Robert Seethaler „Der Trafikant“ – Eine Hose als Zeichen des Widerstands (Mat1713-16)
Worum es hier geht:
Wir wollen den Roman von Robert Seethalter möglichst so vorstellen, dass man
gleich weiß, worum es geht,
Durchblick beim Inhalt
und beim Aufbau des Romans hat,
Hinweise zum Verständnis bekommt
und zur Frage, was man damit anfangen kann.
Eine Hose als Zeichen des Widerstands
In einer seltsamen Erzählweise, bei der man das Gefühl hat, dass einer da verschiedene Zeugenaussagen zusammenträgt, wird das Schlüsselereignis des Romans präsentiert, das ´Hissen der Hose des toten Trafikanten an Stelle der vor der Gestapodienststelle eigentlich vorzufindenden Fahne.
Letztlich entspricht das, was Franz hier macht, genau dem, was Sigmund Freud in einem Gespräch halb resignierend, halb ermutigend festgestellt hat:
S. 223:
„Man tapst sozusagen in einer immerwährenden Dunkelheit herum,
und nur mit viel Glück sieht man manchmal ein Lichtlein aufflammen.
Und nur mit viel Mut oder Beharrlichkeit oder Dummheit oder am besten mit allem zusammen
kann man hie und da selber ein Zeichen setzen!'“
Was die seltsame Erzählweise angeht, so beginnt es mit einem Statement einer unbekannten Figur, vielleicht des Erzählers, die sich dann direkt an den Leser wendet (S. 236): „Eine ist ja schon irgendwie komisch: Je länger sich die Tage ziehen, desto kürzer kommt einem das Leben vor. Ein Widerspruch, aber so ist es halt. Und jetzt frage ich Sie, was tun die Leut, um sich das Leben zu verlängern und die Tage zu verkürzen? Sie reden. Sie reden, plappern, plaudern und erzählen, und zwar praktisch ohne jede Unterbrechung.“
Und genau das geschieht dann im Folgenden, wenn zum Teil die Figur selbst eigene Wahrnehmungen und Gedanken äußert, zum Teil Gesprächselemente integriert, wie man sie etwa beim mehr oder weniger geselligen Einkauf in einem Geschäft hören kann, aber einem kleinen, wie man sie heute noch in einem Dorf finden kann, weniger im Supermarkt: „Und jetzt geben S‘ mir bitte einen Liter Milch ...“
Davor findet man den Hinweis: „Zumindest bei uns, in unserer seligen Wienerstadtd gibt es viele Wahrheiten wie Fenster, hinter denen Leut‘ sitzen, die irgendetwas gesehen oder gehört oder gerochten oder immer schon gewusst haben wollen.“
Hier wird klar aus der Perspektive eines in Wien schon lange ansässigen Menschen gesprochen, es kann sich also nicht um Franz handeln. Am besten ist es wohl so zu verstehen, dass es entweder der Erzähler selbst ist, der sich hier mal klar aus der Deckung wagt – oder aber er erfindet eine nicht näher beschriebene Figur, die in einer entsprechenden Einkaufssituation das alles von sich gibt.
Was sich dabei an Fakten ergibt, ist das Folgende:
238: „Es muss letzte Nacht gewesen sein …“
239: „Und es war nur einer. Eine Person allein. Natürlich ein Mann, weil nämlich eine Frau auf eine derartige Hirnrissigkeit nicht einmal eine Sekunde verschwenden würde. Die einen sagen, er war eher mittelalter. Die anderen schwören Stein und Bein, dass er jung gewesen sein muss, weil er so schnell rennen hat können.“
239: „es ist ja nur das reine Glück, dass sie den nicht gleich erwischt haben.“
239: Unzweifelhaft jedenfalls ist, dass er sich, unbehelligt von der Gestapo und seinem eigenen Gewissen, direkt vor dem Hotel Metropol an einer von den drei großen Standartenmasten zu schaffen machen hat können.“
240: „Dass er noch in den Nachthimmel hinauf salutiert haben soll, halte ich für ein Gerücht, wenn nicht gar für die blanke Übertreitungsangeberei von einigen wenigen Fensterhockern.“
241/2: „Ein plötzlicher Windstoß … Und für einen kurzen Augenblick hat dieses braune, zerknitterte und schon ein bisserl ausgebeulte Hosenbein dort oben im Himmel ausgesehen wie ein Zeigefinger. Wie ein riesiger Zeigefinder, der den Leuten einen Weg weist. Wohin der genau gezeigt haben soll, bleibt natürlich allerhöchstens Spekulation. In jedem Fall aber weg, wenn Sie mich fragen, weit, weit weg.“
242: Dann wechselt der Schauplatz hin zum Attersee, wo Franz‘ Mutter eine „merkwürdige Unruhe“ spürt, nicht schlafen kann und mit Sorge an ihren Sohn denkt.