den Mächtigen in Kriegen immer wieder missbraucht wurde, ändert nichts daran, dass Opfer ohne Lustgewinn möglich und nötig sein können. Allein mit Epikur sind wir darauf nicht vorbereitet.

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