Übung zum Umgang mit Sachtexten: Harald Martenstein, „Was ist denn schlimm an dem Wort ‚Arzthelferin‘?“ (Mat1201)

Worum es hier geht:

  • Vorgestellt wird der Sachtext „Was ist denn schlimm an dem Wort ‚Arzthelferin‘?“ von Harald Martenstein.
    • Man kann ihn grundsätzlich als Analyse-Übung verwenden.
    • Natürlich kann man ihn auch nutzen, um in das Thema „Sprachwandel“ einzusteigen.
    • Außerdem ist der Text ein gutes Beispiel für eine „Kolumne“, also die wiederkehrenden Beiträge meistens von einem Autor oder einer Autorin in einer Zeitung oder Zeitschrift.

Zu finden ist der Text auf der Seite:

https://www.zeit.de/2012/51/Martenstein

Hier zunächst ein Schaubild:

Unser Vorschlag für die Herangehensweise (am besten erst mal ohne Hilfe lösen)

 

  1. Klären, was das für ein Text ist – dazu kurz recherchieren, was eine „Kolumne“ ist.
  2. Dann festhalten, wann der Text so erschienen ist.
  3. Welcher erste Eindruck entsteht beim Leser, wenn er den Titel und den Untertitel liest? (erste Stufe des  Vorverständnisses)
  4.  Wie verändert sich dieses Vorverständnis in den folgenden Absätzen?
  5. Worauf läuft der Text insgesamt hinaus, welche Position wird deutlich? Was will er erreichen?
  6. Mit welchen Mitteln arbeitet der Text, um seine Aussagen zu verdeutlichen?
  7. Wie könnte man zu dem Text Stellung nehmen?

Hinweise zur Lösung der Aufgaben

 

  1. Klären, was das für ein Text ist – dazu kurz recherchieren, was eine „Kolumne“ ist.
    • In der Wikipedia findet man (29.12.2019, 17:53 Uhr) die folgende Beschreibung:
      „In den Printmedien steht der Begriff vor allem für eine journalistische Form.
    • Es handelt sich um einen kurzen Meinungsbeitrag, der sich meist über nicht mehr als eine Zeitungsspalte erstreckt.
    • Diese Kolumnen erscheinen meist regelmäßig an gleicher Stelle mit gleichem Titel, wie das in Auswahl als eigenes Buch erschienene Streiflicht auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung.
    • Häufig gibt es sie auch als Namenskolumne eines einzelnen Autors.
    • So hat beispielsweise Die Tageszeitung (taz) in jeder Ausgabe eine feste Namenskolumne, die jeden Wochentag wechselt.
    • Gelegentlich gelten Kolumnen als wichtiges Traditions- und Kundenbindungsmotiv für Zeitungsleser.
    • Oft wird die Kolumne auch vom Herausgeber der Druckschrift in Form eines Editorials zur Darlegung der Blattlinie und als Stellungnahme zu aktuellen Ereignissen benutzt.“
    • Daraus macht man dann für sich einen eigenen Text, der etwa so aussehen könnte.
      • Bei einer Kolumne geht es um einen kurzen Artikel in einer Zeitung, in dem jemand seine Meinung zu einem aktuellen Probleme äußert.
      • Diese Artikel erscheinen regelmäßig und dann an der gleichen Stelle in der Zeitung. Häufig ist eine solche Kolumne auch einem ganz bestimmten Autor zugeordnet.
      • Diese Kolumnen sollen den Leser an die Zeitung binden und werden zum Teil auch vom jeweiligen Herausgeber genutzt, um an der Stelle die grundsätzliche Ausrichtung der Zeitung deutlich zu machen.
  2. Dann festhalten, wann der Text so erschienen ist.
    • Dieser Artikel ist am 13. Dezember 2012 im Zeit Magazin erschienen und von daher etwa sieben Jahre alt.
Hier ein Schaubild, das wir aber erst am Ende unserer Überlegungen erzeugt haben.

Also am besten  erst mal die „Musterlösung“ lesen

und dann schauen, inwieweit dieses Schaubild sie zusammenfasst.

Es geht dabei um drei Elemente:

  1. die argumentative Entwicklung zwischen den grünen eigenen Positionselementen und den roten Elementen der Gegenposition
  2. der Unterstützung durch die blauen künstlerischen Mittel – vor allem der Satire
  3. der eigenen Position – olivgrün dargestellt.
  4. Welcher erste Eindruck entsteht beim Leser, wenn er den Titel und den Untertitel liest? (erste Stufe des  Vorverständnisses)
    • Schon der Titel macht deutlich, dass der Autor offensichtlich die Bezeichnung Arzthelferin für eine bestimmte Berufsgruppen verteidigen will, während andere sie für „schlimm“ halten.
    • Im Untertitel wird der größere Zusammenhang genannt, nämlich das Problem einer sich um politische Korrektheit bemühenden Sprache.
    • Hier kann man zum Beispiel An Fälle denken wie „Reinigungskraft“ statt „Putzfrau“.
  5.  Wie verändert sich dieses Vorverständnis in den folgenden Absätzen?
    1. Im ersten Absatz wird zunächst einmal deutlich, dass es sich um eine Kolumne handelt, denn der Autor spricht davon dass er vor einigen Wochen etwas geschrieben habe, was dann anschließend kritisiert wurde.
      Dieser Artikel ist also eine Art Verteidigung gegenüber Angriffen oder der Kritik anderer.
      Inhaltlich geht es um die im Titel bereits angesprochene Frage, was die richtige Bezeichnung sein könnte für frauen, die in einer Arztpraxis unterstützend tätig sind.
      Es wird deutlich, dass der Begriff „Arzthelferin“ schon ein Fortschritt sein sollte gegenüber den Begriff Sprechstundenhilfe. Die Kritiker wollen eine Änderung in Richtung „medizinische Fachangestellte“.
      Der Autor macht sich darüber lustig, indem er sich vorstellt, dass es zu lange dauern könnte, dieses Wort im Ernstfall auszusprechen, wenn ein Patient in Lebensgefahr ist.
    2. Im zweiten Absatz geht der Autor auf Probleme mit dem Begriff „Arzthelferin“ ein. Er sieht hier durchaus, dass dabei weder beim Arzt noch bei der Helferin verschiedene Geschlechter berücksichtigt werden. Deshalb stimmt er dem Vorschlag „medizinische Fachangestellte“ erst einmal zu, auch wenn hier die männliche Variante nicht berücksichtigt wird. Dies ist aber in der Praxis wohl kein großes Problem, weil man nur wenige Männer in dieser Position zur Zeit findet. Gegebenenfalls müsste man noch ein R anhängen, um auch das Problem zu lösen.
    3. Im dritten Abschnitt wird der Autor dann grundsätzlicher, indem er feststellt, dass alles „immer mehr verfeinert und verschnörkelt“ wird. Er macht das deutlich am Beispiel der Bezeichnung für Behinderte. Bei dem Versuch einer Verbesserung in Richtung „Mensch mit Behinderung“ hat sich das Problem ergeben, dass hier Menschen auf einen Aspekt reduziert werden. Außerdem haben andere allein schon das Wort „Behinderung“ als diskriminierend empfunden und deshalb vorgeschlagen, es durch „Beeinträchtigung“ zu ersetzen.
    4. Im vierten Abschnitt macht der Verfasser deutlich, dass er mit dieser Entwicklung nicht einverstanden ist. Er verweist auf andere Begriffe, in denen ebenfalls ein Mensch scheinbar auf eine Eigenschaft reduziert wird – und niemand regt sich darüber auf. Er macht sich anschließend dann den Spaß, einen Menschen differenzierter zu bezeichnen, was aber sehr unpraktisch und fremdartig wirkt.
    5. Im fünften Abschnitt geht er dann auf ein anderes Wort ein und zwar auf „bildungsfern“, was wohl ein Ersatz ist für „ungebildet“. Als Motiv für die Veränderung des Begriffs nimmt der Verfasser das Bemühen um eine schonende Bezeichnung an. In der neuen Bezeichnung wird nach seiner Meinung ausgedrückt, „dass dieser Mensch für sein Bildungsmangel nichts kann“. Das hält der Verfasser nicht für immer angemessen.
      Außerdem verweist er auf Bankräuber, die man auch klar als solche benannt.
      Am Ende macht er dann noch einen Vorschlag für „bildungsferne Eltern, die ihre Kinder verprügeln“, der seiner Meinung nach den Unsinn der Entwicklung zeigen soll.
    6. Im letzten Abschnitt verweist der Autor auf den Weihnachtsmann, dessen Bezeichnung bisher nicht geändert worden sei. Er setzt dann noch mal wieder einen humoristischen Akzent, indem er angekündigt, er werde auswandern, wenn diese Bezeichnung in „weihnachtliche Honorarkraft“ geändert werde.
  6. Worauf läuft der Text insgesamt hinaus, welche Position wird deutlich? Was will er erreichen?
    • Der Verfasser hat ganz offensichtlich ein Problem mit der Entwicklung der letzten Zeit, in der Bezeichnungen für Menschen aus verschiedensten Gründen verändert worden sind.
    • Am Ende macht er am Beispiel des Begriffs „Weihnachtsmann“ deutlich, dass man mit solchen Bezeichnungen auch ganz entspannt umgehen kann.
    • Der Grund dafür könnte sein, dass man sich bei diesem Begriff wirklich auf die Sache konzentriert, die verkörpert wird, und alles andere ausblendet.
  7. Mit welchen Mitteln arbeitet der Text, um seine Aussagen zu verdeutlichen?
    • Der Verfasser arbeitet vor allem mit humoristischen Elementen.
      • So macht er sich schon gleich am Anfang lustig über unpraktische Bezeichnungen, die möglicherweise einen Patienten in Lebensgefahr bringen können.
      • Hier wendet er das Stilmittel der Übertreibung an.
      • Das nimmt er am Ende des zweiten Abschnittes noch einmal auf.
      • Ein weiteres Mittel ist der Vergleich mit historischen Entwicklungen zu Beginn des dritten Abschnitts. Dabei wird nicht ganz klar, ob damit auch Kritik verbunden ist. Dies scheint im Wort „verschnörkelt“ anzuklingen, andererseits ist eine Lautverschiebung ja etwas in der Geschichte Unvermeidliches, das auf ganz bestimmten Veränderungen beruht.
    • Zu Beginn des vierten Abschnittes deutet die umgangssprachliche Formulierung „Ich kapiere das nicht“ an, dass es dem Verfasser jetzt um so etwas wie gesunder Menschenverstand geht.
      • Dazu passen dann auch die anschließenden Überlegungen zu dem Problem der menschlichen Eigenschaften  in den Bezeichnungen für Menschen.
      • In ähnlicher Weise fährt der Verfasser dann im zweiten Teil des fünften Abschnitts fort, wenn es um von ihm erfundene Weiterentwicklungen der Sprache geht.
    • Ein starker Schlussakzent ist sicherlich die Verbindung des Wortes „Weihnachtsmann“ mit der Idee des Auswandern.
      • Als Leser hat man den Eindruck, dass der Verfasser das für eine so problematische Entwicklung hält, dass er sie nicht mehr tragen will.
      • Auch wenn das sicherlich nicht ganz ernst gemeint ist, macht es sehr gut deutlich, dass es ihm zumindest im Hinblick auf Sprachveränderungen ernst ist.
  8. Wie könnte man zu dem Text Stellung nehmen?
    • Wie immer muss man sich bei Stellungnahmen mit irgendwelchen Vorgaben stark zurückhalten.
    • Wichtig ist nur, dass man vom Text ausgeht und die eigene Meinung dazu möglichst überzeugend begründet.
    • Eine Möglichkeit wäre die Aufnahme des Gedankens, dass man sich mehr auf die Sache als auf die Begriffe konzentrieren sollte, wie der Verfasser das am Beispiel des Weihnachtsmannes zeigt.
    • Eine andere Möglichkeit könnte das Beispiel mit dem Behinderten aufzunehmen, der nicht auf diesen Teil seiner Existenz beschränkt werden möchte.
    • Hier könnte man zum Beispiel statt von einem Behinderten (eigenes Substantiv) von einem behinderten oder blinden Menschen dann sprechen, wenn das eine Rolle spielt.
    • Dann wäre das auf einen solchen Zusammenhang beschränkt und man würde ansonsten behinderte Menschen genauso behandeln wie nicht behinderte Menschen, von denen man ja auch nicht unnötigerweise irgendeine besondere Eigenschaft oder ein entsprechendes Kennzeichen hervorhebt.

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