Wie erkennt und formuliert man das Thema eines Gedichtes oder einer Kurzgeschichte?
Beispiel für das Erkennen und Formulieren eines Themas am Beispiel von Eichendorffs „Sehnsucht“
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht. –
Vertiefung des Themas mit Blick auf den Autor, sein „Lyrisches Ich“ und den Leser
Betrachten wir das noch mal aus einem anderen Blickwinkel, nämlich dem des Autors und des von ihm geschaffenen „Lyrischen Ichs“ und schließlich auch des Lesers:
Kunst und damit auch Literatur entsteht ja nicht irgendwie so nebenbei und ohne Grund: Vielmehr gibt es zumindest bei guter Literatur immer eine Ausdrucksnotwendigkeit – und die wird eben in der Regel aufgespalten, auch wenn der Autor beides beim Schreiben vielleicht schon im Kopf hat:
Da gibt es zunächst eine Sache, die einen beschäftigt, vielleicht sogar bedrückt.
Nehmen wir ein Liebesgedicht. Da hat man sich gerade getrennt, leidet unheimlich und fragt sich eben: Muss das sein?
Die Frage stellt zum Beispiel die folgende Ballade:
Ballade von der fehlenden Mittelmäßigkeit in der Liebe
Oder: Erec und Iwein heute
G.G. Unbetrach
(Arbeitsfassung)
(1) Er hatte sie gefunden,
doch war er auch gebunden?
Die Liebe war zwar wunderschön,
Doch wollt er auch anderes sehn.
(2) Vielleicht konnt’s ja gemeinsam sein?!
Am Samstag spielte sein Verein.
Kaum stand die Frage knapp im Raum,
schon weg war, ach, der schöne Traum.
(3) „Geh du zu deinem Fußballspiel,
ich habe noch ein anderes Ziel.
Wir Mädchen brauchen auch mal Zeit,
Für dich verspür ich Dankbarkeit.“
(4) Genau so war’s ne Woche drauf
Die Sache nahm dann ihren Lauf
Die beiden hatten sich entzweit
vorbei wars mit der Dankbarkeit.
(5) Beim nächsten Mal: es sollte besser werden
Gemeinsamkeit ist angesagt auf Erden
Die Wochenpläne abgestimmt
Man gerne halt mal Rücksicht nimmt.
(6) So ging es Tage ging es Wochen
Dann war wohl irgendwas zerbrochen
Der Mensch braucht halt auch Zeit für sich
Sonst wird das Leben fürchterlich
Das Thema der Ballade ist die Frage, was eine Liebe gefährden kann und schließlich auch zerbrechen lässt.
Die Intention des Textes, seine Aussage gibt dann die Antwort:
Das Gedicht zeigt,
- dass auch verliebte Menschen ihre eigenen Interessen behalten,
- was zu Spannungen und schließlich zum Auseinanderleben führen kann,
- dass aber auch das Bemühen um zu viel Gemeinsamkeit zum Problem werden und zum Bruch führen kann.
Als der Autor die Ballade geschrieben hat, war ihm nicht nur das Problem klar, sondern auch zwei Lösungsansätze, die nicht funktionierten und dann eben zum Ende der Gemeinsamkeit führten.
Der Leser oder auch der Interpret erlebt das dann nach, indem er zunächst sagt:
– Tja, das mit den unterschiedlichen Interessen kenne ich.
– O, diese Aufteilung der Zeit ist doch eine gute Idee.
– Dann erkennt er, dass das auch zur kompletten Teilung führen kann.
– Dann freut er sich über das Gegenmodell
– und wird dann zu dem Punkt geführt, dass das auch schiefgehen kann – und zwar dann meistens nicht schleichend, sondern im Knall.
Tja, die schön ist es, wenn man sich in einem schönen Gedicht wiederfinden kann – dann fühlt man sich vielleicht nicht so ganz allein.
Und gute Ratschläge kann man von einem guten Gedicht sowieso nicht erwarten, es kann einen nur anregen, eigene Ideen und Lösungen zu entwickeln.
Beispiel: Lotz, „Hart stoßen sich die Wände in den Straßen“
Ernst Wilhelm Lotz
Hart stoßen sich die Wände in den Straßen …
Hart stoßen sich die Wände in den Straßen,
Vom Licht gezerrt, das auf das Pflaster keucht,
Und Kaffeehäuser schweben im Geleucht
Der Scheiben, hoch gefüllt mit wiehernden Grimassen.
Wir sind nach Süden krank, nach Fernen, Wind,
Nach Wäldern, fremd von ungekühlten Lüsten,
Und Wüstengürteln, die voll Sommer sind,
Nach weißen Meeren, brodelnd an besonnte Küsten.
Wir sind nach Frauen krank, nach Fleisch und Poren,
Es müßten Pantherinnen sein, gefährlich zart,
In einem wild gekochten Fieberland geboren.
Wir sind versehnt nach Reizen unbekannter Art.
Wir sind nach Dingen krank, die wir nicht kennen.
Wir sind sehr jung. Und fiebern noch nach Welt.
Wir leuchten leise. – Doch wir könnten brennen.
Wir suchen immer Wind, der uns zu Flammen schwellt.
- dass die Gegenwart in zweierlei Hinsicht als unmenschlich angesehen wird,
- einmal, weil die Umgebung, in der man lebt, als eng und belastend empfunden wird,
- zum anderen, weil auch die Menschen in dieser Umgebung sich nicht wie normale Menschen verhalten (können).
- dass es eine schon fast als krankhaft, auf jeden Fall quälende Sehnsucht nach Ferne und lebendiger Natur gibt, was auch die körperliche Liebe mit Frauen einschließt, die nicht nur als zart, sondern auch als gefährlich empfunden werden, also eine echte – partnerschaftliche – Herausforderung darstellen,
- dass die Sehnsucht relativ unbestimmt ist und noch nicht voll ausgelebt werden kann, weil der richtige Impuls fehlt.
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Gedichte: Wie interpretiert man sie schnell und sicher?
https://textaussage.de/themenseite-gedichte-interpretieren
— - Besonders hervorheben möchten wir hier:
https://textaussage.de/5-survival-tipps-zur-sicheren-interpretation-bsd-von-gedichten
— - Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos
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