Björn Lankert, „Alles zu seiner Zeit“ – oder: Kann das Pech nicht warten? (Mat7457)

Worum es hier geht:

  • Die Geschichte „Alles zu seiner Zeit“ von Björn Lankert beleuchtet, wie literarische Texte und deren Themen im Unterricht von Schülern erlebt und bewertet werden können, insbesondere wenn sie als nicht altersgerecht empfunden werden.
  • Der zentrale Konflikt zwischen dem Vater, der Lehrer ist, und seinem Sohn, der Schüler ist, zeigt eine grundlegende Spannung: Literatur im Unterricht wird oft mit einem Erwachsenenblick ausgewählt und analysiert, der nicht unbedingt die Lebensrealität von Jugendlichen widerspiegelt.
  • Was macht die Geschichte für den Unterricht interessant?

    1. Perspektivwechsel:
      • Die Geschichte regt an, die Auswahl und die Zielsetzung literarischer Texte im Unterricht zu hinterfragen. Sie zeigt, wie wichtig es ist, den Erfahrungshorizont der Schüler einzubeziehen.
    2. Diskussion über Relevanz:
      • Sie thematisiert die Relevanz von Unterrichtsinhalten und stellt die Frage, wie sinnvoll es ist, Themen zu behandeln, die weit entfernt von den Lebenswelten der Schüler liegen.
    3. Kommunikation zwischen Generationen:
      • Der Dialog zwischen Vater und Sohn veranschaulicht, wie unterschiedlich Erwachsene und Jugendliche über Inhalte denken, und zeigt, wie wichtig es ist, diese Diskrepanz offen zu besprechen.
    4. Reflexion über didaktische Ansätze:
      • Für Lehrerinnen und Lehrer bietet die Geschichte einen Anlass, über die Methoden und Themen im Unterricht nachzudenken und gegebenenfalls neue Ansätze zu finden, um Schüler stärker abzuholen.

    Insgesamt zeigt die Geschichte, dass Literaturunterricht nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch einen Dialog über Lebensrealität, Perspektiven und Relevanz fördern sollte. Dies macht sie zu einer hervorragenden Grundlage für Diskussionen über Lehrmethoden und Schülerinteressen im Deutschunterricht.

Nun der Text der Geschichte

Björn Lankert
Alles zu seiner Zeit
Heute konnten sie ausnahmsweise mal gemeinsam in Ruhe frühstücken. Tom fing sowieso immer erst am Dienstag in der dritten Stunde an. Bei ihm selbst war sein Kurs auf Fahrt und er musste ausnahmsweise mal keinen Vertretungsunterricht geben.
Leider wurde Das Gespräch zwischen Vater und Sohn dann nicht so harmonisch, wie er sich das gewünscht hätte. Denn sie hatten sich am Tag vorher gar nicht mehr gesehen und offensichtlich bestand Redebedarf:
Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie das gestern mit der Besprechung der Klausur abgelaufen ist.

Welche Klausur?

Natürlich die in Deutsch. Da hatten wir so eine seltsame Warzengeschichte bekommen und sollten die analysieren.

Als Deutschlehrer kannte  er natürlich die Kurzgeschichten, die am häufigsten dran kamen: Ach, du meinst Flitterwochen, dritter Tag von Gabriele Wohmann?

Ja, kann schon sein. So ähnlich hieß die Frau wohl.

Ja, und wo ist das Problem? Das ist doch eine Kurzgeschichte, die immer wieder eingesetzt wird.

Um so schlimmer. Da geht es um Dinge, die erstens ganz schlecht dargestellt sind und von denen wir zweitens gar keine Ahnung haben.

Wieso habt ihr keine Ahnung, wenn Leute irgendwie nicht vernünftig kommunizieren können. Das kommt doch in den besten Familien vor.

Ja, aber dann geht es um Probleme, die wir miteinander haben, und nicht um irgendwelche Eheprobleme.

Es schadet doch nicht, wenn man sieht, welche Probleme auch Erwachsene haben.

Darüber kann man ja sprechen, aber das ist sicherlich kein gutes Thema, wenn man in einer Klausur den Text erst mal verstehen muss.

Und was war in dem Text zum Beispiel unverständlich?

Naja, da wollte der Mann irgendwie nicht, dass seine Frau demnächst weiter arbeitet. Und dann standen in dem sogenannten Erwartungshorizont Begriffe wie Autonomie, Fremdbestimmung und Geschlechterverhältnis. Wie soll ich mir vorstellen, was es für die Frau bedeutet, wenn sie demnächst nicht mehr arbeiten soll?!

Ja, vielleicht solltest du erst mal eine Runde arbeiten und dir selbst dein Geld verdienen, dann würdest du begreifen, was es bedeutet, wenn man zu Hause nur rumsitzt und sich fragt, wie man dem Mann einen schönen Abend machen kann.

Siehst du, jetzt habe ich dich: Diese Geschichte ist etwas, was man besprechen kann, wenn man selbst in der entsprechenden Situation ist. Soweit ich weiß, ist bis jetzt kein einziger aus dem Kurs in Flitterwochen gewesen.

Das saß. Da unterrichtete er schon zehn Jahre lang Oberstufenkurse in Deutsch. Aber er konnte sich nicht erinnern, dass ihn mal ein Schüler so zum Nachdenken gebracht hätte.

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