Programm der Romantik – Novalis, „Wenn nicht mehr …“ – Tieck, „Wonne der Einsamkeit“ – Eichendorff „Wünschelrute“ – (Mat674)

Worum es hier geht:

Am Beispiel der Gedichte „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren“ von Novalis und „Wünschelrute“ von Eichendorff lässt sich sehr gut das Programm der Romantik aufzeigen. Eine gute Ergänzung ist noch Tiecks „Wonne der Einsamkeit“ – dann hat man eigentlich alles zusammen für das Verständnis der Epoche.

Das Gedicht von Novalis

01 Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
02 Sind Schlüssel aller Kreaturen
03 Wenn die, so singen oder küssen,
04 Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
05 Wenn sich die Welt ins freye Leben
06 Und in die Welt wird zurück begeben,
07 Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
08 Zu ächter Klarheit werden gatten,
09 Und man in Mährchen und Gedichten
10 Erkennt die wahren Weltgeschichten,
11 Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
12 Das ganze verkehrte Wesen fort.

Anmerkungen zu diesem Gedicht von Novalis:
  • Das Gedicht präsentiert eine Alternative zur aktuellen Situation, vielleicht auch eine Zukunfts-Vision.
  • In ihr zählen nicht mehr „Zahlen“, also festgelegte Größen und „Figuren“, also festgelegte Flächen, sondern Künstler und Liebende, die mehr wissen als die Verstandesmenschen, die der Rationalität und sichtbaren Realität verpflichtet sind.
  • Zwei Vorstellungen von Welt: Zum einen die jetzige, dann die größere, freiere.
  • Volkspoesie und Künstlerpoesie enthalten dann die „wahren Weltgeschichten“.
  • Prognose: ein „geheimes Wort“ kann wie ein Schalter die jetzige „verkehrte“ in eine bessere verwandeln.
Auswertung:
  • Das Gedicht von Novalis zeigt eine deutliche Abgrenzung zur Aufklärung und der damit verbundenen Herrschaft des Verstandes.
  • Stattdessen stehen Gefühle im Vordergrund.
  • Überhaupt geht es um Freiheit und gegen einengende Vorschriften, wie man zu leben hat.
  • Auch hält Novalis nichts von Definitionen, d.h. der klaren Abgrenzung der Dinge von einander – stattdessen liebt er als Romantiker die Übergänge zwischen Licht und Schatten, die Dämmerungszustände.
  • Poesie ist ihm wichtiger als realhistorische Darstellungen.Und er glaubt an die Macht von Wörtern, die in der Lage sind, das „verkehrte Wesen“ verschwinden zu lassen. Wer sich das nicht vorstellen kann, der denke etwa an einen Song, der ihn stark beeindruckt und vielleicht sogar verändert hat.

Joseph von Eichendorff

Wünschelrute

01 Schläft ein Lied in allen Dingen,
02 Die da träumen fort und fort,
03 Und die Welt hebt an zu singen,
04 Triffst du nur das Zauberwort.
Was zeigt das Gedicht von Eichendorff?

  • Es gibt mehr in der Wirklichkeit, als wir sehen. Wir sehen nur die Dinge, aber sie haben nach Auffassung des Lyrischen Ichs und der Romantiker allgemein noch ein verborgenes Innenleben.
  • Das wird mit einer Art Traum verglichen.
  • Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Dinge aus diesem Traumschlaf zu wecken, so dass die ganze Welt anfängt zu „singen“,
  • wenn man das richtige „Zauberwort“ trifft – dabei bleibt offen, ob man danach suchen muss oder kann – oder ob man einfach nur Glück haben muss.

Das Gedicht von Tieck

Wonne der Einsamkeit

  1. O holde Einsamkeit,
  2. O süßer Waldschatten,
  3. Ihr grüne Wiesen, stille Matten,
  4. Bei euch nur wohnt die Herzensfreudigkeit.
  5. Ihr kleinen Vögelein
  6. Sollt immer meine Gespielen seyn,
  7. Ziehende Schmetterlinge,
  8. Sind meiner Freundschaft nicht zu geringe.
  9. Unbefangen
  10. Zieht ihr des Himmels blaue Luft,
  11. Der Blumen Duft
  12. In euch mit sehnendem Verlangen.
  13. Ihr baut euch euer kleines Haus,
  14. Haucht in den Zweigen Gesänge aus
  15. Von Himmels-Ruhe rings umfangen.
  16. Weit! weit!
  17. Liegst du Welt hinab,
  18. Ein fernes Grab.
  19. O holde Einsamkeit!
  20. O süße Herzensfreudigkeit!
  21. Kommt ihr Beengten
  22. Herzbedrängten,
  23. Entfliehet, entreißt euch der Qual,
  24. Es beut die gute Natur, [beut = bietet]
  25. Der freundliche Himmel,
  26. Den hohen gewölbten Saal,
  27. Mit Wolken gedeckt, die grüne Flur:
  28. Entflieht dem Getümmel!
  29. O holde Einsamkeit!
  30. O süße Freudigkeit!
Was zeigt das Gedicht von Tieck?
  • Gleich am Anfang wird deutlich, welch große Bedeutung die Natur hat, verbunden mit Einsamkeit, die hier positiv gesehen wird – wohl, weil man nicht gestört bzw. abgelenkt wird.
  • Die Einsamkeit wird sicher dadurch erleichtert oder verschönert, indem man sich die kleinen Vögel zu Freunden machen kann, sogar mit Schmetterlingen kann man Kontakt aufnehmen.
  • Vor allem an den Vögeln kann man sehen, wie „unbefangen“, d.h. ohne falsche Vorbehalte oder Grübeln man leben und genießen, ja sogar sein Glück hinaussingen kann.
  • Die vierte Strophe ist dann die der „Zahlen und Figuren“ (Novalis), hier noch verbunden mit Enge. Die ist sicher nicht nur räumlich zu verstehen, sondern auch geistig.
  • Am Ende steht die Aufforderung an alle Menschen, die unter diesen Welt-Verhältnissen leiden, wegzugehen, auch in die Natur zu gehen, die Platz für alle hat.
  • Während Eichendorff die Lösung darin sieht, die Dinge poetisch aufzuwerten, zu „poetisieren“, geht es hier um einen rettenden Ortswechsel mit dem Ziel, sich in Einsamkeit an der Natur erfreuen zu können.

Zusammenfassende Auswertung:

Im Hinblick auf das Programm der Romantik wird hier deutlich:

  1. Das Gedicht von Novalis zeigt vor allem den Gegenentwurf zur Aufklärung und ihrer Auswirkung auf die sich modernisierende Welt – mit ihrer „Entzauberung“.
  2. Eichendorff macht nur kurz, aber sehr prägnant deutlich, dass in den Dingen mehr steckt, als sie erst mal nur zeigen. Allerdings bedarf es eben auch eines Zauberwortes. Da geht es sicher nicht um Zauberei, sondern gewissermaßen die Aufnahme einer überweltlichen Kommunikation.
  3. Tiecks Gedicht zeigt neben der Liebe zur Einsamkeit in der Natur vor allem die Gefühligkeit, die auch eine große Rolle in der Romantik spielt – wenn auch zum Teil bis zu einer roten Linie, wo für uns heute das Kitsch-Empfinden beginnt.

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