Max Frisch, „Andorra“ als Schullektüre – Pro und Contra (Mat2420)

Worum es hier geht:

Sorgfältig geprüft und erörtert werden soll die Frage, inwiefern und inwieweit Max Frisch, „Andorra“ als Schullektüre geeignet ist.

  1. Wie immer zeigen wir mit dieser Nummerierung, wie man eine Argumentation aufbauen kann.
    Einleitung: Max Frischs Theaterstück ist eine beliebte Schullektüre.
  2. Meist wird sie ausgewählt, um Schülern die Problematik von Antisemitismus, Rassismus oder Vorurteilen klarzumachen.
  3. Das ist auch grundsätzlich gut.
  4. Allerdings wird es problematisch, wenn man das Stück nur als Mittel gegen Antisemitismus lesen lassen will.
  5. Denn zum einen müsste man erst mal prüfen, inwieweit das ein Problem in der Klasse oder im Kurs ist. Es macht nicht viel Sinn, jemanden gegen eine Krankheit zu impfen, die bei ihm keine Rolle spielt.
  6. Außerdem ist Frischs Stück ein Parabelstück, d.h. es zeigt an einer Beispielgeschichte etwas, was man dann auf andere, vergleichbare Fälle übertragen kann und auch sollte. Denn sonst wird Literatur zu einem recht einseitigen Lehrstück, was bei einer Parabel dem Text nicht gerecht wird.
  7. Darum lassen wir mal alle Vorurteile (im Sinne von Vor-Einstellungen) gegenüber dem Stück weg und versuchen – frei nach Kant – selbst zu denken und den Text erst mal für sich zu nehmen.
  8. Dann wird Folgendes deutlich:
    1. Das Stück zeigt, dass es Gefahren von außen gegen kann, die sich gegen bestimmte Personen oder Personengruppen richten kann.
    2. Bei der Verfolgung der Tutsi in Ruanda
      https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkermord_in_Ruanda
      war das zum Beispiel die Bevölkerungsgruppe der Tutsi-Minderheit.
      Es gab Kräfte in der Regierung und in den bewaffneten Kräften, die gegen sie vorgehen wollten, was sie auch taten. Nach der Wikipedia gehen die niedrigsten Schätzungen von 500.000 Toten aus.
  9. Hier haben wir also einen typischen Fall, der die Erkenntnis erleichtert, weil man sich erst mal mit einem anderen Fall beschäftigt, dort zu Einsichten kommt, die man dann übertragen kann.
  10. Von daher ist es sicher hilfreich, zu diesem Völkermord ein Referat machen zu lassen.
  11. Es kann auch reichen, sich den Film „Hotel Ruanda“ anzuschauen
    https://de.wikipedia.org/wiki/Hotel_Ruanda
    Da bekommt man einen Eindruck, wozu Vorurteile und Massenwahn, verbunden mit Terror fähig sind.
  12. Damit sind wir auch schon bei einem großen Unterschied:
    Die Andorraner haben Angst und reagieren entsprechend. Aber es steht keiner mit der Machete vor ihnen und fordert sie zum Töten auf: Du machst das – oder du stirbst selbst.
  13. Hier wird deutlich, welche große Rolle Angst in dem Theaterstück spielt – und eine Art vorauseilender Gehorsam.
  14. Nirgendwo ist die Rede davon, dass man sich gegen die Schwarzen auch wehren kann. Auch eine interessante Frage, inwieweit ein Verteidigungskrieg notwendig sein kann.
  15. Dann ist da aber noch was ganz anderes:
    Andri ist überhaupt kein Jude – setzt sich aber auf selbstquälerische Weise mit den Vorurteilen gegenüber diesen Menschen auseinander – nimmt sie dabei immer mehr an.
  16. Und dann ist da der Lehrer, der eine ganz persönliche Sache, nämlich ein Kind, das er in die Welt gesetzt hat, für sich als Problem aus der Welt schafft, indem er einfach Vorurteile nutzt.
  17. In diesem Falle ist es das Vor-Urteil, dass es etwas besonders Wertvolles ist, einen real oder angeblich bedrohten Menschen zu schützen.
  18. Das ist sicher edel, aber nicht als Lüge, die schließlich einen Menschen in eine Rolle zwängt, ihn damit innerlich kaputtmacht und damit schließlich damit noch zum Tode verurteilt.
  19. Fazit:
    1. „Andorra“ ist ein sehr lesenswertes Stück.
    2. Man muss es aber ohne Vor-Einstellungen lesen.
    3. Am besten klärt man erst mal, wie die Einstellung in der Klasse gegenüber Juden ist. Dann weiß man, was da aufgearbeitet werden muss und was nicht.
    4. Vor allem hat man dann die Chance einer authentischen Gesprächsatmosphäre, in der über alles offen gesprochen werden kann. Und nur das wird letztlich innerlich übernommen.
    5. Dann kann man sich auch mit der Frage eines Schülers sachlich auseinandersetzen: Gibt es nicht auch in unserer Gesellschaft Menschen, die ein Etikett aufgeklebt bekommen, ohne mit ihnen zu sprechen?
    6. Das könnte im „Kampf gegen rechts“ sogar eine bessere Strategie sein, indem man sich erst mal klar macht, was wirklich rechts ist und ob die Menschen, denen das aufgedrückt wird, das wirklich sind.
    7. Und wenn man am Ende weiß, welche Menschen gefährlich sind, welche sich überzeugen lassen und welche einfach nur falsch verdächtigt worden sind, sieht die Welt vielleicht besser aus und man kann sich mit dem harten Kern der Probleme unserer Zeit ehrlicher und effektiver beschäftigen.
  20. Und abschließend noch etwas zum Thema Schule: Eine solche differenzierte Beschäftigung mit dem Theaterstück hilft vielleicht sogar ganz nebenbei noch gegen Mobbing. Denn das wäre doch eine spannend Frage, inwieweit Andri Opfer von Mobbing wird und was man dagegen hätte tun können.

Weitere Infos, Tipps und Materialien