Robert Seethaler „Der Trafikant“ Franz blüht auf bei Sigmund Freud (Mat1713-10)

Worum es hier geht:

  • Wir wollen den Roman von Robert Seethalter möglichst so vorstellen, dass man
    • gleich weiß, worum es geht,
    • Durchblick beim Inhalt
    • und beim Aufbau des Romans hat,
    • Hinweise zum Verständnis bekommt
    • und zur Frage, was man damit anfangen kann.

Franz blüht auf bei Sigmund Freud

  • Nach einem kurzen Kartenaustausch (S. 113) zwischen Franz und seiner Mutter zum Thema Verantwortung kommt es zu einem harten Erzähl-Schnitt, weil völlig übergangslos die Klage einer übergewichtigen Amerikanerin präsentiert wird, die sich von Sigmund Freud Verständnis und Hilfe erwaret, aber am Ende nur zu hören bekommt, sie solle weniger Torten essen.
    Nach dem Weggang der Klientin erfährt der Leser einiges zur aktuellen Politik der Vorbereitung des „Anschlusses“ Österreichs an Hitler-Deutschland:
    S. 126: „Österreich lag vor ihm wie ein dampfendes Schnitzel auf dem Teller. Jetzt war die Zeit, es zu zerlegen.“
  • Dann erfährt Freud von seiner Tochter, dass draußen schon wieder der „Trafikantenbub“ warte.
  • Das führt dazu, dass der Leser erfährt, welches Verhältnis der alte Professor zu diesem jungen Mann inzwischen hat:
    „Freuds Gesicht hellte sich auf.
    Eigentlich hatte er sich in Gegenwart sogenannter einfacher Leute immer ein wenig unbeholfen und deplatziert gefühlt.
    Mit diesem Franz aber verhielt es sich anders.
    Der Bursche blühte.
    Und zwar nicht wie die über die Jahrzehnte ausgebleichten und durchgesessenen Strickblüten auf einer der vielen Decken, die seine Frau immer so sorgfältig über die Couch drapierte und in deren dicken Wollfasem sich auf magische Weise der Staub der ganzen Stadt zu sammeln schien.
    Nein, in diesem jungen Menschen pulsierte das frische, kraftvolle und obendrein noch ziemlich unbedarfte Leben.
    Außerdem stellte der kolossale Altersunterschied zwischen ihnen automatisch die Distanz her, die er für angenehm erachtete, ja, die ihm den näheren Kontakt mit den allermeisten Mitmenschen im Grunde genommen erst erträglich machte.
    Franz war blutjung, des Professors Welt hingegen drohte immer mehr zu vergreisen.
    Selbst seine Tochter, der er, wie ihm plötzlich vorkam, erst vorgestern noch auf dem Badewannenrand sitzend die Milchzähne geputzt hatte, war nun schon über vierzig Jahre alt.
    Ganz zu schweigen von den Patienten sowie vom Rest der Verwandtschaft und den wenigen Freunden, die noch geblieben waren.
    Langsam, mit seniorenhaften Schrittchen trippelte man der fortschreitenden Versteinerung entgegen, bis man sich schließlich, ohne großartig aufzufallen, in die eigene Antiquitätensammlung würde einordnen können.“
  • Man merkt hier deutlich, wie sehr Freud inzwischen Interesse an Franz entwickelt hat.
  • Genauer eingehen könnte man auf die Frage, was Freud meint, wenn er sagt „Der Bursche blühte“. (122)
  • Interessant sicher auch die Erklärung, wieso ein Altersunterschied für ein Kommunikationsverhältnis besonders gut sein kann.
  • Außerdem ließe sich sicher die Bildwelt genauer erklären, die hier aus der Sicht von Freud für den Prozess des Alterns gewählt wird.
  • Auf der anderen Seite hat Franz Mitleid mit dem Professor und seinen zunehmenden Gebrechen: „Was nützte die ganze Gescheitheit, wenn einen die Zeit ja doch irgendwann erwischte“ (127)
  • Ab S. 129 geht es dann um Anezka und die aktuellen Erfahrungen mit ihr, was der Professor kommentiert mit: „Die Liebe ist ein Flächenbrand, den niemand löschen will und löschen kann.“ (131)
  • Sehr aufschlussreich ist dann die Reaktion von Franz auf die Frage des Professors, ob er Anezka liebe: S. 134: Hier wird deutlich, dass man darüber viel mehr fühlen und denken als wirklich aussprechen kann:
  • „Ha! , lachte Franz hell auf und schlug sich mit der Hand klatschend auf den Oberschenkel.
  • Und gleich noch einmal hinterher: Ha! Aber natürlich!, wollte er sagen. Aber selbstverständlich! wollte er dem Professor mit einer plötzlich in ihm aufsteigenden, fast beängstigenden Fröhlichkeit ins Gesicht schreien, in den Volksgarten und in die ganze Welt hinausbrüllen.
  • Ja, was war das überhaupt für eine Frage? Was sollte das denn, bitteschön, für eine überflüssige, idiotische, an den Haaren herbeigezogene und alles in allem völlig blödsinnige Frage sein!
  • Natürlich liebte er sie! Selbstverständlich liebte er sie! Er liebte, liebte, liebte sie! Mehr als alles andere in der Welt! Mehr sogar als das eigene Herz und das eigene Blut und das eigene Leben!
    Ungefähr das und noch viel mehr wollte Franz dem Professor entgegenschreien. Doch merkwürdigerweise brachte er nichts davon heraus. Kein Wort. Keine Silbe. Stattdessen blieb er einfach stumm.“
  • Anregung: Auch hier bietet sich eine kleine Übung an, mal auf ähnliche Art und Weise zu versuchen, den Sturm der Gefühle für einen anderen Menschen in Worte zu fassen.
  • Der Professor macht Franz dann klar, dass es weniger um Liebe als um seine Libido geht, wobei er dann offen erklärt, dass seine eigene Libido „längst überwunden“ sei. (136)
  • In diesem Moment taucht ein Vogel auf, den der Professor als Pestvogel bezeichnet und von dem er behauptet, dass er Katastrophen ankündige. (137)
  • Die aktuelle Gefahrenlage wird von Freud so erläutert: „Das derzeitige Weltgeschehen ist nichts weiter als ein Tumor, ein Geschwür, eine schwärende, stinkende Pestbeule, die bald platzen und ihren ekeligen Inhalt über die gesamte westliche Zivilisation entleeren wird.“ (136).
  • Auf S. 138 geht es dann um die Wahrheit und besonders auch die, die Freud versucht, auf der Couch bei seinen Patienten zu finden.
  • Auf die Frage von Franz, was er denn jetzt im Hinblick auf Anezka machen soll, kann der Professor nur auf ein allgemeines Problem verweisen: „Die richtige Frau zu finden ist eine der schwierigsten Aufgaben in unserer Zivilisation. Und jeder von uns muss sie vollkommen alleine bewältigen.“ (140)
  • Anregung: Auch hierüber kann man sicher sehr gut diskutieren. Es gibt ja sicherlich auch gegenteilige Erfahrungen.

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