Interessante Frage: Gemeinsamkeiten und Unterschied der „Gesänge an Berlin“
Den Text des Gedichtes bzw. der Gedichte kann man u.a. hier finden.
Alfred Lichtenstein,
Gesänge an Berlin
- Damit ist schon mal klar, dass es sich um verschiedene „Gesänge“ handelt, insgesamt 3.
- Das macht die Frage natürlich interessant, inwiefern und inwieweit sich die Gesänge unterscheiden.
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Gesang 1
O du Berlin, du bunter Stein, du Biest.
Du wirfst mich mit Laternen wie mit Kletten.
Ach, wenn man nachts durch deine Lichter fließt
Den Weibern nach, den seidenen, den fetten.
- Die erste Strophe macht deutlich, wie unterschiedlich die Gefühle sind, die in der ersten Zeile geäußert werden.
- Die zweite Zeile macht dann deutlich, dass das lyrische Ich sich gefesselt fühlt.
- Man könnte prüfen, inwieweit der Begriff der Hassliebe hier eine Rolle spielt.
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So taumelnd wird man von den Augenspielen
Den Himmel süßt der kleine Mondbonbon.
Wenn schon die Tage auf die Türme fielen
Glüht noch der Kopf, ein roter Lampion.
- In der zweiten Strophe geht es vor allem um die Erfahrungsintensität des Lebens in Berlin.
- Eine Wertung findet hier nicht mehr statt.
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Gesang 2
Bald muss ich dich verlassen, mein Berlin.
Muss wieder in die öden Städte ziehn.
Bald werde ich auf fernen Hügeln sitzen.
In dicke Wälder deinen Namen ritzen.
Leb wohl, Berlin, mit deinen frechen Feuern.
- Hier wird klar, dass es eine positive Beziehung gibt: „mein Berlin“.
- Vor allem, wenn das lyrische Ich an die „öden“ Alternativen denkt.
- Deutlich wird auch, was an Berlin so geliebt wird, die Verbindung von Frechheit und Feuer.
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Lebt wohl, ihr Straßen voll von Abenteuern.
Wer hat wie ich von eurem Schmerz gewusst.
Kaschemmen, ihr, ich drück euch an die Brust.
- Hier geht es um die Lieblingsorte des lyrischen Ichs in Berlin.
- Es gibt sogar eine erstaunliche Beziehung. Wahrscheinlich ist gemeint, dass all das, was in den Kaschemmen an Schmerzen gelassen worden ist, diese gewissermaßen zu einem Partner gemacht hat.
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Gesang 3
In Wiesen und in frommen Winden mögen
Friedliche heitre Menschen selig gleiten.
Wir aber, morsch und längst vergiftet, lögen
Uns selbst was vor beim In-die-Himmel-Schreiten.
- Hier wird der Gegensatz zwischen zwei Welten auf den Punkt gebracht
- und vor allem auf die Menschen bezogen.
- Das lyrische Ich bekennt sich zu all dem, was normalerweise als verworfen, verrucht angesehen wird.
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In fremden Städten treib ich ohne Ruder.
Hohl sind die fremden Tage und wie Kreide.
Du, mein Berlin, du Opiumrausch, du Luder.
Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide.
- Am Ende geht es um die Orientierungslosigkeit in den „fremden Städten“.
- Berlin gibt ihm also offensichtlich Orientierung und Substanz.
- Noch einmal wird sein Berlin mit zwei extremen Begriffen charakterisiert: „Opiumrausch“ und „Luder“.
- Am Ende dann eine Anspielung auf ein klassisches Werk, auf Goethes „Tasso“:
https://www.gutzitiert.de/zitat_autor_johann_wolfgang_von_goethe_thema_dichter_zitat_6198.html
Verhältnis der drei Gesänge?
- Zunächst geht es um ein ambivalentes Verhältnis und um das Gefühl des Gefesseltseins.
- Im zweiten Gesang wird dem lyrischen Ich dann bewusst, was für traurige Alternativen andere (naturnähere?) Städte nur zu bieten haben.
- In der dritten Strophe dann eine deutliche Abgrenzung von all dem scheinbar Guten, Edlen und Schönen, was dort zu finden ist und ein klares antiklassisches Bekenntnis zum „Opiumrausch“ und zum „Luder“-Leben.
Insgesamt ein erstaunlich positives Großstadtgedicht aus der Zeit des Expressionismus.
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