Opitz, „Auf einen Kuss“ (Mat8651)

Worum es hier geht:

Mit dem Gedicht „Auf einen Kuss“ von Martin Opitz bekommt man mal einen anderen Eindruck von Gedichten der Barockzeit. Es geht nicht immer nur um eine negative Betrachtung des irdischen Daseins mit der einzigen Perspektive, durch wahren Glauben die ewige Seligkeit nach dem Tod zu erwerben.

Wie viel dieser Kuss aber bedeutet, bleibt fraglich – ein Grund mehr, dieses Gedicht mal in die Gefühlsstürme späterer Epochen zu übertragen.

Auf einen Kuss

  • Auf alle meine Not, auf so viel Angst und Klagen,
  • Auf Seufzen, Ach und Weh, auff höchste Traurigkeit,
  • Auf das, wodurch mein Herz‘ empfand sein tiefes Leid,
  • Wird doch mein Lieb bewegt mir eins nicht abzuschlagen.
    • Zunächst wird alles Mögliche aufgezählt,
    • das im Leben negativ vorhanden ist,
    • bevor es dann in der letzten Zeile positiv wird:
    • Denn zumindest in der Liebe scheint dieses lyrische Ich Glück zu haben.
    • Leserlenkung:
      Wenn man nur Barockgedichte des Vanitas-Mainstreams kennt, ist man sicher erstaunt, dass es anscheinend in dieser Epoche auch Positives gibt.

 

  • Ich mag gewisslich wohl von gutem Glücke sagen,
  • Sie kam ja endlich noch, die sehr gewünschte Zeit,
  • Und hat mir Herz und Sinn durch einen Kuss erfreut;
  • Ich habe diese Gunst doch endlich weggetragen.
    • Hier ist vorwiegend von Glück die Rede.
    • Das gipfelt in einem Kuss.
    • Am Ende hat man das Gefühl, dass das lyrische Ich sich durchaus darum bemühen musste.
    • Wem der Kuss zu verdanken ist, bleibt offen. Das gilt auch für die Frage, wie sehr hier Liebe im Spiel ist – oder nur eine außergewöhnliche Freundlichkeit.
  • Der Tau, der süße Tau, der auf den Lippen schwebt,
  • Der Mark und Bein erquickt, dadurch mein Geist noch lebt,
  • Kann alle meine Furcht‘ und Trauren von mir scheiden.
    • Nach der Beschreibung der Situation
    • gibt es im ersten Terzett eine Verallgemeinerung.
    • Die geht in die Richtung, dass so ein Glück alle Furcht und alle Anlässe zu Trauer überwinden hilft.
  • Ihr Götter, die ihr schaut hier zu uns Menschen her,
  • Kehrt ja mir diese Freud‘ und Trost in kein Beschwer,
  • Der Kuss ist wohl verkauft um solche Not und Leiden.
    • Am Ende dann die Bitte an die Götter,
    • Das Glücksrad nicht wieder in die andere Richtung zu drehen.
    • Das aktuelle Glück wird als verdient angesehen angesichts der vorher gegebenen Notsituation mit viel Leiden.

Insgesamt ein Gedicht,

  1. das den häufig im Vordergrund stehenden Aspekt der Geringschätzung des irdischen Lebens mal in eine andere Richtung dreht.
  2. Leid und Not waren da,
  3. Aber sie werden beiseitegeschoben durch einen Kuss.
  4. Wie sehr der für Liebe steht und nicht sich nicht nur auf ein kurzzeitiges Glück bezieht, bleibt offen.
  5. Da Barockgedichte höfischen Charakter hatte, muss wohl davon ausgegangen werden, dass hier nicht allzu viele Gefühle im Spiel sind. Es geht eher darum, einen Gedanken formgerecht zu präsentieren, nämlich: Ein kleines Glück kann alles verschwinden lassen, was einen vorher bedrückt hat.

Quelle: Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 27-28.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005450969

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