Paul Boldt, „Auf der Terrasse des Café Josty“ (Mat8224)

Worum es hier geht:

Präsentiert wird das Gedicht „Auf der Terrasse des Café Josty“ von Paul Boldt (1885-1921),  Es stellt die Großstadt, aber auch die in ihr lebenden Menschen sehr negativ dar.
Von der Form her ist es ein Sonett, eine recht anspruchsvolle Gedichtform. Sie zeigt übrigens, dass die Schriftsteller des Expressionismus ihre Gedichte meist formal sehr „altmodisch“ präsentierten, während der Inhalt zum Teil schockierte.
Anmerkungen zur Überschrift

Auf der Terrasse des Café Josty

  • Wer sich ein bisschen im Expressionismus auskennt, kann schnell auf den Gedanken kommen:
  • Wahrscheinlich geht es um eine Stadt – die wird normalerweise negativ gesehen im Expressionismus. Mal sehen, wie es hier aussieht.
  • Dann geht es um die Terrasse eines Cafés. Hier weiß man noch nicht, ob es um die Leute auf der Terrasse geht – sie könnten ja auch aus der Sicht eines Straßenkindes präsentiert werden.
  • Oder ist es die Perspektive der Leute, die sich um den Ersten Weltkrieg herum so etwas leisten konnten. Heute ist das selbstverständlich – damals für breite Schichten der Bevölkerung nicht.
  • Hypothese: Es handelt sich möglicherweise um die Perspektive eines Schriftstellers der Zeit, die meist aus gutem Hause kamen und Zeit für Herumsitzen hatten.
  • Fazit: Es lohnt sich, schon bei der Überschrift sich Gedanken zu machen. Die dürfen nur nicht als Analyseergebnis genommen werden. Stattdessen schärfen sie den Blick für das, was dann vielleicht ganz anders daherkommt.
Anmerkungen zu Strophe 1
Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentakte: Trams auf Eisenschienen
Automobile und den Menschenmüll.
  • Das Gedicht beginnt mit der für die Epoche des Expressionismus typischen Darstellung der Großstadt:
    • Lärm, hier präsentiert wie Laute wilder Tiere des Urwalds
    • Todeszone – mit Bildern aus eisiger Gebirgswelt
    • Alles läuft nach festen Regeln ab, ist getaktet.
    • Am Ende dann eine Formulierung, die ein Urteil abgibt über Menschen („Menschenmüll“), das wäre ungeheuerlich in dieser Pauschalisierung.
    • Oder aber es geht um den von Menschen produzierten und anscheinend achtlos weggeworfenen Müll – auch kein schöner Blick auf die Menschenwelt.
    • Leserkommentar: Man fragt sich, ob dieses lyrische Ich überhaupt etwas Positives bei den Menschen und ihren Werken sieht. Vielleicht schmeckt ja wenigstens der Kaffee, den der Kellner bringt 😉
Anmerkungen zu Strophe 2
Die Menschen rinnen über den Asphalt,
Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken blink,
schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald.
  • In der zweiten Strophe wird dann darauf in typisch expressionistischer Manier näher eingegangen:
    • Die Menschen „rinnen“ nur wie Wasser „über den Asphalt“,
    • werden mit Ameisen und Eidechsen verglichen, was ihre Emsigkeit und ihre Geschwindigkeit angeht.
  • Das, was Menschen normalerweise auszeichnet, „Stirne und Hände“, also die geistigen und die körperlichen Fähigkeiten, sind hier nur Teil der Natur, aber nichts Eigenständiges.
Anmerkungen zu Strophe 3
Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen
Und lila Quallen liegen – bunte Öle;
  • In der dritten Strophe, dem ersten Terzett des Sonetts, wird die Nachtsituation auf dem Platz näher charakterisiert.
  • Er wirkt wie eine Höhle, wo jetzt Fledermäuse ihr Wesen treiben.
  • Auf dem Boden wirken die Hinterlassenschaften der Automobile wie „lila Quallen.“
Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen.-
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest.
Anmerkungen zu Strophe 4
Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen.-
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest.
  • Was da herumliegt, kein autonomes Eigenleben, sondern wird von den Autoreifen noch weiter zerkleinert.
  • Diese immerwährende Zerteilung wird dann auf ganz Berlin übertragen.
  • Was am Tage ein „glitzernd Nest“ ist, wirkt jetzt wie „Eiter einer Pest.“
Zusammenfassung / Aussagen des Gedichtes
  1. Das Gedicht präsentiert die Großstadt nur negativ.
  2. Das gilt auch für die Menschen, bei denen man aber nicht thematisiert wird, ob sie Opfer der Umgebung sind bzw. der Verhältnisse.
  3. Oder ob die Menschen auch grundsätzlich negativ gesehen werden.
  4. Auf jeden Fall fällt auf, dass dieses lyrische Ich nur Negatives sieht.
  5. Möglicherweise ist es Opfer einer gewissen Wohlstandsverwahrlosung. Es kann sich offensichtlich was leisten.
  6. Es leistet sich aber auch eine Einseitigkeit, die mehr über das lyrische Ich aussagt als über die Welt, die hier präsentiert wird.
  7. Von daher ein schönes Beispiel für das Kommunikationsmodell, das ja auch auf die Seite der „Selbstkundgabe“ verweist.
  8. Wer immer etwas sagt – und das gilt auch für den, der im Gedicht spricht, sagt – vielleicht ohne es zu wollen – auch etwas über sich.
Anregungen
  • Vor diesem Hintergrund bietet es sich einfach an, diesem Gedicht etwas entgegenzusetzen.
  • Man überlege ich einfach, der Ort, in dem man selbst lebt, wird so von jemand gesehen.
  • Was könnte man dem entgegensetzen, um seinen Blick zu schärfen – und zwar auch in positive Richtungen.

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