Lessing, „Nathan der Weise“ – Analysetipps zu Akt 2, Szene 5 (Mat6190)

Worum es hier geht:

Wir zeigen am Beispiel der 5. Szene des II. Aktes in Lessings Drama „Nathan der Weise“, wie man sie fachgerecht analysieren kann.

Hilfen zur Analyse: Voraussetzungen

Voraussetzungen:

  1. In dem fünften Auftritt des zweiten Aktes kommt es jetzt endlich zur Begegnung zwischen Nathan und dem Tempelherrn,
  2. In I,1 hat Nathan von der Rettung seiner Tochter durch den Tempelherrn erfahren,
  3. aber auch von seiner ablehnenden Haltung, sich von der Familie der Geretteten danken zu lassen.
  4. Zur ablehnenden Haltung ist bisher noch ein gewisses Maß an Aggressivität gekommen.
  5. Die hat vor allem Daja in I,6 erfahren.
  6. Dabei handelt es sich um eine sehr ausgeprägte Distanz, wenn nicht sogar Feindschaft gegenüber Juden.
  7. Die ist zum einen religiös geprägt, zum anderen auch durch das Vorurteil, dass Juden nur an Geld denken würden.
  8. Jetzt ist man gespannt als Zuschauer, was die direkte Konfrontation des christlichen Tempelherrn mit dem jüdischen Handelsherrn bringt.
  9. Zwischen der Zurückweisung Dajas in I,6 und direkten Begegnung in II,5 haben drei Szenen im Palast des Sultans gespielt und ein anderes Thema behandelt, nämlich die Finanzprobleme Saladins. Mittelfristig eine Gefahrt für Nathan stellt sicher der Plan dar, den die Schwester des Sultans entwickeln will, um an das Geld das reichen Juden zu kommen.
  10. Unmittelbar vorausgegangen ist die vierte Szene, in der noch einmal die Sehnsucht Rechas nach einer Begegnung mit ihrem Retter deutlich wird, aber auch Nathans kluge Überlegung, die beiden Frauen nicht direkt in eine mögliche Konfrontation mit ein zu beziehen.

Hilfen zur Analyse: Erläuterung des dramatischen Verlaufs

Erläuterung des dramatischen Verlaufs

  1. Gleich am Anfang der Szene wird deutlich, dass der Tempelherr Nathan beeindruckt. So heißt es gleich zu Beginn: „Fast scheue ich mich des Sonderlings. Fast macht / Mich seine raue Tugend stutzen“.
  2. Anschließend gibt es wieder eine sehr schwierige Gesprächsanbahnung, wie wir sie bereits aus 1,6 kennen, wo Daria versuchte, an den Tempelherrn heranzukommen.
  3. Ab etwa 1203 geht es dann zur Sache und Nathan muss wieder die gleiche Erfahrung machen wie auch schon Daja, dass der Tempelherr keinen Dank will. Ja es gibt sogar wiederum eine Beleidigung in 1219: „wenn’s auch nur das Leben einer Jüdin wäre.“
  4. Interessant ist dann aber ab 1220 die Reaktion von Nathan, denn er meint den Tempel Herrn besser zu verstehen als der sich selbst. Er stellt zwar fest: „Groß und abscheulich“, sagt dann aber: „Doch die Wendung lässt sich denken“ (= erklären ). „Die bescheidene Größe flüchtet sich hinter das Abscheuliche, um der Bewunderung auszuweichen.“ D.h. Nathan unterstellt dem Tempelherrn einfach, dass seine Aggressivität eine besondere Art von Bescheidenheit sei.
  5. Ab etwa 1228 geht es um die Frage, was Nathan tun könnte zum Dank. Auch hier kommt es gleich wieder zu einer Beleidigung in etwa 1232, wo der Tempelherr sagt: „der reichre Jude war mir nie der bessere Jude“.
  6. Dann allerdings verändert der Tempelherr zunehmend seine Meinung und sein Verhalten. In etwa 1236 ist er grundsätzlich bereit, sich bei Bedarf zu einem neuen Mantel verhelfen zu lassen.
  7. In 1240 nimmt er sein Gegenüber nicht nur wahr, sondern versucht auch, Nathan zu besänftigen: Seht nicht mit eins [= auf einmal] so finster“.
  8. Aber auch Nathan meint, Positives zu entdecken und zwar das Brandmal auf dem Mantel in 1248. Das erinnert ihn daran, dass der Tempelherr im entscheidenden Moment sich menschlicher verhalten hat, als er hier redet.
  9. In etwa 1255 zeigt sich dann auch der Tempelherr beeindruckt, indem er zu sich selbst sagt: „Bald aber fängt mich dieser Jud’ an zu verwirren.“
  10. In 1259 erkundigt er sich dann sogar nach dem Namen des Juden und das bedeutet schon ein gewisses Maß an Ehrerbietung. Er erkennt auch an, dass Nathan seine Worte sehr gut wählt, sogar sehr „spitz“. Damit meint er wohl: treffend. Und stellt für sich fest: „Ich bin betreten“. Und damit hat er etwa dieselbe Stufe erreicht wie Nathan am Anfang, als der sagte, dass er fast ein bisschen scheu dem Tempelherrn gegenüber trete.
  11. In 1269/70 erkennt der Tempelherr auch an, was Nathan von ihm vermutet, nämlich eine gewisse Rücksichtnahme auch auf Recha. „Ich muss gestehen, ihr wisst, wie Tempelherrn denken sollten.“
  12. Ab 1270 geht es dann um die Frage, ob es nicht in allen Gruppen von Menschen auch gute Menschen geben könnte.
  13. Das wird aber dann etwa um 1288 etwas vom Tempelherrn eingeschränkt, der nämlich den Juden vor wirft, sich als erste für ein auserwähltes Volk gehalten zu haben, was andere ja diskriminieren könnte.
  14. In circa 1296 merkt man wieder, wie der Tempelherr wahrnimmt, wie Nathan reagiert: „Ihr stutzt, dass ich ein Christ, ein Tempelherr, so rede?“
  15. Nachdem er noch kurz beklagt hat, dass man gerade in dieser ihrer Gegenwart in Jerusalem sich letztlich fast als Feinde gegenübersteht, will er gehen, das nutzt Nathan dann aber für einen mutigen Schritt: Etwa in 1304 sagt er: „Kommt, wir müssen, müssen Freunde sein.“ Er begründet das damit, dass schließlich sich ja niemand das eigene Volk ausgesucht hat und es nur darauf ankommt, dass man ein wahrer, anständiger Mensch ist.
  16. Erstaunlich schnell geht der Tempelherr darauf ein und stimme zu: „Nathan, ja, wir müssen, müssen Freunde werden.“ (1319)
  17. Den Schluss bildet dann schon die gemeinsame Sorge um Recha, als da Daja auf sie zugestürzt kommt.

Hilfen zur Analyse: Auswertung der Szene

Auswertung: Die Szene zeigt,

  1. dass Nathan von Anfang an Sympathien für diesen Tempelherrn hat,
  2. dass er sich auch von diesen Beleidigungen nicht abschrecken lässt,
  3. ja sie sogar positiv interpretiert.
  4. dass vom Tempelherrn nach und nach Zugeständnisse kommen,
  5. bis das schließlich dazu führt, dass Nathan am Ende dem Tempelherrn ein Freundschaftsangebot macht,
  6. das dieser auch annimmt.
  7. Anschließend beziehungsweise abschließend zeigen sie schon, dass sie gemeinsam Angst um Recha haben, als sie Daja auf sich zustürzen sehen.
  8. Insgesamt also eine völlige Veränderung, die wohl damit zusammen hängt, dass sie sich im Gespräch als gleichrangig begegnen und sich auf etwas Gemeinsames einigen können, nämlich das Menschsein, unabhängig von der jeweiligen Religion.

Weitere Infos, Tipps und Materialien

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