Robert Seethaler „Der Trafikant“ – Kampf um Anezka bis zur Enttäuschung im Nachtlokal (Mat1713-9)
Worum es hier geht:
Wir wollen den Roman von Robert Seethalter möglichst so vorstellen, dass man
gleich weiß, worum es geht,
Durchblick beim Inhalt
und beim Aufbau des Romans hat,
Hinweise zum Verständnis bekommt
und zur Frage, was man damit anfangen kann.
Kampf um Anezka bis zur Enttäuschung im Nachtlokal
Ab S. 96 möchte Franz dem zweiten Ratschlag des Professors folgen, nämlich Anezka zu vergessen. Aber – und dann kommt eine sehr gut gemachte, weil nachvollziehbare Textstelle, die deutlich macht, warum das nicht funktionieren kann:
„Er bemühte sich sehr, doch als nach über drei Wochen immer noch die Abdrücke ihrer kleinen Hände auf seinem Hintern glühten und zwischen jeder zweiten Zeitungszeile geisterhaft ihr Name aufleuchtete und sich schließlich beim Aufwischen der vom Dackel des Kommerzialrates Ruskovetz verlorenen Tropfen aus der Dielenmaserung ganz deutlich zuerst die Konturen ihrer Oberlippenwölbung, dann die ihres Gesichts und zuletzt die ihres Körpers herauslösten,“ gab er die Sache mit dem Vergessen wieder auf …“ S. 96:
Wer kreativ sein will, kann mal versuchen, diese wunderbar originellen Erinnerungsmarker in die heutige Beziehungswelt und eine entsprechende Sprache übersetzen.
Franz meldet sich bei seinem Chef ab, weil er angeblich zum Arzt muss, geht dann aber zum Haus von Anezka, versteckt sich dort und folgt ihr schließlich heimlich in ein Amüsierlokal namens „ZUR GROTTE“ und muss dort als Zuschauer neben einigen nazikritischen Kabarettnummern miterleben, dass sein heißgeliebtes Mädchen sich halbnackt den Männern präsentiert.
Franz verlässt dann entsetzt und empört die Veranstaltung und passt hinterher Anezka ab und stellt sie zur Rede. Als sie ihn einfach mit Hinweis auf ein reines Beschäftigungsverhältnis auflaufen lässt und außerdem erklärt: „Ich geheer zu keinem. Nicht einmal zumir selber“ (S. 113) reagiert Franz auf eine Weise, die ihm hinterher sofort wieder leid tut:
„Franz sah auf seine Schuhe hinunter. Das Leder war abgewetzt und rissig, und an den Kuppen begannen sich schon die Nähte zu lösen. Plötzlich fühlte er, wie irgendwo in ihm eine kleine Bosheit aufstieg und sich mit aller Macht vor seine Verzweiflung drängelte.
‚Ich geb dir fünf Schilling, wenn du mir noch einmal deinen Hintern zeigst!‘ , sagt er. ‚Unter der Glühbirne sieht der sicher auch nicht schlecht aus!‘
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, kam er sich vor wie ein Idiot. Ein dummer Bauernbub, ein lächerlicher Trafikantenlehrling, bei dem sich schon die Nähte zu lösen begannen. Entschuldigung , sagte er leise.
‚Ist schon gut, Burschi.‘
Anezka hielt ihre Zigarette gegen das Licht und blickte dem Rauch nach, der wie ein zittriger Faden senkrecht aufstieg und sich irgendwo auf Höhe der Dachrinnen verkräuselte.
‚Ich heiße nicht Burschi‘, sagte Franz mit tonarmer Stimme.
Anezka schnippte ihre Zigarette weg und trat ganz nah an ihn heran. Ihr Atem roch nach Pfefferminz und Zigarettenrauch. Am Kragen ihres Mantels hing ein langes, schwarzes Haar. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Stirn. Dann drehte sie sich um und ging.“
Man sieht hier deutlich, wie zwei Erfahrungs- und Reifungswelten aufeinanderprallen. Franz selbst erkennt, wie unerfahren er ist und wie peinlich-dumm er sich verhält. Anezka dagegen zeigt sich als eine junge Frau, die schon unterscheiden gelernt hat zwischen dem, was man möchte, und dem, was man tun muss, wenn man irgendwie überleben möchte.
Auch dieses Gespräch lässt sich komplett sehr gut modernisieren und dann als Rollenspiel präsentieren.