Lessing, „Nathan der Weise“ – Akt 1, Szene 2 –  leicht verständlich erklärt (Mat6305-1-2)

Worum es hier geht

Wir versuchen hier, ein Theaterstück aus dem 18. Jahrhundert so zu präsentieren,

  • dass man es leicht versteht, deshalb konzentrieren wir uns auf die wichtigsten Elemente und präsentieren sie in moderner Sprache (nicht im Original). Dies hat nur die Funktion, dass man versteht, worum es geht. Außerdem bekommt man so mit, wie sich das Geschehen entwickelt,
  • und trotzdem auch wichtige Stellen im Original aufnimmt – die bauen wir deshalb in unsere eigene Kurzfassung ein.

Auf der Seite
https://www.schnell-durchblicken2.de/lessing-nathan-lve-i-1

haben wir die erste Szene vorgestellt.

Jetzt geht es hier um die nachfolgenden Szenen des I. Aktes, die wir nacheinander aufnehmen.

Die Zeilenangaben sind ungefähre Angaben und sollen nur helfen, die entsprechende Textstelle leicht in der eigenen Ausgabe zu finden.

Hier zunächst ein Überblicks-Schaubild, auf das wir fortlaufend zurückgreifen.

Vorstellung der Szene 2 des ersten Aktes

Voraussetzungen:

  • Über Recha, ihre Rettung und ihr Schwärmen für den Retter ist bisher nur geredet worden.
  • Jetzt kommt sie dazu.
  • Als Zuschauer / Leser ist man gespannt, inwieweit sie dem entspricht, was Daja über sie gesagt hat.

Der dramatische Verlauf der Szene

  • V169ff: Recha zeigt ihre ganze Sehnsucht im Hinblick auf ihren Vater und ihren immer noch vorhandenen Schock, dass sie fast verbrannt wäre.
  • V202: Anschließend versucht Nathan, ihr die Vorstellung vom Engel zu nehmen und sie an die Realität heranzuführen:
    V218: „Der Wunder höchstes ist, / Dass uns die wahren, echten Wunder so /Alltäglich werden können, werden sollen.“
    228: Für Nathan ist es ein wirkliches Wunder, dass der Sultan Saladin einen Tempelherrn, also seinen Feind, verschont hat.
  • V237: Recha dreht das Argument um, indem sie feststellt: „Darum eben / War das kein Tempelherr; er schien es nur.“
  • V244: Nathan muss zugeben: „Sieh! Wie sinnreich!“ Was soviel heißt, wie: Nicht schlecht gekontert.
  • V245: Dann wendet Nathan sich hilfesuchend an Daja: Die verweist auf die besonderen Umstände der Begnadigung des Tempelherrn: „doch man sagt / Zugleich, dass Saladin den Tempelherrn / Begnadigt, weil er seiner Brüder einem / Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.“ Das schränkt sie dann aber ein: „Dass an der ganzen Sache wohl nichts ist.“
  • V256: Als Nathan das aber gar nicht für unglaublich, stellt Daja die Frage:
    288ff: „Was schadet’s – Nathan, wenn ich sprechen darf –
    Bei alledem, von einem Engel lieber
    Als einem Menschen sich gerettet denken?
    Fühlt man der ersten unbegreiflichen
    Ursache seiner Rettung nicht sich so
    Viel näher?
  • Darauf Nathan:
    Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf
    Von Eisen will mit einer silbern Zange
    Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst
    Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! –
    Und was es schadet, fragst du? was es schadet?
    Was hilft es? dürft‘ ich nur hinwieder fragen. –
    Denn dein ‚Sich Gott um so viel näher fühlen‘
    Ist Unsinn oder Gotteslästerung. –
  • Auf gut deutsch: Daja meint, es schade doch gar nicht, wenn man meint, seine Rettung einem Engel zu verdanken. Immerhin fühle man sich dann Gott als dem obersten Retter viel näher.
    Nathan dagegen hält das für Stolz und Selbstüberhebung und zeigt das am Beispiel eines Eisentopfes, der lieber ein Silbertopf wäre und deshalb zumindest mit einer silbernen Zange aus dem Feuer geholt werden will.
  • V302ff: Dann holt Nathan ein starkes Argument heraus: Außerdem habe ein Engel auch den Nachteil, dass man für ihn „große Dienste“ ja nun kaum tun kann.
  • V318: Daja muss hier zustimmen, verweist aber darauf, dass der Retter ja nichts haben wollte und schnell wie ein Engel verschwand.
  • V330: Das nutzt Nathan, um vor allem an das Mitgefühl Rechas zu appellieren. Lang und breit lässt er sich darüber aus, wie krank der Retter als Fremder im Land sein könnte.
  • V339: Das funktioniert bei Recha auch so gut, dass Daja eingreift:
  • V345: Daja: „Nathan, schonet ihrer“, d.h.: Macht der Recha doch nicht so einen Schmerz.
  • V360: Nathan aber bleibt auf seiner Linie und zeigt, worauf er hinaus will: „Begreifst du aber, / Wie viel andächtig schwärmen leichter, als / Gut handeln ist?“ Damit will er Recha ermuntern, weiter nach dem Retter zu forschen.
  • V365: Recha reagiert darauf mit der Überlegung, ob er nicht einfach einfach verreist sein könne. Damit ist sie von der Engel-Vorstellung schon weit weg und Nathan hat sein Ziel erreicht.
  • V369: Deshalb stimmt er dem auch zu. Das Gespräch endet dann aber, weil Nathan einen befreundeten einfachen muslimischen Mönch, einen Derwisch, auf sich zukommen sieht und die Frauen ins Haus schickt.

Auswertung: Die Szene zeigt,

  1. wie sehr Recha noch unter Schock steht und immer noch glaubt, von einem Engel gerettet worden zu sein,
  2. dass Nathan versucht, es ihr mit allerlei Argumenten auszureden,
  3. dass ihm das schließlich dadurch gelingt, dass er mögliche Notsituationen schildert, in die der Tempelherr gekommen sein könnte
  4. und darauf aufmerksam macht, dass diese Engel-Idee auch nur eine Überhöhung sein könnte, bei der man sich selbst wichtiger fühlt,
  5. dass nebenbei auch darüber gesprochen wird, dass der Tempelherr wegen seiner Ähnlichkeit mit dem toten Bruder des Sultans begnadigt wurde.
Schlüsselzitat 1
  1. 217: Nathan: „Der Wunder höchstes ist,
    Dass uns die wahren, echten Wunder so
    Alltäglich werden können, werden sollen.
    Ohn‘ dieses allgemeine Wunder, hätte
    Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je
    Genannt, was Kindern bloß so heißen musste,
    Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,
    Das Neuste nur verfolgen.“

    Erklärung:
    „Das größte Wunder ist, dass die echten Wunder für uns alltäglich werden. Deshalb haben kluge Leute bestimmt Dinge zu außergewöhnlichen Wundern erklärt, damit Kinder sie mehr ernst nehmen.“
Schlüsselzitat 2

293ff: Nathan.       Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf
Von Eisen will mit einer silbern Zange
Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst
Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! –
Und was es schadet, fragst du? was es schadet?
Was hilft es? dürft‘ ich nur hinwieder fragen. –
Denn dein ‚Sich Gott um so viel näher fühlen‘
Ist Unsinn oder Gotteslästerung. –
Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. –
Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das
Dich rettete, – es sei ein Engel oder
Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders,
Gern wieder viele große Dienste tun? –
Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste,
Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?Erklärung:
„Denk an einen Topf aus Eisen, der gerne mit einer silbernen Zange aus der Glut des Feuers geholt wird, nur um sich wie ein Topf aus Silber zu fühlen. Und was das schadet, fragst du? Denk lieber drüber nach, was es nützt. Denn deine Idee, sich bei einem Engel Gott näher zu fühlen, ist Unsinn oder sogar Gotteslästerung. Vor allem aber schadet es, denn was für Dienste könnt ihr für einen Engel tun?“

Schlüsselzitat 3

359ff: Nathan: Begreifst du aber,
Wieviel andächtig schwärmen leichter, als
Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch
Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zu Zeiten
Sich schon der Absicht deutlich nicht bewusst –
Um nur gut handeln nicht zu dürfen?Erklärung:
Begreifst du nicht, dass für etwas oder jemanden zu schwärmen viel leichter ist als etwas für ihn zu tun? So mancher schlaffe Mensch drückt sich vor der guten Tat, nur um nicht gut handeln zu müssen – auch wenn er es selbst gar nicht merkt.

Hier zunächst noch die Hörbuch-Variante unserer Vorstellung dieser Szene.

Darunter dann die Video-Dokumentation.

Das Video zu dieser Szene: 

https://youtu.be/vqdQDbDDc3U

Hörbuch-Szene wird noch nachgeliefert.

Video-Dokumentation wird auch noch nachgeliefert.

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