Sprache und Rhetorik in Lessing, Nathan der Weise, 2-5 (Mat6281)

Worum es hier geht:

Wir präsentieren hier den Text der Szene, wie man ihn zum Beispiel hier finden kann:

Quelle:

Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 250-254.

Permalink:

http://www.zeno.org/nid/20005262402

Der Originaltext erscheint in kursiver Schrift.

Unsere kommentierenden Auswertungsanmerkungen sind eingerückt.

Das bezieht sich die sprachlichen und die damit eng verbundenen rhetorischen Mittel.

Am Ende wird sich die Frage stellen, inwieweit Kommunikation und sprachlich-rhetorische Mittel überhaupt getrennt werden können.

Nathans Monolog angesichts des Tempelherrn

NATHAN.

Fast scheu‘ ich mich des Sonderlings. Fast macht

Mich seine rauhe Tugend stutzen. 

  • Parallelismus mit Anapher am Anfang, soll wohl die innere Bewegung, vielleicht sogar den Kampf mit sich selbst deutlich machen.
  • Personifizierung der Tugend, die hier wohl deutlich macht, wie viel von dem Tempelherrn in Richtung Nathan ausgeht.

Daß
Ein Mensch doch einen Menschen so verlegen
Soll machen können! – Ha! er kömmt. – Bei Gott!
Ein Jüngling wie ein Mann. Ich mag ihn wohl
Den guten, trotzgen Blick! den prallen Gang!

  • Wieder eine Interjektion, die zeigt, wie gefühlsintensiv es bei Nathan hier abgeht.
  • Vergleich, der den Eindruck vom Entwicklungsstand der anderen Seite deutlich machen soll.
  • Schließlich der Versuch, sich dem vermuteten Charakter des Gegenübers anzunähern, zunächst durch den Gegensatz von „gut“ und „trotzig“.
  • Gemeint ist damit wohl die Widerständigkeit, die der Tempelritter ja schon gegenüber Daja gezeigt hat.
  • Dieser Trotz wird aber grundsätzlich als gut angesehen. Was damit gemeint ist, bleibt erst mal offen.
    • Es kann einen grundsätzlichen guten Charakter andeuten, der möglicherweise nur in die falsche Richtung gelenkt worden ist.
      Das entspräche dem manchmal etwas überbordenden Optimismus, den Nathan zeigt.
  • Vielleicht ist damit aber auch gut gemeint, was durchaus eine ähnliche Richtung geht.
  • Das seltsame Attribut „prall“ das mit Gang verbunden wird, soll wohl so viel heißen, wie mächtig auftretend, Selbstbewusstsein ausstrahlend.
  • Insgesamt macht dieser Einstiegsmonolog deutlich, wie sehr Nathan beeindruckt ist oder auch beeindruckt sein will von dem Tempelritter, soweit er ihn in seiner gegenwärtigen Situation beurteilen kann
  • Das kann man zunächst mal als Ausdruck von Nathans grundsätzlichem, manchmal naiv wirkenden Optimismus verstehen
  • Man kann aber darin auch den Versuch sehen, das Gute im anderen zu vermuten, um es gegebenenfalls in ihm erwecken zu können.

Die Schale kann nur bitter sein: der Kern
Ists sicher nicht. – Wo sah‘ ich doch dergleichen? –

  • Am Ende präsentiert Nathan dann ein Bild, das seine ganze Hoffnung ausdrückt, dass er hier einen guten Kern findet, zu dem man gewissermaßen nur vordringen muss.
  • Die Sicherheit, die Nathan ausdrückt, gilt wohl nicht grundsätzlich, sondern nur der Veranschaulichung seines persönlichen Eindrucks.
  • Das Ende ist mehrdeutig.
    • Es kann zum einen nur noch mal Ausdruck der Verwunderung sein,
    • aber natürlich auch schon andeuten, dass der Tempelherr Nathan an irgendjemanden erinnert, nämlich an seinen Vater, den Nathan ja selbst gekannt hat, wie sich später herausstellt.
Nathans Versuch, mit dem Tempelherrn in ein Gespräch zu kommen.

NATHAN.
Verzeihet, edler Franke …
TEMPELHERR.
Was?

NATHAN.
Erlaubt …

TEMPELHERR.
Was, Jude? was?

NATHAN.
Daß ich mich untersteh‘,
Euch anzureden.

TEMPELHERR.
Kann ichs wehren? Doch
Nur kurz.

  • Es folgt eine kurze Dialogphase, die sich bei Nathan wie ein Gestammel liest, was möglicherweise mit den abwehrenden Reaktionen des Tempelherr zusammenhängt.
  • Insgesamt wird dadurch noch einmal die spannunggeladene Situation deutlich und unterstrichen.
Nathans Dankbarkeit und die Reaktion des Tempelherrn

NATHAN.
Verzieht, und eilet nicht so stolz,
Nicht so verächtlich einem Mann vorüber,
Den Ihr auf ewig Euch verbunden habt.

  • Hier wirbt Nathan für eine Veränderung der Situation, in der Erwartung, dass der Tempelherr für den Dank des Vaters einer geretteten Tochter offen ist.
  • Sprachliches Mittel: Wiederholung von „nicht“

TEMPELHERR.
Wie das? – Ah, fast errat‘ ichs. Nicht? Ihr seid …

NATHAN.
Ich heiße Nathan; bin des Mädchens Vater,
Das Eure Großmut aus dem Feu’r gerettet;
Und komme …

TEMPELHERR.
Wenn zu danken: – sparts! Ich hab‘
Um diese Kleinigkeit des Dankes schon
Zu viel erdulden müssen. – 

  • Nach der Klärung der Beziehungssituation, geht der Tempelherr dazu über, das, was Nathan zu Recht groß vorkommt, für klein zu erklären.
  • Darauf reagiert der Tempelherr in seinem eigenen Bewertungssystem: Er sieht einen negativen Gegensatz zwischen seiner kleinen Rettungstat und der Größe der Unannehmlichkeiten, die sich für ihn damit verbunden haben.

Vollends Ihr,
Ihr seid mir gar nichts schuldig. Wußt‘ ich denn,
Daß dieses Mädchen Eure Tochter war?
Es ist der Tempelherren Pflicht, dem ersten
Dem besten beizuspringen, dessen Not
Sie sehn.

  • Interessant, dass jetzt der Tempelherr immer mehr aus sich herausgeht.
  • Aus den kurzen Einwürfen werden jetzt ganze Überlegungen
  • Zunächst geht es darum, dass der Tempelherr als einziges Motiv für seine Tat das Pflichtbewusstsein seines Ordens ansieht.

Mein Leben war mir ohnedem
In diesem Augenblicke lästig. Gern,
Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit,
Es für ein andres Leben in die Schanze
Zu schlagen: für ein andres – wenns auch nur
Das Leben einer Jüdin wäre.

  • Im zweiten Teil seines Statements deutet der Tempelherr an, dass ihm im Moment seiner Heldentat das eigene Leben nicht viel bedeutet hat.
  • Militärisches Bild des „sich in die Schanze schlagen“ für vollen Einsatz.
  • Damit glaubt er auch jede Art von Danknotwendigkeit noch weiter verkleinern zu können.
  • Hier bleibt offen, was der Tempelherr damit genau meint. Eine mögliche Erklärung wäre, dass er sich darauf bezieht, dass als Gefangener des Sultans sein Leben ja eigentlich keinen Pfifferling mehr wert war. Er betrachtet sein aktuelles Leben und alles, was da noch kommt, also gewissermaßen vor dem Hintergrund seines Scheiterns im Krieg.
  • Seine Heldentat reduziert der Tempelherr dann auf eine Art Ablenkungsmöglichkeit von seinen inneren Schwierigkeiten
  • Das verbindet er allerdings noch mit einer sehr diskriminierenden Bemerkung gegenüber Nathan und seinem Volk.

NATHAN.

Groß!
Groß und abscheulich! – Doch die Wendung läßt
Sich denken. Die bescheidne Größe flüchtet
Sich hinter das Abscheuliche, um der
Bewundrung auszuweichen. – 

  • Bei dieser Passage weiß man nicht so genau, ob Nathan das nur denkt oder gewissermaßen beiseitespricht. Das wäre sicherlich für eine Inszenierung die unproblematischste Variante.
  • Rein sprachlich: Sentenzcharakter
  • Ansonsten zeigt sich auch hier wieder ein sehr eigenwilliges Betrachten der Wirklichkeit.
  • Diese Entschuldigung der hässlichen Bemerkungen der Gegenseite sollen wohl der Möglichkeit der Verständigung im Gespräch dienen.
  • Es erinnert ein bisschen an den Vorschlag aus dem Neuen Testament, dem anderen auch die andere Wange zu halten, wenn er einen auf eine geschlagen hat.
  • Als Hypothese könnte man hier formulieren, dass Lessing Nathan hier bis an die Grenze der Wahrscheinlichkeit gehen lässt, um innerhalb einer Szene zwei extrem gegensätzliche Positionen doch noch glücklich zusammenführen  zu können.

Aber wenn
Sie so das Opfer der Bewunderung
Verschmäht: was für ein Opfer denn verschmäht
Sie minder? – 

  • Der Rest der Überlegungen Nathans ist hier nicht einfach zu verstehen.
  • Wortspiel „Opfer“
  • Am einfachsten ist es wohl, das Opfer auf Nathans Situation und seine Bemühungen zu beziehen
  • Der Rest würde dann bedeuten, dass Nathan auch hier noch einmal seinen naiven Optimismus ausdrückt, nach dem Motto: Je mehr der andere mich beleidigt, desto mehr liebt er mich.

Ritter, wenn Ihr hier nicht fremd,
Und nicht gefangen wäret, würd‘ ich Euch
So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit
Kann man Euch dienen?

  • Reihung: Sprachliches Rantasten an die Situation des Ritters,
  • Dann verschärfende Präzisierung in Richtung Unterwürfigkeit
  • Hier konkretisiert Nathan die Betrachtungebene. Und zwar geht es um die Frage der wie er die Dankesschuld, die er empfindet, abtragen könnte.
  • Nicht ganz klar ist, was Fremdheit und Gefangenschaft hier für eine Rolle spielen. Vielleicht soll es heißen, dass hier nicht die normalen Geschenk-Gegengeschenk-Verhältnisse angemessen erscheinen.

TEMPELHERR.

Ihr? Mit nichts.

NATHAN.

Ich bin
Ein reicher Mann.

TEMPELHERR.

Der reichre Jude war
Mir nie der beßre Jude.

NATHAN.

Dürft Ihr denn
Darum nicht nützen, was dem ungeachtet
Er Beßres hat? nicht seinen Reichtum nützen?

  • Wortspiele
  • Gegensatz: reich – besser
  • Jetzt macht Nathan den Fehler, dass er meint, er könne die schroffe Abwehr des Tempelhherrn mit Hinweis auf seinen Reichtum konterkarieren.
  • Damit macht er genau die antisemitische Flanke auf, in die der Tempelherr dann auch hineinstößt.
  • Es geht darum, dass es ein Vorurteil bis heute gegenüber Juden gibt, sie seien nur am Geld interessiert und würden alles tun, um es zu Lasten anderer zu vermehren.
  • Zur Zeit der Kreuzzüge spielte die Frage des Zinsnehmens dabei eine große Rolle. Den Christen war es gegenüber den Glaubensgenossen verboten – die Juden sprangen ein und wurden dafür mit Neid und Vorwürfen bestraft.

TEMPELHERR.

Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden;
Um meines Mantels willen nicht. Sobald
Der ganz und gar verschlissen; weder Stich
Noch Fetze länger halten will: komm‘ ich
Und borge mir bei Euch zu einem neuen,
Tuch oder Geld. – Seht nicht mit eins so finster!
Noch seid Ihr sicher; noch ists nicht so weit
Mit ihm. Ihr seht; er ist so ziemlich noch
Im Stande. Nur der eine Zipfel da
Hat einen garstgen Fleck; er ist versengt.
Und das bekam er, als ich Eure Tochter
Durchs Feuer trug.

  • Der Tempelherr verlagert hier das Gespräch von der ernstgemeinten Frage nach einer angemessenen Form des Danks zum Hinweis auf den Ausgleich des Schadens an der Kleidung, den der Tempelherr bei seiner Rettungstat hinnehmen musste.
  • Rhetorisches Mittel: Ausmalung
  • Auf jeden Fall gibt es hier keine neuen Beleidigungen. Man kann sogar die Formulierung am Schluss so verstehen, dass der Tempelherr hier anfängt, sein Gegenüber auf die normal menschliche Ebene zu heben.

NATHAN der nach dem Zipfel greift und ihn betrachtet.
Es ist doch sonderbar,
Daß so ein böser Fleck, daß so ein Brandmal
Dem Mann ein beßres Zeugnis redet, als
Sein eigner Mund. Ich möcht ihn küssen gleich –
Den Flecken! – Ah, verzeiht! – Ich tat es ungern.

  • Sprachlich: Moralisches Attribut auf Ding bezogen
  • Metapher des Zeugnisses
  • Interjektion
  • Nathan geht auf diesen Zielwechsel des Gesprächs ein,
  • nutzt ihn dann aber, um erneut seine Theorie vom Gegensatz zwischen dem guten Kern und der harten Schale auszudrücken.
  • Wieder nicht ganz klar ist der Schluss. Möglicherweise handelt es sich hier um eine nicht ganz geglückte Entschuldigung für den Ansatz eines Übergriffs, wenn Nathan den Mantel küssen will.

TEMPELHERR.

Was?

NATHAN.

Eine Träne fiel darauf.

TEMPELHERR.

Tut nichts!
Er hat der Tropfen mehr. – (Bald aber fängt
Mich dieser Jud‘ an zu verwirren.)

  • Hier wird der Eindruck bestätigt, dass sich beim Tempelherrn etwas ändert.
  • Zunächst ist es Verwirrung – wohl seines Vorurteils. Daraus könnte Achtung entstehen.

NATHAN.

Wär’t
Ihr wohl so gut, und schicktet Euern Mantel
Auch einmal meinem Mädchen?

TEMPELHERR.

Was damit?

NATHAN.

Auch ihren Mund auf diesen Fleck zu drücken.
Denn Eure Kniee selber zu umfassen,
Wünscht sie nun wohl vergebens.

  • Sprachlich: Symbolische Handlungen
  • Hier wird es etwas peinlich, wenn Nathan den Gefühlsenthusiasmus Rechas gegenüber dem Tempelherrn unnötigerweise in seinen praktischen Vorschlag einbaut.

TEMPELHERR.

Aber, Jude –
Ihr heißet Nathan? – Aber, Nathan – Ihr
Setzt Eure Worte sehr – sehr gut – sehr spitz –
Ich bin betreten – Allerdings – ich hätte …

  • Sprachlich: Steigerung
  • Sprachlich: Satzabbruch, Anakoluth
  • Hier wird deutlich, dass der Tempelherr sich wohl eher insgesamt beeindruckt zeigt.

NATHAN.

Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find‘
Auch hier Euch aus. Ihr wart zu gut, zu bieder,
Um höflicher zu sein. – Das Mädchen, ganz
Gefühl; der weibliche Gesandte, ganz
Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt –
Ihr trugt für ihren guten Namen Sorge;
Floht ihre Prüfung; floht, um nicht zu siegen.
Auch dafür dank‘ ich Euch –

  • Sprachlich: Reihung, Präzisierung
  • Aufs Lakonische reduzierter Satzbau
  • Umschreibung der Ehre mit Name
  • Nathan interpretiert hier das Verhalten des Tempelherrn aus seiner bekannten Sicht.

TEMPELHERR.

Ich muß gestehn,
Ihr wißt, wie Tempelherren denken sollten.

  • Auch hier eine weitere Annäherung des Tempelherrn.
  • Er begibt sich auf die Erklärungsebene Nathans.
  • Die viel wichtigeren Abgrenzungsmotive lässt er aus.

NATHAN.

Nur Tempelherren? sollten bloß? und bloß
Weil es die Ordensregeln so gebieten?
Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß,
Daß alle Länder gute Menschen tragen.

  • Sprachlich: Wiederholung
  • Personifizierung der Ordensregeln
  • Alltagsmetapher „tragen“
  • Ab hier kommt Nathan zu seiner letztlich erfolgreichen Strategie: Er verlagert die Beurteilung auf die allgemein menschliche Ebene.

TEMPELHERR.

Mit Unterschied, doch hoffentlich?

NATHAN.

Ja wohl;

An Farb‘, an Kleidung, an Gestalt verschieden.

TEMPELHERR.

Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.

NATHAN.

Mit diesem Unterschied ists nicht weit her.
Der große Mann braucht überall viel Boden;
Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen
Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir,
Findt sich hingegen überall in Menge.
Nur muß der eine nicht den andern mäkeln.
Nur muß der Knorr den Knuppen hübsch vertragen.
Nur muß ein Gipfelchen sich nicht vermessen,
Daß es allein der Erde nicht entschossen.

  • Sprachlich: Pars pro toto: „Boden“ für Raum
  • Bild der Bäume
  • Bild des Gipfels, Personifizierung
  • Auf das Bemühen des Tempelherrn die Unterschiede zu betonen, reagiert Nathan mit einer anderen Sicht auf Unterschiede, nämlich eine, die das gemeinsame Menschsein nicht beeinträchtigen.
  • Sprachlich wichtig ist das Bild, das Nathan verwendet.

TEMPELHERR.

Sehr wohl gesagt! – Doch kennt Ihr auch das Volk,
Das diese Menschenmäkelei zu erst
Getrieben? Wißt Ihr, Nathan, welches Volk
Zu erst das auserwählte Volk sich nannte?
Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte,
Doch wegen seines Stolzes zu verachten,
Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes;
Den es auf Christ und Muselmann vererbte,
Nur sein Gott sei der rechte Gott! – Ihr stutzt,
Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?
Wenn hat, und wo die fromme Raserei,
Den bessern Gott zu haben, diesen bessern
Der ganzen Welt als besten aufzudringen,
In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr
Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt
Die Schuppen nicht vom Auge fallen … Doch
Sei blind, wer will! – Vergeßt, was ich gesagt;
Und laßt mich!

  • Bild des Vererbens
  • Rhetorische Frage
  • Wortspiel
  • Bild der schwärzesten Gestalt
  • Aufforderung
  • Der Tempelherr entwickelt hier eine Theorie, nach der die Juden die Abgrenzungs- und sogar Auserwähltheitsidee erfunden und an die Christen weitergegeben haben.
  • Allerdings überzeugt nicht, dass er hier Nathans reales und ganz anderes Verhalten nicht berücksichtigt und auch nicht an den Patriarchen als Vertreter einer exzessiven Variante der gleichen Haltung denkt.

Will gehen.

 

NATHAN.

Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester

Ich nun mich an Euch drängen werde. – Kommt,

Wir müssen, müssen Freunde sein! – Verachtet

Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide

Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind

Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?

Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,

Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch

Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch

Zu heißen!

  • Bild: „drängen“
  • Bild: „auserlesen“
  • Rhetorische Fragen
  • Ausruf
  • Hier kommt nun der Höhepunkt von Nathans Strategie.
  • Statt sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen oder sie zumindest abzuwehren, beantwortet er sich mit der Bereitschaft zu maximaler Annäherung.
  • Der argumentative Weg dahin ist grundsätzlich richtig, aber natürlich äußerst schmal.
  • Es bestätigt sich der Eindruck, dass es hier mehr um nachvollziehbare Annäherung als um einen schnellen Schritt zum Ziel hin geht.

TEMPELHERR.

Ja, bei Gott, das habt Ihr, Nathan!

Das habt Ihr! – Eure Hand! – Ich schäme mich

Euch einen Augenblick verkannt zu haben.

  • Beschwörender Ausruf
  • Nicht sehr motiviert erscheint, dass der Tempelherr sofort darauf eingeht.
  • Die ganze Szene erscheint vom kommunikativen und psychologischen Aufbau her problematisch angelegt.
  • Zu viel Ausbreitung von Distanz und dann plötzlich der Sprung in die Freundschaft.

NATHAN.

Und ich bin stolz darauf. Nur das Gemeine

Verkennt man selten.

  • Auch hier wieder eine sehr seltsame Lebensweisheit (Sentenz)
  • Letztlich behauptet Nathan hier, dass man das nicht Gemeine, also das Edle am meisten verkennt.
  • Das dürfte nicht der Lebensrealität entsprechen.

TEMPELHERR.

Und das Seltene

Vergißt man schwerlich. – Nathan, ja;

Wir müssen, müssen Freunde werden.

  • Wieder Sentenz
  • Diese Bemerkung des Tempelherrn kann man wohl eher nachvollziehen.

NATHAN.

Sind

Es schon. – Wie wird sich meine Recha freuen! –

Und ah! welch eine heitre Ferne schließt

Sich meinen Blicken auf! – Kennt sie nur erst!

  • Nun kehrt Nathan zu seinem Auftrag zurück.
  • Ausruf
  • Interessant das Mittel der Personifizierung, wenn es hier um eine „heitre Ferne“ geht, die sich selbst aufschließt.

TEMPELHERR.

Ich brenne vor Verlangen – Wer stürzt dort

  • Das nächste Mittel die Metapher des Brennens für Gefühlsintensität.

Aus Euerm Hause? Ists nicht ihre Daja?

NATHAN.

Ja wohl. So ängstlich?

TEMPELHERR.

Unsrer Recha ist

Doch nichts begegnet?

  • Ganz bewusst verwendet Tempelherr hier das sich in die Familie Nathans einbeziehende Possessivpronomen.
  • Interessant natürlich hier auch der harte Schnitt in die Anschluss-Szene, die Nathan letztlich zum Sultan und zur Ringparabel führt.

Zusammenfassung:

Insgesamt zeigt sich:

  1. Es gibt viele einfache, letztlich recht unauffällige Mittel wie
    1. Wiederholungen
    2. Parallelismen
    3. Wortspiele
    4. Das Spiel mit Gegensätzen
  2. Aus diesem Bereich heraus ragt sicher das Bild von harter Schale und weichem Kern.
  3. Viel wichtiger sind grundsätzliche Mittel, die Lessing hier einsetzt:
    1. Der Anfangsmonolog Nathans, der seine Veränderung der Sicht auf den Tempelherrn zeigt.
    2. Dann der Wechsel von kurzen Sätzen bzw. Satzfragmenten in der Konfliktphase hin zu längeren Ausführungen in der Verständigungsphase,
    3. Wobei häufig eine sentenzartige Sprache präsentiert wird, die die Feierlichkeit und das Grundsätzliche unterstreichen soll.
    4. Am interessantesten die Methode Nathan, die Gegenseite mit der eigenen maximal positiven Interpretation ihrer Position und ihres Sprachverhaltens gewissermaßen warmzuspülen.
      Nach dem Motto:
      „Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“
      https://www.bibleserver.com/de/verse/Matth%C3%A4us5,39
    5. Am überzeugendsten ist Nathans Hinweis, dass beide sich ihr Vaterland und damit auch die Religion nicht ausgesucht haben.

 

Anregung/Kritik

  • Die Frage ist, ob es nicht überzeugender wäre, wenn nicht so viel Raum für Gegensätze verwendet würde, sondern die Entwicklung von Distanz zu Nähe in mehr Schritten ausgestaltet worden wäre.
  • So hat man den Eindruck, dass Lessing hier den Figuren ein Verhalten aufzwingt, das zumindest beim Tempelherrn nicht genügend motiviert erscheint.
  • Letztlich merkt man doch, dass es ein Stück ist, dass auf Biegen  und Brechen sein aufklärerisches Ziel erreichen muss.

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