Paul Fleming, Gedanken über der Zeit (Mat4352)

Ein fast schon philosophisches Gedicht der Barockzeit

Das Gedicht Gedanken über der Zeit wurde von Paul Fleming (1609–1640) verfasst, einem Dichter des Barock, dessen Werk stark von den Themen Vergänglichkeit, Tod, Glaube und Zeit geprägt ist. In diesem philosophisch geprägten Gedicht setzt sich Fleming mit dem Wesen der Zeit auseinander und reflektiert über die Stellung des Menschen innerhalb dieses schwer fassbaren Phänomens.

Unsere Erläuterung des Gedichtes

Paul Fleming

Gedanken über der Zeit

  • Überschrift des Gedichtes macht schon deutlich, dass es hier vorwiegend um Gedanken geht.
  • Ungewöhnlich ist die Formulierung über der Zeit, denn nach unserem heutigen Sprachverständnis bedeutet das, dass man sich oberhalb der Zeit befindet. Natürlich kann es auch sein, dass in der Barockzeit diese Formulierung auch verwendet wurde, wenn man sich Gedanken über die Zeit machte.
  • Das Gedicht selbst wird dann zeigen, welche der beiden Annahmen stimmt.

 

  1. Ihr lebet in der Zeit und kennt doch keine Zeit;
    u   B u   B   u    B      u    B         u      B  u    B
    Sechshebiger Jambus
    mit einer Zäsur in der Mitte – typisch für die Barockzeit.
  2. so wisst, ihr Menschen, nicht von und in was ihr seid.
  3. Dies wisst ihr, dass ihr seid in einer Zeit geboren
  4. und dass ihr werdet auch in einer Zeit verloren.
    • Gleich am Anfang wendet sich das lyrische Ich an die Leser und weist auf das Paradox hin, dass sie in der Zeit leben und doch keine Zeit kennen.
    • Im nächsten Gedankenschritt geht es wohl nicht um das naturwissenschaftliche Phänomen der Zeit, sondern um die Zeit in der man lebt, also die Lebenszeit. Deshalb wird auch in den letzten beiden Zeilen auf die Eckdaten Geburt und Tod verwiesen.
  5. Was aber war die Zeit, die euch in sich gebracht?
  6. Und was wird diese sein, die euch zu nichts mehr macht?
    • Dementsprechend wird als Nächstes nach den Zeiträumen gefragt, die vor der eigenen Existenz waren und danach noch kommen werden.
  7. Die Zeit ist was und nichts, der Mensch in gleichem Falle,
    • Die nächste Zeile verbindet dann die menschliche Existenz mit seinem Zeitbewusstsein.
    • Man kann sich das so verstehen, dass jeder Mensch tatsächlich ja auch nur seine eigene Lebenszeit erlebt, alles andere kennt er nur aus Büchern oder Geschichten anderer. Und über die Zukunft kann er sich nur ungefähr Gedanken machen oder er informiert sich über Voraussagen über die Zukunft.
  8. doch was dasselbe was und nichts sei, zweifeln alle.
  9. Die Zeit, die stirbt in sich und zeugt sich auch aus sich.
    • Die nächste Zeile soll wohl noch mal deutlich machen die Ungewissheit, die in jedem Menschen über Zeiträume herrscht, die über seine Existenz hinausgehen.
    • Das wird recht radikal dargestellt, indem behauptet wird, die Zeit stirbt auch mit einem Menschen und wird mit ihm oder dann einem anderen auch geboren.
    • Zwischenfazit: Offensichtlich geht es in diesem Gedicht vor allem darum deutlich zu machen, dass die Zeit für den Menschen nichts ist, was er wirklich verstehen kann. Er kann die Zeit nur erleben und macht sich eine bestimmte Vorstellung davon.
    • Im folgenden ein Beispiel, wie man etwas in die Interpretation einbeziehen kann,,. Das muss man nicht  wissen, aber wenn man es weiß, kann es sehr hilfreich sein.
      • Es geht um die Überlegung von Wissenschaftlern, dass das Geräusch eines fallenden Baumes im Wald nur existiert, wenn ein Mensch es hört.
      • Denn ohne das, was das Gehirn als Wahrnehmung erzeugt, würde der Fall des Baumes zwar etwas akustisch Wahrnehmbares erzeugen, das dürfte aber ganz anders aussehen und sich anhören als das, was der Mensch hört.
      • Das wiederum hängt von den Instrumenten ab, mit denen man das misst. Offensichtlich gibt es für den Menschen keine absolut richtig wahrnehmbare und damit wahre Realität. Darauf weist das Gedicht wohl hin.
  10. Dies kommt aus mir und dir, von dem du bist und ich.
  11. Der Mensch ist in der Zeit; sie ist in ihm gleichen,
    • Die nächsten beiden Zeilen betonen dann auch noch mal, dass die Zeit als ein Bewusstseinselement untrennbar mit dem Menschen verbunden ist.
    • Dann wird noch einmal darauf hingewiesen, dass das aber nichts ändert, dass es so etwas wie eine real vergebende Zeit gibt, die den Menschen eben von der Geburt zum Tod führt.
  12. doch aber muss der Mensch, wenn sie noch bleibet, weichen.
    • Diese Zeile kann mich in vorangehenden verbinden, weil sie noch einmal die Vergänglichkeit des Menschen betont.
  13. Die Zeit ist, was ihr seid, und ihr seid, was die Zeit,
  14. nur dass ihr wen’ger noch, als was die Zeit ist, seid.
    • Die nächsten beiden Zeilen machen den Menschen noch einmal darauf aufmerksam, dass es ein bestimmtes Maß an Zeitdeckung von äußerer Zeit und innerer Zeitwahrnehmung gibt, dass der Mensch aber eben nur ein Ausschnitt ist aus einem größeren Zeitkontinuum.
  15. Ach dass doch jene Zeit, die ohne Zeit ist, käme
  16. und uns aus dieser Zeit in ihre Zeiten nähme,
  17. und aus uns selbsten uns, dass wir gleich könnten sein,
  18. wie der jetzt jener Zeit, die keine Zeit geht ein!
    • Die letzten Zeilen verlassen dann das Nachdenken über die Zeit und wenden sich der Ewigkeit zu.
    • Typisch für die Barockzeit wird es offensichtlich als ein Segen angesehen, wenn die Menschen aus der Zeitlichkeit in die Ewigkeit übernommen werden. Und die wird hier sicherlich im christlichen Sinne als Ewigkeit bei Gott verstanden.
    • Interessant, dass diese Existenzverlagerung auch als eine Art Befreiung von sich selbst verstanden wird.
    • Hierüber kann man sich viele Gedanken machen, was damit gemeint sein könnte und ob das gegebenenfalls auch für jeden wünschenswert ist.

Zusammenfassung

  • Insgesamt ein Gedicht, dass vielfältige Überlegungen angestellt zum Thema Zeit.
  • Es konzentriert sich dabei auf den Unterschied zwischen dem inneren Bewusstsein von Zeit und dem realen Phänomen der Zeit, über das der Mensch kaum wirkliche Aussagen machen kann.
  • Letztlich geht es diesem Gedicht aber wie in den meisten anderen Gedichten der Barockzeit darum, die irdische Lebenszeit als ein nicht unproblematisches Durchgangsstadium anzusehen.
  • Das Ziel ist und bleibt eine Ewigkeit, eine ‚Art Paradies, in dem alle Fragen aufgehoben beziehungsweise gelöst sind.
  • Das schließt auch ein, dass der Mensch dann in gewisser Weise von sich selbst befreit wird, wobei das natürlich eine Vorstellung ist, die mehr Fragen auslöst als Antworten bereithält.
  • Auf jeden Fall lohnt es sich wohl, über die Grenzen des gegenwärtigen Bewusstseins hinaus zu blicken.

Sprachliche und rhetorische Mittel

  • Paradoxon: „Die Zeit ist was und nichts“ (V.7) – betont die Undefinierbarkeit und gleichzeitige Allgegenwart der Zeit.

  • Anapher: „Die Zeit ist …“ (V.7, V.9, V.13) – verstärkt die thematische Fokussierung.

  • Personifikation: „Die Zeit, die stirbt in sich und zeugt sich auch aus sich“ (V.9) – verleiht der Zeit Eigenleben und Kreatürlichkeit.

  • Chiasmus: „Der Mensch ist in der Zeit; sie ist in ihm“ (V.11) – stellt die Wechselwirkung von Mensch und Zeit prägnant dar.

  • Ausruf / Wunschformulierung (Optativ): „Ach, dass doch jene Zeit, die ohne Zeit ist, käme…“ (V.15) – Ausdruck der barocken Sehnsucht nach Ewigkeit, Heil, Gott.

Die rhetorischen Mittel unterstreichen die Zerrissenheit zwischen irdischer Vergänglichkeit und transzendenter Ewigkeit – ein zentrales Motiv des Barock.

Fragen einer nachdenklichen Schülerin

Persönliche Erst-Reaktion von Mia (fiktive Schülerin)

  • Ich finde das Thema „Zeit“ spannend, weil es etwas ist, das man nie richtig greifen kann.
  • Die Sprache ist altmodisch, aber verständlich – man muss sich halt einlesen.
  • Die Reime helfen, den Gedankengang nachzuvollziehen.
  • Besonders cool fand ich die Idee, dass Zeit „was und nichts“ ist – das regt zum Nachdenken an.
  • Ich musste an moderne Fragen denken, z.B. ob Zeit überhaupt real ist oder nur ein Gefühl.
  • Der Wunsch nach einer zeitlosen Welt hat mich an den Himmel oder das Jenseits erinnert.
  • Manche Zeilen muss man mehrmals lesen, weil sie philosophisch so dicht sind.
  • Ich könnte mir vorstellen, ein eigenes Gedicht über „meine Zeit“ zu schreiben.
    Denn kaum einem ist klar, dass man gewissermaßen ein Teilstück auf der langen Wegstrecke der Menschheitsgeschichte ist.
    Gerade in einer Zeit von Digitalisierung und Internet und dann auch noch im Austausch mit der künstlichen Intelligenz kann man das Gefühl haben, in einer ganz besonderen Zeit zu leben.
  • Es passt gut zum Barock, aber es wirkt gar nicht so alt – eher modern in der Idee.
  • Ich würde das Gedicht gerne mal mit anderen vergleichen, die auch über Zeit nachdenken.

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