Sachtextanalyse: Beeinflussung der Sprache durch soziale Medien (Mat8436)

Worum es hier geht:

Auf der Seite
https://www.swr3.de/aktuell/whatsapp-facebook-so-beeinflussen-soziale-medien-die-deutsche-sprache-102.html

gibt es interessante Informationen und Thesen zu der umstrittenen Frage, inwieweit die sozialen Medien wie Facebook und WhatsApp gewissermaßen zum Verfall oder gar zum Untergang der deutschen Sprache beitragen oder ihn gar verursachen.

Sie Seite ist verfasst worden von Kira Urschinger, einer Redakteurin des SWR. Veröffentlicht worden ist er am 28.5.2019. Neuere und viel größere Herausforderungen, die sich aus den KI-Chat-Programmen ergeben, sind noch nicht berücksichtigt worden.

Eine wichtige Rolle spielt die Interviewpartnerin, die Sprachwissenschaftlerin Konstanze Marx vom „Institut für deutsche Sprache“.

Die entscheidenden Punkte, die sich aus dem Interview ergeben, sind die folgenden:

  1. Frau Marx ist der Meinung, dass die Sprache, die in den sozialen Medien verwendet wird, „nichts mit dem zu tun“ habe, „wir wir auf Standarddeutsch schreiben oder reden.“ Da könne nichts „kaputt gehen“
    • Kommentar:
      Für eine Wissenschaftlerin sind solche „alles oder nichts“ Aussagen sehr fragwürdig.
    • Auch der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass das Gehirn natürlich auf Veränderungen unseres Sprechens (z.B. nur noch WhatsApp-Sprache) reagiert und dabei keine Rücksicht auf die Ansichten von Frau Marx nimmt.
  2. Völlig Recht hat die Wissenschaftlerin natürlich, wenn sie von dem Phänomen der Varietäten von Sprache ausgeht. Dazu gehört auch, dass man entsprechend der Situation und der jeweiligen Rolle seine Sprechweise verändert.
    Wir selbst verwenden immer das Beispiel von einem Professor, der auf der Baustelle seines Hauses anders sprechen sollte als an der Uni.
  3. Dankenswerterweise werden dann drei Phänomene abgehandelt, die in den sozialen Medien besonders ausgeprägt sein können:
    1. Abkürzungen
      Hier verweist Frau Marx völlig zu Recht auf das Militär oder auch die Medizin, wo es schnell gehen müsse.
      Sie berücksichtigt aber wieder nicht die Frage, ob eine vermehrte Verwendung von Abkürzungen nicht auch zum einen ein Kommunikationshindernis darstellt, zum anderen zu einer allgemeinen Reduktion des Sprachniveaus beitragen könnte.
      An diesem Problem sind aber die sozialen Medien nur teilweise beteiligt. Eine viel größere Rolle dürfte das Fernsehen oder sein Teilweise-Nachfolger: vergleichbare Formate auf Youtube u.ä. spielen.
    2. Emojis
      Hier wird zu Recht darauf hingewiesen, dass das ein Defizit-Ausgleich zur mündlichen Kommunikation ist.
      Inwieweit sich das auch berufliche und geschäftliche Bereiche ausdehnt, müsste gesondert geprüft werden. Hier warten wir noch auf die erste Doktorarbeit, in der wir über die Gefühle informiert werden, die der Autor beim Schreiben hatte. Allerdings müsste dann noch unterschieden werden zwischen den Thema-Gefühlen und den Kontextgefühlen – z.B. gerade Ärger mit dem Nachbarn oder mit dem Chef. Das wären dann ganz andere Doktorarbeiten als bisher 😉
    3. Groß- und Kleinschreibung
      Hier ist der Erkenntniswert des Interviews sehr gering, weil pauschal auf irgendwelche Studien verwiesen wird. Die müssten zumindest auswahlweise genannt werden – mit möglichst der Konkretisierung von wichtigen Ergebnissen.
      Bei dieser Frage sagt einem wieder der normale Menschenverstand, dass zumindest zur Zeit noch das Einhalten der Norm (Normalität des Sprachgebrauchs) Vorteile bei der Kommunikation hat.
      Es gilt also auch hier wieder der Hinweis auf die Auswirkungen des Dauergebrauchs auf das Gehirn. Als Lehrkraft macht man die Erfahrung, dass es zum Beispiel für die Zeichensetzung besser ist, wenn man Kommata automatisch setzt und nicht nur „varietäten“-bezogen 😉
      Typisch für den Wissenschaftsgrad des Artikels ist die folgende Passage (von uns blau markiert – rot unser Kommentar)

      • „Es habe Studien gegeben, die genau damit befasst haben, „und es gab tatsächlich keine Effekte.
        Hier gibt es wieder eine Totalaussage, die mit der Wirklichkeit häufig nicht viel zu tun hat. Zumindest wirkt das unglaubwürdig.
      • Die Erklärung: „Wir müssen davon ausgehen, dass Schriftsprache erlernt wird, bevor man überhaupt über soziale Medien agieren kann. Also: Ich brauche die Kompetenz, schreiben zu können, bevor ich überhaupt über Messenger oder auf sozialen Netzwerken schreibe.
        Interessant, dass hier auch gleich eine passende Erklärung mitgeliefert wird, die in der Form genauso wenig überzeugt. Wann hat man denn die Schriftsprache nach Meinung dieser Wissenschaftlerin gelernt? Ist man damit fertig bei erster Benutzung der sozialen Medien?
        Dann sind wir mal gespannt, wie die Kids reagieren, wenn ihre Eltern Ihnen den Zugang zu sozialen Netzwerken sperren mit dem Hinweis: Erst musst du die Schriftsprache gelernt haben.
        Bleibt die Frage, ob es da demnächst eine standardisierte Prüfung mit Zertifikat geben wird 😉 
    4. Man müsste hier noch die Zeichensetzung hinzufügen.
      Hier gilt grundsätzlich das Gleiche wie für die Groß- und Kleinschreibung. Allerdings dürften die Defizite hier zum Teil noch deutlicher sein.
  4. Dass Sprache sich immer verändert, ist völlig richtig. Von daher muss auch immer wieder neu überlegt werden, wie die „Norm“, also die Normalität aussehen soll, auf die man im Leben  und am Anfang vor allem in der Schule hinarbeitet.
    Allerdings gehört dazu ein höheres Maß an differenzierender Betrachtung, wie wie sie hier in diesem Artikel gesehen haben.
  5. Sehr problematisch erscheint uns auch die Schlusspassage.
    „Konservative Sprachkritiker bewerten das anders. Sie kritisieren immer wieder, dass die Jugendsprache – inklusive der Ausdrucksweise im Internet – zu einem Sprachverfall führen könnte.
    Was oder wer sind „konservative“ Sprachkritiker? Haben die auch einen Namen, vielleicht sogar Argumente? Oder soll hier nur deutlich werden, dass sie eine Gesinnung haben, die heutzutage sehr in Verruf geraten ist?
    Die meisten Sprachwissenschaftler sehen eher einen Ausbau der Sprache. Gerade das viele Schreiben im Internet wird teilweise als positiver Aspekt verbucht:“
    Auch hier wieder wenig Präzision: Es geht gar nicht um den Ausbau der Sprache bei diesem Thema, denn der wird hier anscheinend quantitativ gesehen. Dass das viele Schreiben im Internet positive Seiten hat, ist ganz unbestritten. Je mehr Menschen sich äußern, desto mehr Kommunikation gibt es – und im Idealfall auch ein ertragreicher, weil  konstruktiver Streit. Auch die größere Zahl an Wissenschaftlern in diesem Land sagt weniger über die Qualität des Bildungssystems aus als die Zahl der Patente oder sogar Nobelpreise und die Frage, ob gute Wissenschaftler im Land bleiben oder ihr Glück lieber woanders suchen.
    Vielleicht zum Schluss noch ein Gedanke zum vielen Schreiben im Internet. Es soll Studien geben, die deutlich machen, was mit der Qualität geschieht, wenn Texte unter heutigem Arbeitsdruck immer schneller entstehen müssen und kaum Zeit bleibt, der verlockenden Schnelligkeit von ChatGPT und Co noch Nachdenklichkeit und Genauigkeit entgegenzusetzen.

Weitere Infos, Tipps und Materialien