Anmerkungen zur Kurzgeschichte „Schuld und Sühne“ von Slawomir Mrozek (Mat2449)

 Worum es hier geht:

Gefunden haben wir die Geschichte hier.

  • Der Titel erinnert an den berühmten Roman des russischen Schriftstellers Dostojewski. Das muss jetzt hier erst mal nicht viel heißen, macht aber schon deutlich, dass es hier um ein großes Thema geht.
  • Die Geschichte beginnt dann ganz nüchtern mit dem Gegensatz zwischen einem kleinen Jungen und dem ausgelassenen Abendgebet und einem ratlos dabeistehenden Schutzengel.
  • Dann wird eine Fülle von Fehltritten aufgezählt, die der Junge an dem Tag begangen hat. Abgeschlossen wird das mit dem Wort „ohnmächtig“ für den Schutzengel, der alle normalen Nudges, also die kleinen Lockmittel, vergeblich eingesetzt hat.
  • Aus der „Erbitterung“ des Schutzengels wird die Bereitschaft zum körperlichen Übergriff, nämlich einer „Maulschelle“, also einer Ohrfeige.
  • Das wirkt dann – der erschrockene Junge holt sein Abendgebet nach.
  • Am nächsten Morgen ist die Erinnerung an diese tatkräftige Belehrung erst mal verlorengegangen, es folgen aber neue körperliche Übergriffe, mit dem Ergebnis, dass der Junge sich zunehmend einstellt, um der „Spezialisierung der Hiebe“ zu entgehen, bei der dieser Schutzengel inzwischen sogar „Freude“ empfindet.
  • Der zunehmende Verzicht auf Fehltritte führt bei dem Jungen zu einer wahren Erfolgsspur. Schließlich muss der Schutzengel auch mal einen Hieb ohne Grund verteilen, „um nicht aus der Übung zu kommen“.
  • Bald wird der Junge für ein „Wunderkind“ gehalten, dem steht aber auch ein „hartnäckiger, tief verborgener Gedanke“ gegenüber, der sich bei dem Jungen herausbildet.
  • Der führt dann zu einer großen Explosion, bei der das Elternhaus zerstört wird. Der Junge hat sich inzwischen schon auf den Weg nach Südamerika gemacht.
  • Den Schluss-Satz muss man hier wörtlich zitieren, weil er gebraucht wird, um die Offenheit des Endes der Kurzgeschichte zu klären. Dort heißt es nämlich: „Ihm nach raste der Schutzengel, um ihm einen doppelseitigen Haken zu verpassen.“
Die Geschichte zeigt,
  1. dass es bei Kindern (und sicher auch bei Erwachsenen) so etwas gibt, was man früher einen „Tunichtgut“ genannt hat, also ein Mensch, der nur dummes Zeug (aus Sicht der anderen) im Kopf hat und auch allerlei Schaden anrichtet (echten und auch solchen aus der Sicht der anderen).
  2. dass man dem nur schwer mit guten Worten und Ermahnungen beikommt,
  3. dass man möglicherweise mehr erreicht, wenn man zu Formen der Gewalt greift,
  4. dass am Ende dann aber auch eine Art Amoklauf stehen kann und die Flucht.
  5. Natürlich ist das nur eine Reaktionsmöglichkeit auf die dauernde Gewalt: Möglich ist auch die Selbstzerstörung eines so misshandelten Kindes.
  6. Vor allem fragt man sich, wo die Eltern sind, deren Haus am Ende in die Luft fliegt. Möglicherweise stecken sie in dem Schutzengel, anfangs voll guten Willens, dann voll von Verzweiflung und schließlich voll von Gewalt und am Ende in der irrigen Annahme, dass das Gute, was man damit scheinbar erreicht hat, irgendeinen Wert hat.
  7. Natürlich kann man diesen Ablauf auch auf jeden anderen Erziehungsprozess übertragen, etwa in der Schule.
  8. Offen bleibt die Frage, ob es nicht doch noch andere Möglichkeiten gegeben hätte – über „Güte, Süßigkeit, milde Überredung, Besänftigung“ hinaus.
  9. Ansonsten ist es eine Kurzgeschichte mit direktem, wenn auch etwas ungewöhnlich distanziertem Einstieg. Eher ungewöhnlich ist der doch etwas längere Zeitraum, der behandelt wird – aber dennoch bleibt es ein Ausschnitt aus dem Leben mit einer ganz eindeutigen Wende-Bereitschaft.
  10. Schön ist der Schluss,
    • weil der erweiterte Infinitiv am Ende eine doppelte Bedeutung hat, die professionelle, nämlich dass dort nur die Absicht angegeben wird, und die landläufige, die auch die Verwirklichung der Absicht mit einschließt.
      Zum Beispiel: „Er ging nach Hause, um bereits auf der Treppe auszurutschen.“
    • Glücklicherweise ist das schlechtes Deutsch, über das man sich auch entsprechend lustig macht – und deshalb wollen wir annehmen, dass der letzte Satz nur die Absicht des Engels anzeigt und er vor der Verwirklichung einen kleinen Unfall erleidet, auf jeden Fall der armen Jungen nicht erreicht, so dass der glücklich nach Südamerika kommt und sich dort ein wirklich selbst bestimmtes Leben aufbauen kann.

Spannend ist vor allem die Frage, welche Alternativen es zur Gewalt gegeben hätte.

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