Worum es hier geht:
- Max Frischs „Stück in zwölf Bildern“ zeigt am Beispiel eines jungen Mannes und eines fiktiven Kleinstaates die verhängnisvollen Mechanismen kollektiver Vorurteile.
- Zu Recht hat das Stück deshalb auch seinen Platz im Deutschunterricht der späten Sekundarstufe I erobert.
- Mit dieser Seite wollen wir den Einstieg in das Werk erleichtern,
- indem wir eine knappe Übersicht über Inhalt und Aufbau präsentieren
- und diese mit einer Auflistung kommentierter Schlüsselzitate verbinden.
- Auf deren Bedeutung werden wir auch eingehen.
- Zunächst eine Kurzübersicht, gut zum Ausdrucken –
- Dann eine ausführliche Vorstellung der einzelnen Szenen.
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8-23: Erstes Bild
Ebene 1: Barblin und der Soldat Peider
07ff Barblin weißelt am Vorabend des Sanktgeorgtages die Mauer ihres andorranischen Hauses und wird dabei vom Soldaten Peider beobachtet. Um seinen Nachstellungen zu entgehen, bringt sie ihren Verlobten ins Spiel. Vergeblich versucht der Soldat, Näheres über ihn zu erfahren.
- Anmerkung: Das Weißeln, d.h. das Bestreichen der Mauer mit weißer Farbe, steht hier sinnbildlich für Reinheit bzw. Unschuld, wie sich im Verlauf der ersten Szene herausstellt. Vor allem ist es natürlich ein Gegenpol zu den „Schwarzen“, die im Verlauf des Stücks Andorra erobern.
- Anmerkung: Beim Sanktgeorgstag handelt es sich um einen Festtag der christlichen Kirche, bei dem des heiligen Georg gedacht wird (23. April). Ursprünglich handelte es sich bei dem Heiligen „nur“ um einen Märtyrer, seit dem 12. Jahrhundert gilt er auch als Drachentöter. Offensichtlich ist der heilige Georg so etwas wie ein Nationalheiliger der Andorraner.
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Ebene 2: Andri und der Tischler
08ff Parallel zum Gespräch zwischen Barblin und dem Soldaten erscheint im Vordergrund der Küchenjunge Andri, der vom Tischler ein Trinkgeld bekommt und dieses sofort in einen Musikautomaten wirft.
- Anmerkung: Orchestrion: eineim 19. Jahrhundert erfundene Musikmaschine mit Flöten, Schlagzeugelementen u.ä., eine Vorform der späteren Musikboxen
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Ebene 3: Barblin und der Pater – Gespräch über die Andorra drohende Gefahr
- 09ff Bei Barblin erscheint als nächstes der Pater – sie sprechen über die von den Schwarzen im Nachbarland drohende Gefahr.
- Außerdem geht es um Barblins Vater, den Lehrer, der in der letzten Zeit zu viel trinkt.
- An einer Stelle deutet der Pater auch bereits an, dass Andri sich bedroht fühlt: „Kein Mensch verfolgt euren Andri […] – noch hat man eurem Andri kein Haar gekrümmt.“ (10)
Anmerkung: Interessant, weil wenig beruhigend, ist hier das „noch“. - Angesprochen werden auch Verfolgungen, die im Land der Schwarzen stattgefunden haben. Barblin spricht auch ganz konkret die Gerüchte an, die sich auf Juden beziehen:
„Wenn einmal die Schwarzen kommen, dann wird jeder, der Jud ist, auf der Stelle geholt. Man bindet ihn an einen Pfahl, sagen sie, man schießt ihn ins Genick. Ist das wahr oder ist das ein Gerücht? Und wenn er eine Braut hat, die wird geschoren, sagen sie, wie ein räudiger Hund.“ (12)
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Ebene 4: Verhandlung des Lehrers mit dem Tischler um eine Lehrstelle für Andri
- 13ff In einem nächsten Schritt der Exposition verhandelt der Lehrer Can mit dem Tischler Prader wegen einer Lehrstelle für seinen Pflegesohn Andri.
- Er soll dafür 50 Pfund bezahlen, was ihm nicht leicht fällt.
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Ebene 5: Der Lehrer im Gespräch mit dem Wirt: Grundstücksverkauf und der Pfahl
- 15ff: Der Wirt spricht den Lehrer auf seinen Konflikt mit dem Tischler an.
- Sie sprechen über einen neu aufgestellten Pfahl, der den Lehrer beunruhigt, während der Wirt versucht, harmlose Erklärungen für ihn zu finden.
- Nach einer kurzen Pause erscheint der Wirt wieder und bietet dem Lehrer die benötigten 50 Pfund gegen ein entsprechendes Stück Land.
- Der Lehrer macht deutlich, dass ein Vorurteil gegenüber Juden eigentlich ein Urteil über die Andorraner ist:
„Die Andorraner sind gemütliche Leut, aber wenn es ums Geld geht, dann sind sie wie der Jud.“ (17)
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Ebene 6: Barblin und ihr Vater, der Lehrer, im Hintergrund die Prozession
- 17 Barblin erscheint und kritisiert ihren Vater, weil er schon wieder trinkt.
- 18 Im Hintergrund erscheint eine Prozession, die den Lehrer in die Kneipe vertreibt, während alle anderen niederknien.
- Andri erscheint und macht deutlich, wie sehr er sich darüber freut, Tischler werden zu dürfen.
- Außerdem kündigt er an, Barblin zu heiraten.
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Ebene 7: Rauswurf des Soldaten, der sich mit Andri streitet
- 19 Der Soldat wird vom Wirt an die Luft gesetzt.
- 19ff Zwischen ihm und Andri kommt es zu Auseinandersetzungen – dabei macht der Soldat noch einmal deutlich, dass er es auf Barblin abgesehen hat.
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Allgemeine Anmerkungen zum 1. Bild
- Frischs Stück „Andorra“ präsentiert gleich im 1. Bild ein sehr gutes Beispiel für eine so genannte „Exposition“, d.h. die Entwicklung der Ausgangssituation – nicht durch einen Erzähler, sondern in Gespräch und Handlung.
- Es ist sicher eine sehr reizvolle Aufgabe, genau diese Expositionselemente herauszuarbeiten, indem man Schritt für Schritt prüft, was der Zuschauer/Leser/ über die Voraussetzungen der eigentlichen Handlung erfährt.
- Hingewiesen werden soll an dieser Stelle auch noch auf den Ringschluss des 1. Bildes: Es beginnt mit dem Bemühen des Soldaten um Barblin und es endet mit seiner Bereitschaft, sie auch mit Gewalt zu nehmen, wenn er sie anders nicht kriegen kann.
Vordergrund Nr. 1: Wirt
- 24 In der ersten Vordergrund-Szene erscheint der Wirt und gibt zu, dass er und die anderen Andorraner sich in Andri getäuscht haben:
- Deutlich wird, als was der Lehrer seinen eigenen Sohn ausgegeben hat, als ein Judenkind, das er vor den Schwarzen gerettet hat.
- Von Schuld oder Verantwortung will der Wirt nichts wissen.
25-28 Zweites Bild
25-28: Zweites Bild
- 25 Andri und Barblin auf der Schwelle ihres Zimmers: Während Barblin einfach nur mit ihrem Freund zusammen sein und Zärtlichkeiten austauschen will, denkt Andri immerzu über seine Situation nach und will wissen, ob er wirklich anders ist als die anderen. Barblin reagiert auf diese selbstquälerischen Fragen schon genervt: „Fang jetzt nicht wieder an!“ (25) oder „Andri, du denkst zuviel!“ (25)
- 26 Ein weiteres wichtiges Thema für Andri ist sein Verhältnis zu seinem vermeintlichen Pflegevater, dem Lehrer: „Er hat mich gerettet, er fände es sehr undankbar von mir, wenn ich seine Tochter verführte. Ich lache, aber es ist nicht zum Lachen, wenn man den Menschen immerfort dankbar sein muss, dass man lebt.“ (26)
- 27 Barblin wiederum möchte, dass Andri möglichst nur an sie denkt und stolz darauf ist, dass sie ihn liebt „vor allen andern.“ (27)
- 27/28: Trotz aller gegenseitigen Bemühungen können die beiden sich nicht auf sich und ihre Beziehung konzentrieren – vor allem Andri muss immer wieder an sein Verhältnis zu den anderen denken: „Sie haben mir wieder das Bein gestellt.“ (27) „Das ist kein Aberglaube, o nein, das gibt’s, Menschen, die verflucht sind, und man kann machen mit ihnen, was man will, ihr Blick genügt, plötzlich bist du so, wie sie sagen. Das ist das Böse. Alle haben es in sich, keiner will es haben, und wo soll das hin? In die Luft? Es ist in der Luft, aber da bleibt’s nicht lang, es muss in einen Menschen hinein, damit sie’s eines Tages packen und töten können …“ (28)
- 28 Der letzte Gesprächspunkt zwischen Andri und Barblin ist dann bezeichnenderweise wieder der Soldat Peider, der Andris Freundin nachstellt.
Vordergrund Nr. 2: Der Tischler
Vordergrund [2]: Der Tischler
29 In der zweiten Vordergrund-Szene tritt der Tischler an die Zeugenschranke. Auch er will von Schuld nichts wissen, bekräftigt noch einmal seine Vorurteile gegenüber Andri: „Niemand hat wissen können, dass er keiner [Gemeint ist: kein Jude] ist.“ Ja, der Tischler geht sogar so weit zu behaupten, er habe es ja eigentlich gut gemeint mit Andri.
3. Bild
30-35: Drittes Bild
- 30 Andri befindet sich mit dem Gesellen in der Tischlerei und spricht mit diesem über seine Aufnahme in die Fußballmannschaft; der Geselle ist aber vor allem am Verkauf seiner alten Fußballschuhe und weiterer Utensilien interessiert, verhält sich also genau so geschäftstüchtig und vorwiegend an Geld interessiert, wie man es den Juden vorwirft.
- 30/31 Außerdem schnorrt er Zigaretten bei Andri und zündet sich eine an. Dem entsprechenden Verbot (in einer Tischlerei zu rauchen) begegnet er mit arroganten Sprüchen, die im Gegensatz zu seinem späteren feigen Verhalten stehen. Auch hier merkt man, dass dieser Geselle viele Klischees erfüllt, die Andri vergeblich bei sich sucht.
- 31 Hauptthema ist die Lehrlingsprobe, bei der Andri einen gut gemachten und vor allem haltbaren Stuhl vorweisen muss. Es stellt sich schnell heraus, dass er sowohl die Theorie als auch die Praxis sehr gut beherrscht.
- 31 Der Tischlermeister selbst scheint demgegenüber aber gar nicht so gut in seinem Fach zu sein, denn sein Eintritt in die Szene beginnt mit einer ziemlich dreisten Abwehr einer Kundenreklamation – viel spricht dafür, dass es sich dabei um einen Stuhl handelt, den der Geselle – entgegen den Vorschriften – nur geleimt, aber nicht verzapft hat.
- 32/33 Wider besseres Wissen nimmt der Tischlermeister bei der Lehrlingsprobe den vom Gesellen gemachten schlechten Stuhl und reißt ihm die Beine aus – es wird überdeutlich, dass er sich seine Vorurteile nur bestätigen lassen will: „Tischler werden ist nicht einfach, wenn’s einer nicht im Blut hat.“ (32) Schon richtig peinlich wird es, wenn er dann von „andorranischer Eiche“ spricht, obwohl es sich um Buche handelt, worauf Andri ihn hinweist. Dieser scheint wirklich sehr große Kenntnisse zu haben, was Holz- und Holzverarbeitung angeht.
- 33 Als Andri protestierend darauf hinweist, dass es sich bei dem schlechten nicht um seinen Stuhl handelte, wird der Geselle herbeigerufen, der sich allerdings herauswinden kann, indem er nur allgemeine Sprüche loslässt – der Tischlermeister scheint allerdings auch gar nicht an der Wahrheit interessiert zu sein.
- 34 Schließlich platzt Andri der Kragen und – überhaupt nicht feige – stellt er seinen Meister zur Rede, sagt ihm deutlich, was abgelaufen ist: „Sie machen sich nichts aus Beweisen [… ] Ich kann tun, was ich will, ihr dreht es immer gegen mich [… ]“ (34)
- 35 Der Tischlermeister zeigt ein überaus dickes Fell und sagt dazu nur: „Schnorr nicht soviel.“ (35) Er tut also die Kritik als inhaltsleere Rederei ab. Daraufhin wird Andri erstmals auch persönlich ausfallend und vergleicht seinen Meister mit einer Kröte, was offensichtlich bei den heimlich zuhörenden Gesellen gut ankommt. Der Meister geht aber auch darauf gar nicht ein (er zeigt also nicht viel Ehrgefühl), sondern verfolgt nur weiter sein geschäftliches Interesse – und nach dem soll Andri lieber Aufträge hereinholen – und dafür soll er auch gut bezahlt werden: „Das ist’s, was deinesgleichen im Blut hat, glaub mir, und jedermann soll tun, was er im Blut hat. Du kannst Geld verdienen, Andri, Geld, viel Geld…“ (25) Hier ist die Satire überdeutlich, denn was der Meister Andri zuschreibt, gilt für ihn selbst.
- 35 Am Ende wird das Problem dieser Szene noch einmal auf den Punkt gebracht – Andri macht ganz klar, was ihm „im Blute liegt“, wenn man dieses Bild überhaupt verwenden will: „Ich wollte aber Tischler werden…“
Vordergrund Nr. 3: Der Geselle
Vordergrund [3]: Der Geselle
36 Jetzt kommt der Geselle an der Zeugenschranke zu Wort: Er zeigt eine gewisse Einsicht, was die Verwechslung der Stühle angeht, schiebt aber letztlich Andri die Schuld in die Schuhe, dass es nicht zu einer Klarstellung gekommen ist. Schuld am tragischen Ausgang des Schicksals Andris weist er wie die anderen weit von sich.
4. Bild
37-48: Viertes Bild
- 37 Andri wird im Haus des Lehrers vom neuen Amtsarzt untersucht – offensichtlich auf Betreiben der Mutter, obwohl ihm eigentlich nichts fehlt. Der Doktor weiß noch nichts von Andris Schicksal und ist sehr von ihm angetan: „Du bist ein strammer Bursch, das seh ich…“ (37).
- 37/38: Der Doktor erzählt Andri vom Vorleben des Lehrers, früher sehr massiv für die Wahrheit eingetreten ist – im übrigen als „Teufelskerl“ galt, der bei Frauen gut ankam.
- 38/39: Der Doktor schwärmt von Andorra, in das er nach 20 Jahren zurückgekehrt ist.
- 39/40: Bei ihm werden aber auch Nationalismus und sogar Rassismus deutlich, wenn er über die Juden schimpft, die sich mit ihrem Ehrgeiz angeblich überall einnisten und seinesgleichen die Berufschancen wegnehmen. Nach dieser Tirade geht Andri einfach, ohne die angebotenen Pillen zu nehmen.
- 41ff Die Mutter kritisiert daraufhin den Doktor, noch ärgerlicher ist der Lehrer, der gerade nach Hause kommt und den Arzt ziemlich unsanft vor die Tür setzt.
- 42ff Andri kehrt mit Barblin zurück und bekommt gleich eine Rede des Lehrers über seine Rolle als Pflegevater zu hören. Er verlangt von Andri, dass er sich mit dem Wort Jude nicht mehr beschäftigt. Als Andri erklärt, dass er Barblin heiraten wolle, ist der Lehrer entsetzt, verbietet es, allerdings ohne dafür eine überzeugende Erklärung zu geben. Er betont nur immer wieder: „…das geht nicht.“ (46) Daraufhin verlässt Barblin weinend das Haus.
- 46ff Die Mutter, die die Wahrheit, nämlich, dass Andri ja der wirkliche Sohn des Lehrers und damit ein Halbbruder Barblins ist, nicht kennt, setzt sich für die jungen Leute ein, allerdings vergeblich. Andri vermutet daraufhin, dass er als Jude Barblin nicht bekommen soll. Der Lehrer verlässt schließlich wieder entnervt das Haus: „Jetzt trinkt er wieder bis Mitternacht…“ (48) bemerkt die Mutter. Am Ende steht ihre Interpretation der Situation: „Jetzt sind wir auseinander.“
- Vordergrund fehlt hier.
5. Bild
49/50: Fünftes Bild
- 49 Der Lehrer sitzt vor der Kneipe und denkt über Andri nach – ihm ist klar, dass er seine Lüge (Andri sei ein von ihm gerettetes fremdes Judenkind) nicht mehr los wird, auch wenn er sich vornimmt: „Einmal wird ich die Wahrheit sagen…“ (49).
- 49/50 Der Jemand kommt hinzu und spricht von der zunehmenden Bedrohung durch die Schwarzen – der Lehrer entzieht sich dem, indem er in die Kneipe hinein verschwindet.
- Vordergrund fehlt hier.
6. Bild
51-57: Sechstes Bild
- 51 Andri schläft vor dem Zimmer Barblins; über ihn hinweg steigt der Soldat in ihr Zimmer.
- 51/2 Während es dort zu einer Vergewaltigung kommt, spricht Andri durch die Tür ins Zimmer. Er hat sich zu einem Plan und zum Hass entschlossen und fühlt sich scheinbar sehr wohl dabei: „Je gemeiner sie sind wider mich, um so wohler fühle ich mich in meinem Hass. Und um so sichrer. Hass macht Pläne. Ich freue mich jetzt von Tag zu Tag, weil ich einen Plan habe, und niemand weiß davon […] Ich liebe einen einzigen Menschen, und das ist genug.“ (52)
- 52/3 Andri spart und will mit Barblin in eine bessere Welt fliehen.
- 53ff Es erscheint der Lehrer, der mit Andri über seine wirkliche Herkunft sprechen will. Da er aber wieder ziemlich betrunken ist, kommt er mit seinem Geständnis nicht an. Darüber hinaus wird deutlich, wie enttäuscht Andri von seinem „Pflegevater“ ist: „Ich habe dich verehrt. Nicht weil du mein Leben gerettet hast, sondern weil ich glaubte, du bist nicht wie alle, du denkst nicht ihre Gedanken, du hast Mut. Ich hab mich verlassen auf dich. Und dann hat es sich gezeigt, und jetzt schau ich dich an.“ (55)
- 56/7: Nachdem der Lehrer gegangen ist, muss Andri feststellen, dass der Soldat in Barblins Kammer war – zur realen Demütigung durch Peider kommt noch die verbale: „Verschwinde, du, oder ich mach dich zur Sau.“
Vordergrund Nr. 4: Der Soldat
Vordergrund [4]: Der Soldat
- 58 Der Soldat tritt jetzt in Zivil auf, auch er verweist auf seine Unwissenheit, deutet aber im Gegensatz zu den anderen an, dass er auch jetzt noch nicht daran glaubt, dass Andri kein Jude ist. Im Übrigen beruft er sich auf seine Befehle: „Order ist Order.“ (58)
7. Bild
- 59ff: Andri ist beim Pater. Das Gespräch findet auf Bitte der Mutter statt.
- Es geht um die Frage, inwieweit Andri etwas Besonderes ist.
- 60: Das verschiebt sich dann hin zur Frage des Jude-Seins bzw. des Sich-als-Jude-Fühlens.
- 61ff Andri dagegen will gerade nicht anders sein und zum Beispiel seinen Konflikt lieber mit dem Soldaten in einer Prügelei austragen.
- 62ff Im Laufe des Gesprächs wird der Pater ungehalten: „Ich habe dir gesagt, Andri, als Christ, dass ich dich liebe – aber eine Unart, das muss ich leider schon sagen, habt ihr alle: Was immer euch widerfährt in diesem Leben, alles und jedes bezieht ihr nur darauf, dass ihr Jud seid. Ihr macht es einem wirklich nicht leid mit eurer Überempfindlichkeit.“ (62/63).
- 63 Nach dieser Attacke bricht Andri zusammen und denkt dabei erkennbar vor allem an Barblin. Am meisten tut ihm weh, dass er von niemandem, eben auch nicht von seiner Freundin, geliebt wird – und damit meint er sicher vor allem: angenommen. Der Pater fordert daraufhin von ihm, dass er sich vor allem erst einmal selbst lieben, also annehmen müsse. In diesem Zusammenhang hebt er Andris vermeintliche besondere Gaben noch einmal hervor: „Warum willst du sein wie die andern? Du bist gescheiter als sie, glaub mir, du bist wacher. Wieso willst du’s nicht wahrhaben? ‚s ist ein funke in dir. Warum spielst du Fußball wie diese Blödiane alle und brüllst auf der Wiese herum, bloß um ein Andorraner zu sein […] Du denkst. Warum soll’s nicht auch Geschöpfe geben, die mehr Verstand haben als Gefühl? Ich sage: Gerade dafür bewundere ich euch.“ (63/64)
- 64 Der Pater verlangt von Andri, Mut gerade dadurch zu beweisen, dass er sein Anderssein annimmt.
Vordergrund Nr. 5: Der Pater
Vordergrund [5]: Der Pater
65 Im Gegensatz zu allen anderen erkennt der Pater seine Schuld und führt sie auf einen Verstoß gegen ein biblisches Verbot zurück: „Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott, deinem Herrn, und nicht von den Menschen, die seine Geschöpfe sind.“ (65)
8. Bild
66-76: Achtes Bild
- 66ff Der Doktor, der Wirt, der Tischler, der Soldat, der Geselle sowie der Jemand unterhalten sich vor dem Wirtshaus über die Senora, eine Frau aus dem Land der Schwarzen, die zu Besuch gekommen ist. Zugleich diskutieren sie die Größe der Gefahr, die vom Nachbarland ausgeht: Während der Soldat so tut, als könnten sie sich militärisch gegen eine Übermacht verteidigen, betont der Doktor vor allem die „Unschuld“ des Landes: „Sie werden es nicht wagen [… ] Unsere Waffe ist unsere Unschuld [… ] Das Einzige, was Andorra widerfahren könnte, wäre ein Unrecht, ein krasses und offenes Unrecht. Und das werden sie nicht wagen. Morgen sowenig wie gestern. Weil die ganze Welt uns verteidigen würde. Schlagartig. Weil das ganze Weltgewissen auf unsrer Seite ist.“ (70)
- 70 Während der Rede des Doktors hetzt der Soldat wieder gegen Andri, was der These von der Unschuld der Andorraner und von Andorra als „Hort des Friedens und der Freiheit und der Menschenrechte“ (68) einen satirischen Unterton gibt.
- 71 In die gleiche Richtung geht ein Zornesausbruch des Soldaten gegenüber der angereisten Senora, der zu einem Tritt gegen ihre Koffer führt. Zwar wird er kritisiert, aber nur, weil man den Nachbarn keinen Vorwand geben will für eine Intervention.
- 71ff Die Senora tritt dann selbst auf, will nur ein Glas frisches Wasser, lobt das Zimmer, verhält sich also gesittet im Vergleich zu den Andorranern, die Anstand und Sitte nur behaupten bzw. als Mittel einsetzen.
- 73ff Der unterschwellige Konflikt zwischen Andri und dem Soldaten kommt zum Ausbruch: Das scheinbare Judenkind nimmt eine neue Provokation des Soldaten zum Anlass, um sich zu wehren, was eine Prügelei auflöst, die schließlich, nachdem alle über Andri hergefallen sind, von der Senora beendet wird. Sie versorgt Andri und lässt sich zu seinem Vater führen.
- 76: Der zurückbleibende Doktor kommentiert die „peinliche Sache“ (76) mit den Worten: „Ich hab nichts wider dieses Volk, aber ich fühle mich nicht wohl, wenn ich einen von ihnen sehe. Wie man sich verhält, ist’s falsch. Was habe ich denn gesagt? Sie können’s nicht lassen, immer verlangen sie, dass unsereiner sich an ihnen bewährt. Als hätten wir nichts andres zu tun! Niemand hat gern ein schlechtes Gewissen, aber darauf legen sie’s an. Sie wollen, dass man ihnen ein Unrecht tut. Sie warten nur darauf …“ (76)
- 76 Bezeichnend ist auch die schlussendliche Lösung des Problems aus der Sicht des Doktors: „Waschen Sie das bisschen Blut weg. Und schwatzen Sie nicht immer soviel in der Welt herum! Sie brauchen nicht jedermann zu sagen, was Sie mit eignen Augen gesehen haben.“
Vordergrund Nr. 6: Der Lehrer und die Senora
Vordergrund [6]: Der Lehrer und die Senora
77 Erstmals ist eine Vordergrund-Szene nicht der nachträglichen Bewältigung gewidmet, sondern offensichtlich Teil des dramatischen Geschehens selbst: Der Lehrer und die Senora befinden sich vor dem weißen Haus, sie stellt ihn zur Rede wegen seiner Lüge, was ihr gemeinsames Kind angeht. Der Leser/Zuschauer erfährt u.a., dass die Senora schon früher per Brief Aufklärung von ihrem Ex-Geliebten wollte, was die Judenrettungsgeschichte angeht, die auch in ihrem Land erzählt wurde. Der Lehrer schweigt nur dazu, bringt allenfalls ein genervtes „Warum, warum, warum!“ (77) hervor.
77/78 Deutlich wird auch, dass nicht nur der Lehrer feige war, sondern auch die Senora, die sich nicht zu dem gemeinsamen Kind bekennen wollte, angesichts der Spannungen zwischen ihren Leuten und den Andorranern.
78 Die Senora nennt auch ein weiteres mögliches Motiv des Lehrers, nämlich der Welt zu zeigen, dass die Andorraner bessere Menschen sind als ihre schwarzen Nachbarn – was aber offensichtlich nicht stimmt, worauf die Senora hinweist.
78 Der Lehrer verspricht am Ende, die Wahrheit zu sagen, zögert aber dann doch wieder: „Und wenn sie die Wahrheit nicht wollen?“ (78)
9. Bild
79-88: Neuntes Bild
- 79ff In der Stube beim Lehrer bereitet sich die Senora auf die Abreise vor, da man „also nicht wünscht, dass ich es dir sage, Andri, weswegen ich gekommen bin.“ (79). Andri versteht die Andeutungen der Senora nicht. Diese zögert erkennbar ihren Weggang hinaus und erzählt ihrem Sohn dabei ihre Lebensgeschichte: „Als ich in deinem Alter war […] Wir wollten eine andere Welt […] Und wir wagten sie auch. Wir wollten keine Angst haben vor den Leuten. Um nichts in der Welt. Wir wollten nicht lügen. Als wir sahen, dass wir die Angst nur verschwiegen, hassten wir einander. Unsere andere Welt dauerte nicht lang. Wir kehrten über die Grenze zurück, wo wir herkamen, als wir jung waren wie du…“ (80)
- 81ff Beim Abschied der Senora gibt es von seiten des Lehrers und der Mutter nur Schweigen. Andri soll die Senora hinten heraus begleiten.
- 81/82: Die Mutter versteht den Lehrer inzwischen: „Du hast sie geliebt, aber mich hast du geheiratet, weil ich eine Andorranerin bin. Du hast uns alle verraten, aber den Andri vor allem. Fluch nicht auf die Andorraner, du selbst bist einer.“ (81/82)
- 82 Der Pfarrer erscheint und berichtet von seinem vergeblichen Versuch, Andri die Wahrheit nahezubringen.
- 82/83: Andri kommt früh zurück, die Senora wollte allein gehen, hat ihm aber zum Abschied ihren Ring geschenkt. Der Lehrer läuft ihr nach, um sie nun zu begleiten.
- 83 Gespräch zwischen dem Pater und Andri: Dieser versteht die ganze Situation nicht: „Alle benehmen sich heut wie Marionetten, wenn die Fäden durcheinander sind, auch Sie, Hochwürden.“ (83) Andri vermutet, dass der Pater ihn tadeln wird wegen seiner Prügelei mit dem Soldaten, auf die er stolz ist: „und doch bin ich froh, dass ich’s getan habe, ich hab etwas gelernt dabei, auch wenn’s mir nichts nützt, überhaupt vergeht jetzt, seit unserm Gespräch, kein Tag, ohne dass ich etwas lerne, was mir nichts nützt, Hochwürden, so wenig wie Ihre guten Worte, ich glaub’s dass Sie es wohl meinen, Sie sind Christ von Beruf, aber ich bin Jud von Geburt, und drum werde ich jetzt auswandern.“ (84).
- 84/85: In Wirklichkeit versucht der Pater jetzt, Andri die Wahrheit zu sagen: „Ich bin gekommen, dich zu erlösen. […] Andri – du bist kein Jud“ (84/5). Andri dagegen beruft sich auf sein Gefühl: „Hochwürden, das fühlt man. […] Ob man Jud ist oder nicht.“ (85) Selbst, als der Pater die Wahrheit beschwört, glaubt Andri ihm nicht: „Wie viele Wahrheiten habt ihr? […] Euch habe ich ausgeglaubt.“ (85)
- 86 In einem langen Monolog stellt Andri sein Anderssein dar, so wie es sich in ihm herausgebildet hat: „Hochwürden haben gesagt, man muss das annehmen, und ich hab’s angenommen. Jetzt ist es an Euch, Hochwürden, Euren Jud anzunehmen.“ (86)
- 87 In einem zweiten langen Monolog beschreibt Andri seine Gefühlslage: „Das Hoffen ist mir nie bekommen. Ich erschrecke, wenn ich lache, und ich kann nicht weinen. Meine Trauer erhebt mich über euch alle, und so werde ich stürzen. Meine Augen sind groß von Schwermut, mein Blut weiß alles, und ich möchte tot sein. Aber mir graut vor dem Sterben, es gibt keine Gnade –„ (87)
- 88 Am Ende stürzt der Lehrer herein und berichtet, dass die Senora durch einen Steinwurf getötet worden ist und man diesen Andri in die Schuhe schiebt.
Vordergrund Nr. 7: Der Jemand
Vordergrund [7]: Der Jemand
89 Er äußert sich sehr unbestimmt über die Vorkommnisse, behauptet allerdings, Andri habe ihm leid getan: „Was die Soldaten, als sie ihn holten, gemacht haben mit ihm, weiß ich nicht, wir hörten nur seinen Schrei … Einmal muss man auch vergessen können, finde ich.“ (89)
10. Bild
90-96: Zehntes Bild
- 90 Andri sitzt mitten auf dem Platz von Andorra und hält eine Art Selbstgespräch: „Warum soll ich mich verstecken […] Ich habe den Stein nicht geworfen.“ (90)
- 91 Der Lehrer erscheint mit einem Gewehr und berichtet, dass die Schwarzen da sind.
- 92 Mit einem Lautsprecherwagen weisen die Schwarzen die Andorraner auf die gewünschten Verhaltensweisen hin und versprechen: „Kein Andorraner hat etwas zu fürchten…“ (92)
- 92/93: Der Lehrer versucht noch einmal, sich mit Andri auszusprechen, verweist sogar darauf, dass er den Kindern in der Schule die Wahrheit gesagt hat. Andri aber ist für ihn nicht ansprechbar: „Es hat keinen Zweck, Vater, dass du es nochmals erzählst. Dein Schicksal ist nicht mein Schicksal, und mein Schicksal ist nicht dein Schicksal.“ (93)
- 94/95 Als der Lehrer Andri darauf hinweist, dass er verloren ist, wenn er seine neue, richtige Identität nicht annimmt, erwidert dieser nur: „Ich bin nicht der erste, der verloren ist. Es hat keinen Zweck, was du redest. Ich weiß, wer meine Vorfahren sind. Tausende und Hunderttausende sind gestorben am Pfahl, ihr Schicksal ist mein Schicksal.“ (95)
- 95/97: Die Andorraner geben ordentlich ihre Gewehre ab. Auch dem Lehrer wird sein Gewehr entrissen.
Vordergrund Nr. 8: Zwei Soldaten in Uniform
Vordergrund [8]: Zwei Soldaten in schwarzer Uniform
97 Die Soldaten patrouillieren und zeigen damit, wer die Macht jetzt hat. Zugleich spielt das Orchestrion, wohl als Sinnbild für das Schicksal Andris, das sich bald vollziehen wird.
11. Bild
98-103Elftes Bild
- 98ff Andri ist mir Barblin vor deren Zimmer, quält sie mit der Frage, wie oft sie mit dem Soldaten geschlafen hat. Barblin versucht ihren Bruder in ihrer Kammer zu verstecken. Aber die kennt der Soldat Peider ja.
- 100ff In seiner Verzweiflung will Andri, dass Barblin sich ihm jetzt hingibt: „Kannst du nicht, was du mit jedem kannst, fröhlich und nackt? Ich lasse dich nicht. Was ist anders mit den andern? So sag es doch. Was ist anders? Ich küss dich, Soldatenbraut! Einer mehr oder weniger, zier dich nicht. Was ist anders mit mir? Sag’s! Langweilt es dein Haar, wenn ich es küsse?“ (101) Barblin reagiert darauf nur mit der Anrede „Bruder“.
- 102/3: Die Schwarzen erscheinen, geführt vom Soldaten, und verhaften Andri – auf Barblins Ruf „Rührt meinen Bruder nicht an, er ist mein Bruder –„ reagieren sie nur mit dem Hinweis: „Die Judenschau wird’s zeigen.“ (103)
Vordergrund Nr. 9: Der Doktor
Vordergrund [9]: Der Doktor
104/5 Der Doktor fühlt sich wie die meisten anderen auch unschuldig: „Was hat unsereiner denn eigentlich getan?“ (104) Seiner Meinung ist er mit den anderen Andorranern „einer gewissen Aktualität erlegen“ (105). „Es war, vergessen wir nicht, eine aufgeregte Zeit.“ (105) Letztlich ist das Geschehen für ihn „eine tragische Geschichte“ (105): „Ich glaube, im Namen aller zu sprechen, wenn ich, um zum Schluss zu kommen, nochmals wiederhole, dass wir den Lauf der Dinge – damals – nur bedauern können.“ (105)
12. Bild
106-127: Zwölftes Bild
- 106 Die Andorraner müssen sich auf dem Platz von Andorra versammeln, der von Besatzungssoldaten umstellt ist. Der Doktor, der Wirt u.a. diskutieren die aktuelle Situation, vor allem die Identität Andris und seine angebliche Ermordung der Senora, die vor allem vom Wirt betont wird.
- 106/7 Barblin versucht, zum Widerstand aufzurufen, was aber von den Anwesenden ängstlich abgelehnt wird: „Nur jetzt kein Widerstand.“ (107)
- 108ff Der Judenschauer erscheint – der Wirt hat besonders viel Angst vor dem schwarzen Tuch, das alle über das Gesicht ziehen müssen. Der Beschuldigung des Lehrers, er habe die Senora getötet, entzieht er sich durch Verschwinden in der Menge (S. 111).
- 111ff Die militärische Vorbereitung der Judenschau wird beschrieben.
- 113 Der Lehrer versucht vergeblich, Andri zu schützen, und beschimpft schließlich die Andorraner: „Wer unter ihnen ein Mörder ist, sie untersuchen es nicht. Tuch drüber! Sie wollen’s nicht wissen. Tuch drüber! Dass einer sie fortan bewirtet mir Mörderhänden, es stört sie nicht. Wohlstand ist alles!“ (113)
- 113ff: Durchführung der Judenschau; noch einmal wird die entsprechende Order vorgelesen (S. 114);
- 116: Barblin versucht noch einmal vergeblich, zum Widerstand aufzurufen, und wird von den Schwarzen weggeführt.
- 119/120: Der Jemand wird fast für einen Juden gehalten: „Der sieht nur so aus, weil er Angst hat.“ (120)
- 121ff Andri wird „entdeckt“; die Mutter tritt für ihn ein (S. 122); Andri wird aber trotzdem abgeführt, nachdem man bei ihm Geld und den Ring der Senora gefunden hat.
- 124ff: Tischler, Doktor und Wirt verschwinden in der Kneipe, Barblin weißelt das Pflaster des Platzes, sie ist geschoren. Der Pater versucht sie davon abzuhalten, ebenfalls der Wirt, der wieder erschienen ist. Barblin klagt den Soldaten an: „Wo hast du meinen Bruder hingebracht?“ (125) Barblin wird durch ihre Anklagen ein „öffentliches Ärgernis“ (126). Der Pater berichtet, dass sich ihr Vater im Schlafzimmer erhängt hat. Der Pater versucht, Barblin wegzuführen, aber sie bleibt auf dem Platz und bewacht die übrig gebliebenen Schuhe Andris.
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- „Andorra“ (Drama von Max Frisch)
https://textaussage.de/frisch-andorra-themenseite
— - Infos, Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos