Lektüre-Guide 8 Seiten: Goethe, „Werther“, Erstes Buch (Mat8662-1)

Worum es hier geht:

Wir haben viel Mitgefühl für diejenigen, die gerne einen knappen Überblick über eine Lektüre haben wollen.

Deshalb haben wir hier die wichtigsten Textstellen aus dem Ersten Buch von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ auf etwa 8 Seiten zusammengestellt.

Das Entscheidende: Die einzelnen Textstellen haben wir durch Hinweise auf den dazwischen liegenden Inhalt gewissermaßen „überbrückt“.

Wir verstehen das als Einstiegshilfe in eine fremde Großstadt. Auch dort braucht erst mal eine Reihe sicherer Punkte, an denen man sich auskennt, von dort aus kann man dann auf weitere Erkundungsreisen gehen.

Hier eine Vorschau und eine Druckfassung.

Es gibt dazu auch eine Audio-Datei. Die kann man sich dann auf die Ohren legen – und die Stellen in der eigenen Lektüreausgabe verfolgen.

https://schnell-durchblicken.de/audio8662

Nun der Text

Lektüre-Guide zu Goethe, „Die Leiden des jungen Werther“ – Erstes Buch

Die Zitate sind kursiv eingefügt.

Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 6, Hamburg 1948 ff, S. 7-60.

Hier zunächst ein Seitenvergleich zwischen
Reclam XXL-E-Book-Ausgabe und
„Einfach Deutsch“
Vorschau und PDF-Download

Mat8662 Seitenvergleich Reclam XXL und Einfach Deutsch Werther

1.    Ausgangspunkt: Flucht und Erholung

  • EB5:
    Gleich am Anfang stellt Werther fest:
    EB5: Wie froh bin ich, dass ich weg bin.
    Hintergrund dafür ist eine Art Liebesattacke einer „Leonore
    Da hat sich ein Mädchen in ihn verguckt – und so dachte er, Verschwinden ist die beste Lösung.
    Er macht auch klar, dass er neu anfangen will.
    EB5: Das Vergangene soll mir vergangen sein.“
  • EB6: Außerdem ist Werther im Auftrag seiner Mutter unterwegs – es geht um eine Erbschaftsangelegenheit, angeblich sieht Werther da Kompromisschancen, aber das ist wohl eher eine Ausrede.
  • EB6-8: Wie gut Werther das Vergessen und der Neuanfang gelingen, zeigt sich an dem Satz: EB7: „Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen. Er genießt die Einsamkeit und fast ein Aufgehen in der Natur, bei dem er sich Gott nah fühlt. Allerdings ist er dadurch fast schon überwältigt, kann auch nicht mehr wie sonst zeichnen.
  • EB8/9/10: Immer wieder wird deutlich, dass Werther mit den Menschen auf seiner bürgerlichen Ebene und darüber hinaus nicht zufrieden ist:
    • EB10: „ Es ist ein einförmiges Ding um das Menschengeschlecht. Die meisten verarbeiten den größten Teil der Zeit, um zu leben, und das bißchen, das ihnen von Freiheit übrig bleibt, ängstigt sie so, daß sie alle Mittel aufsuchen, um es los zu werden. O Bestimmung des Menschen!
    • EB12: „Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt.“
  • Umso mehr freut er sich am einfachen Volk:
    • 9/10: Die geringen Leute des Ortes kennen mich schon und lieben mich, besonders die Kinder.“
    • Leute von einigem Stande werden sich immer in kalter Entfernung vom gemeinen Volke halten, als glaubten sie durch Annäherung zu verlieren; und dann gibt’s Flüchtlinge und üble Spaßvögel, die sich herabzulassen scheinen, um ihren Übermut dem armen Volke desto empfindlicher zu machen.“
    • EB9/10: Ich weiß wohl, daß wir nicht gleich sind, noch sein können; aber ich halte dafür, daß der, der nötig zu haben glaubt, vom so genannten Pöbel sich zu entfernen, um den Respekt zu erhalten, ebenso tadelhaft ist als ein Feiger, der sich vor seinem Feinde verbirgt, weil er zu unterliegen fürchtet.“
    • EB10: Als Beispiel erwähnt Werther eine Geschichte, in der er einem Dienstmädchen am Brunnen hilft.

2.    Werthers Leben ändert sich völlig – er lernt Lotte kennen:

  • Auf S. 10 beklagt sich Werther noch: „Ich habe allerlei Bekanntschaft gemacht, Gesellschaft habe ich noch keine gefunden.“ Damit meint er wohl Gleichgesinnte.
  • Auf S. 20 ist es dann so weit. Werther schreibt an Wilhelm: „ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht. Ich habe – ich weiß nicht.“ Schon der Schluss ist in seiner Brüchigkeit verräterisch.
  • Kurz darauf endet das Schwärmen in der Feststellung: „sie hat allen meinen Sinn gefangen genommen.“
  • Werther hat im Rahmen einer Tanzveranstaltung mit Lotte „den Schatz entdeckt, der in der stillen Gegend verborgen liegt“, kennengelernt. Schon auf der Hinfahrt ist Werther ganz hingerissen (EB25/25).
  • Auf den Hinweis, dass diese Lotte bereits in den festen Händen eines Albert ist, reagiert Werther widersprüchlich:
    • EB27: Zunächst die Feststellung, was mit ihm los ist:
      Ich war kein Mensch mehr.
    • Das liebenswürdigste Geschöpf in den Armen zu haben und mit ihr herumzufliegen wie Wetter, daß alles rings umher verging,“
    • Dann eine seltsame Bemerkung, die Besitzwille zeigt, obwohl er doch weiß, dass er eigentlich keine Chance hat:
      und – Wilhelm, um ehrlich zu sein, tat ich aber doch den Schwur, daß ein Mädchen, das ich liebte, auf das ich Ansprüche hätte, mir nie mit einem andern walzen sollte als mit mir,
    • Und dann schon der romantische Absolutheitsanspruch, der auch Scheitern und Untergang mit ins Auge fasst:
      und wenn ich drüber zugrunde gehen müßte. Du verstehst mich!
  • Richtige Seelenverwandtschaft zeigt sich dann, als die beiden ein Gewitter erleben und sich dabei auf Klopstock als Lieblingsdichter verständigen:
  • EB30: ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte: »Klopstock!« –
  • Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoß.
  • Ich ertrug’s nicht, neigte mich auf ihre Hand und küßte sie unter den wonnevollsten Tränen.
  • Und sah nach ihrem Auge wieder –
  • Edler! hättest du deine Vergötterung in diesem Blicke gesehen, und möcht‘ ich nun deinen so oft entweihten Namen nie wieder nennen hören!“
  • In der Folgezeit verbringt Werther viel Zeit mit Lotte und ihrer Familie und stellt fest:
    • EB31: „Ich lebe so glückliche Tage, wie sie Gott seinen Heiligen aufspart;
    • und mit mir mag werden was will, so darf ich nicht sagen, daß ich die Freuden, die reinsten Freuden des Lebens nicht genossen habe. –
    • Du kennst mein Wahlheim; dort bin ich völlig etabliert, von da habe ich nur eine halbe Stunde zu Lotten,
    • dort fühl‘ ich mich selbst und alles Glück, das dem Menschen gegeben ist.“

Probleme der „exzentrischen“ Beziehung zu Lotte werden deutlich

  • Aber bei der Betrachtung der Natur wird auch schon deutlich, dass Werthers aktuelles Glück nicht vollkommen ist, weil es keine Ewigkeitsperspektive hat:
    • EB32: „Die in einander geketteten Hügel und vertraulichen Täler! – O könnte ich mich in ihnen verlieren! – –
    • Ich eilte hin, und kehrte zurück, und hatte nicht gefunden, was ich hoffte.
    • O es ist mit der Ferne wie mit der Zukunft! Ein großes dämmerndes Ganze ruht vor unserer Seele, unsere Empfindung verschwimmt darin wie unser Auge, und wir sehnen uns, ach! unser ganzes Wesen hinzugeben, uns mit aller Wonne eines einzigen, großen, herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen. –
    • Und ach! wenn wir hinzueilen, wenn das Dort nun Hier wird, ist alles vor wie nach, und wir stehen in unserer Armut, in unserer Eingeschränktheit, und unsere Seele lechzt nach entschlüpftem Labsale.
  • Bald zeigen sich aber auf Differenzen zwischen Lotte und Werther. Sie mahnt ihn zum Beispiel, als er bei einem Besuch sich zu sehr in ein anderes Paar hineindrängt. (EB36).
  • Auf EB40 hat Lotte auch schon ein Kernproblem von Werther erkannt:
    • „Und wie sie mich auf dem Wege schalt über den zu warmen Anteil an allem, und daß ich drüber zugrunde gehen würde! daß ich mich schonen sollte! –
    • O der Engel! Um deinetwillen muß ich leben!“
  • Auf EB40 muss Lotte schon ziemlich heftig reagieren, als Werther gegenüber einem Kind übergriffig wird:
    • Ich blickte hinab und sah, daß Malchen mit einem Glase Wasser sehr beschäftigt heraufstieg. –
    • Ich sah Lotten an und fühlte alles, was ich an ihr habe.
    • Indem kommt Malchen mit einem Glase. Mariane wollt‘ es ihr abnehmen: »Nein!« rief das Kind mit dem süßesten Ausdrucke, »nein, Lottchen, du sollst zuerst trinken!« –
    • Ich ward über die Wahrheit, über die Güte, womit sie das ausrief, so entzückt, daß ich meine Empfindung mit nichts ausdrücken konnte, als ich nahm das Kind von der Erde und küßte es lebhaft, das sogleich zu schreien und zu weinen anfing.
    • – »Sie haben übel getan,« sagte Lotte. –
    • Ich war betroffen. – »Komm, Malchen,« fuhr sie fort, indem sie es bei der Hand nahm und die Stufen hinabführte, »da wasche dich aus der frischen Quelle geschwind, geschwind, da tut’s nichts.« –
    • Wie ich so dastand und zusah, mit welcher Emsigkeit das Kleine mit seinen nassen Händchen die Backen rieb, mit welchem Glauben, daß durch die Wunderquelle alle Verunreinigung abgespült und die Schmach abgetan würde, einen häßlichen Bart zu kriegen; wie Lotte sagte: »Es ist genug!« und das Kind doch immer eifrig fortwusch, als wenn Viel mehr täte als Wenig –
    • ich sage dir, Wilhelm, ich habe mit mehr Respekt nie einer Taufhandlung beigewohnt; und als Lotte heraufkam, hätte ich mich gern vor ihr niedergeworfen wie vor einem Propheten, der die Schulden einer Nation weggeweiht hat.“
  • Auf EB42 zeigt sich dann der Unterschied zwischen den Empfindungen Lottes und Werthers: Da geht es einfach um eine Abfahrt mit der Kutsche – und Werther verhält sich wie ein verliebter Junge:
    • „Ich suchte Lottens Augen; ach, sie gingen von einem zum andern! Aber auf mich! mich! mich! der ganz allein auf sie resigniert dastand, fielen sie nicht! –
    • Mein Herz sagte ihr tausend Adieu! Und sie sah mich nicht! Die Kutsche fuhr vorbei, und eine Träne stand mir im Auge. Ich sah ihr nach und sah Lottens Kopfputz sich zum Schlage herauslehnen, und sie wandte sich um zu sehen, ach! nach mir? –
    • Lieber! In dieser Ungewißheit schwebe ich; das ist mein Trost: vielleicht hat sie sich nach mir umgesehen! Vielleicht! –
    • Gute Nacht! O, was ich ein Kind bin!
  • Auf EB44 denkt sich Werther einfach das zurecht, was für ihn wichtig ist. Am schärfsten dann die Bedeutung der angeblichen Liebe Lottes für die Selbstliebe Werthers.
    • Nein, ich betrüge mich nicht! Ich lese in ihren schwarzen Augen wahre Teilnehmung an mir und meinem Schicksal. Ja ich fühle, und darin darf ich meinem Herzen trauen, daß sie – o darf ich, kann ich den Himmel in diesen Worten aussprechen? – daß sie mich liebt!
    • Mich liebt! – Und wie wert ich mir selbst werde, wie ich – dir darf ich’s wohl sagen, du hast Sinn für so etwas – wie ich mich selbst anbete, seitdem sie mich liebt!
    • Ob das Vermessenheit ist oder Gefühl des wahren Verhältnisses? – Ich kenne den Menschen nicht, von dem ich etwas in Lottens Herzen fürchtete. Und doch – wenn sie von ihrem Bräutigam spricht, mit solcher Wärme, solcher Liebe von ihm spricht – da ist mir’s wie einem, der aller seiner Ehren und Würden entsetzt und dem der Degen genommen wird.“
  • Auf EB45: Bezeichnend ist auch Werthers Reaktion, wenn Lotte auf dem Klavier ihr Lieblingslied spielt:
    • „Wie mich der einfache Gesang angreift!
    • Und wie sie ihn anzubringen weiß, oft zur Zeit, wo ich mir eine Kugel vor den Kopf schießen möchte!
    • Die Irrung und Finsternis meiner Seele zerstreut sich, und ich atme wieder freier.“
  • Auf EB45 merkt man dann schon, wie sehr Werthers Gefühle ins Krankhafte gehen.
    • „Heute konnte ich nicht zu Lotten, eine unvermeidliche Gesellschaft hielt mich ab.
    • Was war zu tun? Ich schickte meinen Diener hinaus, nur um einen Menschen um mich zu haben, der ihr heute nahe gekommen wäre.
    • Mit welcher Ungeduld ich ihn erwartete, mit welcher Freude ich ihn wiedersah!
    • Ich hätte ihn gern beim Kopfe genommen und geküßt, wenn ich mich nicht geschämt hätte.“„
  • Auf EB46 versucht die Mutter, Werther in eine normale Beschäftigung hinein zu bekommen. Typisch ist die Reaktion:
    • Alles in der Welt läuft doch auf eine Lumperei hinaus,
    • und ein Mensch, der um anderer willen,
    • ohne daß es seine eigene Leidenschaft, sein eigenes Bedürfnis ist,
    • sich um Geld oder Ehre oder sonst was abarbeitet,
    • ist immer ein Tor.
  • Auf EB47: Dann zwei Signale, dass Werthers Beziehung zu Lotte nicht mehr gesund ist:
    • Zunächst bittet er Lotte um viele Aufträge, nur:
    • „Um eins bitte ich Sie: keinen Sand mehr auf die Zettelchen, die Sie mir schreiben.
    • Heute führte ich es schnell nach der Lippe, und die Zähne knisterten mir.“
    • Und dann die Wirkung des „Magnetenbergs“:
    • Ich habe mir schon manchmal vorgenommen, sie nicht so oft zu sehn.
    • Ja wer das halten könnte!
    • Alle Tage unterlieg‘ ich der Versuchung und verspreche mir heilig: morgen willst du einmal wegbleiben.
    • Und wenn der Morgen kommt, finde ich doch wieder eine unwiderstehliche Ursache, und ehe ich mich’s versehe, bin ich bei ihr.

3.    Scheinbare Dreier-Harmonie mit Albert bis Flucht

  • EB48/49: Werther hat damit ein Problem, aber Albert löst es erst mal für ihn:
    • EB48: „Albert ist angekommen, und ich werde gehen;
    • und wenn er der beste, der edelste Mensch wäre, unter den ich mich in jeder Betrachtung zu stellen bereit wäre, so wär’s unerträglich, ihn vor meinem Angesicht im Besitz so vieler Vollkommenheiten zu sehen. – Besitz! –„
    • „Genug, Wilhelm, der Bräutigam ist da! Ein braver, lieber Mann, dem man gut sein muß.
    • Glücklicherweise war ich nicht beim Empfange! Das hätte mir das Herz zerrissen.
    • Auch ist er so ehrlich und hat Lotten in meiner Gegenwart noch nicht ein einzigmal geküßt. Das lohn‘ ihm Gott!
    • Um des Respekts willen, den er vor dem Mädchen hat, muß ich ihn lieben.

 

  • Er will mir wohl, und ich vermute, das ist Lottens Werk mehr als seiner eigenen Empfindung; denn darin sind die Weiber fein und haben recht; wenn sie zwei Verehrer in gutem Vernehmen mit einander erhalten können, ist der Vorteil immer ihr, so selten es auch angeht.“
  • Indes kann ich Alberten meine Achtung nicht versagen. Seine gelassene Außenseite sticht gegen die Unruhe meines Charakters sehr lebhaft ab, die sich nicht verbergen läßt.
  • Dem sei nun wie ihm wolle, meine Freude, bei Lotten zu sein, ist hin.
  • Soll ich das Torheit nennen oder Verblendung? – Was braucht’s Namen! erzählt die Sache an sich! –
  • Ich wußte alles, was ich jetzt weiß, ehe Albert kam; ich wußte, daß ich keine Prätension an sie zu machen hatte, machte auch keine –
  • das heißt, insofern es möglich ist, bei so viel Liebenswürdigkeit nicht zu begehren –
  • EB49: Und jetzt macht der Fratze große Augen, da der andere nun wirklich kommt und ihm das Mädchen wegnimmt.
  • Aber dann zeigt sich wieder die unklare Gesamthaltung Werthers: Für ihn ist da:
    • EB51: „der ehrliche Albert, der durch keine launische Unart mein Glück stört; der mich mit herzlicher Freundschaft umfaßt; dem ich nach Lotten das Liebste auf der Welt bin! – Wilhelm, es ist eine Freude, uns zu hören, wenn wir spazierengehen und uns einander von Lotten unterhalten:
  • Und dann doch die halbe Einsicht, bei der Werther sich am Ende nur in seine Gefühle retten kann:
    • EB52: es ist in der Welt nichts Lächerlichers erfunden worden als dieses Verhältnis, und doch kommen mir oft darüber die Tränen in die Augen.
  • Am 12. August (EB52) kommt es dann doch zu einer Auseinandersetzung, in der es um den Selbstmord als letzten Ausweg für einen Menschen in äußerster Not geht: Er fragt völlig zu Recht:
    • EB54: »Daß ihr Menschen,« rief ich aus, »um von einer Sache zu reden, gleich sprechen müßt: ›das ist töricht, das ist klug, das ist gut, das ist bös!‹ Und was will das alles heißen? Habt ihr deswegen die innern Verhältnisse einer Handlung erforscht? Wißt ihr mit Bestimmtheit die Ursachen zu entwickeln, warum sie geschah, warum sie geschehen mußte? Hättet ihr das, ihr würdet nicht so eilfertig mit euren Urteilen sein.«
  • Und die harte, wenig verständnisvolle Haltung des Beamten:
    • EB54: »Du wirst mir zugeben,« sagte Albert, »daß gewisse Handlungen lasterhaft bleiben, sie mögen geschehen, aus welchem Beweggrunde sie wollen.«
  • Schließlich bringt Werther seine Position auf den Punkt:
    • EB59: »Mein Freund,« rief ich aus, »der Mensch ist Mensch, und das bißchen Verstand, das einer haben mag, kommt wenig oder nicht in Anschlag, wenn Leidenschaft wütet und die Grenzen der Menschheit einen drängen. Vielmehr – Ein andermal davon…« sagte ich und griff nach meinem Hute. O mir war das Herz so voll – Und wir gingen auseinander, ohne einander verstanden zu haben. Wie denn auf dieser Welt keiner leicht den andern versteht.“
  • Auf EB 60 zeigt sich dann, wie sehr die Entwicklung Werther negativ verändert hat. Er kann sich über die Natur nicht mehr freuen, sieht gerade bei den kleinen Lebewesen nur noch die Gefahr der Vernichtung:
    • EB62: Da ist kein Augenblick, der nicht dich verzehrte und die Deinigen um dich her, kein Augenblick, da du nicht ein Zerstörer bist, sein mußt; der harmloseste Spaziergang kostet tausend armen Würmchen das Leben, es zerrüttet ein Fußtritt die mühseligen Gebäude der Ameisen und stampft eine kleine Welt in ein schmähliches Grab. Ha! nicht die große, seltne Not der Welt, diese Fluten, die eure Dörfer wegspülen, diese Erdbeben, die eure Städte verschlingen, rühren mich; mir untergräbt das Herz die verzehrende Kraft, die in dem All der Natur verborgen liegt; die nichts gebildet hat, das nicht seinen Nachbar, nicht sich selbst zerstörte. Und so taumle ich beängstigt. Himmel und Erde und ihre webenden Kräfte um mich her: ich sehe nichts als ein ewig verschlingendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer.
  • Auf EB62 dann zeigt sich, wie sehr Werther sich in eine ehe-ähnliche Gemeinsamkeit mit Lotte zumindest im Schlaf hineinträumt. Er kann nur noch „trostlos einer finstern Zukunft entgegen“ weinen.
  • Am 22. August merkt Werther langsam, was mit ihm los ist und wo die einzige Rettung liegen könnte:
    • EB63: Es ist ein Unglück, Wilhelm, meine tätigen Kräfte sind zu einer unruhigen Lässigkeit verstimmt, ich kann nicht müßig sein und kann doch auch nichts tun. Ich habe keine Vorstellungskraft, kein Gefühl an der Natur, und die Bücher ekeln mich an. Wenn wir uns selbst fehlen, fehlt uns doch alles. Ich schwöre dir, manchmal wünschte ich, ein Tagelöhner zu sein, um nur des Morgens beim Erwachen eine Aussicht auf den künftigen Tag, einen Drang, eine Hoffnung zu haben.
  • Am 28. August ist Werthers Geburtstag und Albert hat nichts Besseres als Geschenk sich ausdenken können, als ein Schleifchen von Lotte ins Päckchen zu legen, das Werther schon lange haben wollte und das wohl sein Leiden verschlimmert.
  • Das zeigt sich dann auch im Brief vom 30. August, wo Werther sich nur noch aus seinem Gefühlschaos retten kann, indem im Freien herumjagt, bis er vor Müdigkeit und Durst irgendwo liegen bleibt.
  • Dann der Schlusspunkt einer unseligen Entwicklung:
    • EB66: „O Wilhelm! die einsame Wohnung einer Zelle, das härene Gewand und der Stachelgürtel wären Labsale, nach denen meine Seele schmachtet. Adieu! Ich sehe dieses Elendes kein Ende als das Grab.“
  • Glücklicherweise für ihn und unglücklicherweise vielleicht für die Leser des Romans hat das noch ein bisschen Zeit. Denn Werther entschließt sich wirklich, den Ort dieses Leidens zu verlassen. Er hat alles vorbereitet, sagt aber nichts und führt stattdessen ein intensives Gespräch über Tod und Jenseits mit Albert und Lotte. Dabei spielt deren früh verstorbene Mutter eine große Rolle. Bezeichnend für die Gefühlsintensität, die sich dabei ergibt, ist die folgende Stelle (EB69).
    • EB69: »Lotte!« rief ich aus, indem ich mich vor sie hinwarf, ihre Hand nahm und mit tausend Tränen netzte, »Lotte! der Segen Gottes ruht über dir und der Geist deiner Mutter!« –
    • »Wenn Sie sie gekannt hätten,« sagte sie, indem sie mir die Hand drückte, – »sie war wert, von Ihnen gekannt zu sein!« –
    • Ich glaubte zu vergehen. Nie war ein größeres, stolzeres Wort über mich ausgesprochen worden.“
  • Das erste Buch endet dann mit einem Abschied, den Lotte nur für kurz hält. Vorher hat man sich getröstet, dass man sich im Jenseits auf jeden Fall wiedersehen werde. Keiner der Anwesenden macht sich dabei klar, dass das bedeuten würde, dass dieses quälende Pseudo-Beziehungs-Dreieck dann in alle Ewigkeit so weitergehen würde.

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